Mit Assassin's Creed Infinity geht die Marke komplett in Richtung Live-Service. Das bereitet Jens Sorgen.
Assassin's Creed Infinity: Konsequent, aber besorgniserregend
Ja, ich weiß, was ihr jetzt denkt: "Och, der Bremicker! Haut wieder auf Servicegames und Ubisoft drauf. Wie wär's mal mit einer neuen Platte?" Aber haltet ein! Ich will an dieser Stelle nicht einfach nur Kritik an den jüngst bekannt gewordenen Plänen des französischen Publishers äußern, denn zum einen bin ich nicht allgemein ein Gegner von Live-Service-Modellen bei Spielen. Ich habe eine ganze Zeit lang Spaß mit Destiny 2 und The Division 2 gehabt und finde es toll, was Playground Games bei Forza Horizon 4 und die Activision-Studios bei den beiden jüngsten "Call of Duty"-Teilen sowie Warzone gemacht haben. Ich freue mich zudem tierisch auf Battlefield 2042, auch weil DICE angekündigt hat, dass es dem mittlerweile bewährten Servicegame-Prinzip mit Seasons und Battle Passes folgt.
Zum anderen weckt das, was Jason Schreiner in seinem Bloomberg-Artikel zu Assassin's Creed Infinity geschrieben hat, nicht bloß eine einzige Vorstellung davon, wie dieses Projekt aussehen könnte. Ich mache mir in der Tat große Sorgen, aber das bedeutet nicht, dass auch alles so eintreffen muss, wie ich es befürchte. Assassin's Creed Infinity könnte genauso gut eine Art heiliger Gral für Fans der Reihe werden. Und den Weg dahin hat Ubisoft schon vor vier Jahren betreten.
Die ersten Babyschritte
2017 erfand sich Assassin's Creed mit Origins quasi neu. Zum ersten Mal seit 2009, genauer gesagt seit Teil 2 der Serie, war mehr als ein Jahr vergangen, seitdem der bis dahin letzte Ableger (Assassin's Creed Syndicate) erschienen ist. Entwickler Ubisoft Montréal hat die zusätzliche Entwicklungszeit genutzt, um nicht nur eine gigantische Spielwelt zu bauen, die noch dazu für damalige Verhältnisse sensationell aussah (und auch heute noch wunderschön ist), sondern auch das Open-World-Konzept überdacht. Statt auf generische Nebenaufgaben in vier bis fünf Kategorien und Sammelkram zu setzen, nahm man sich The Witcher 3 zum Vorbild und legte Wert darauf, dass jede Nebenquest eine Geschichte erzählt. Hinzu kamen deutliche Annäherungen an das Rollenspielgenre.
Ubisoft probierte aber noch etwas anderes aus: Man veröffentlichte nach dem Release von Assassin's Creed Origins nicht nur zwei kostenpflichtige DLCs, sondern auch noch einiges an Gratisinhalten, allen voran die Prüfungen der Götter: knackige Bosskämpfe gegen Anubis, Sobek und Sekhmet als wiederholbare Endgame-Herausforderungen – ein typisches Servicegame-Element.
Der Service-Charakter wächst
Origins allein deshalb als Live-Service zu bezeichnen, wäre es zu viel gesagt, auch wenn der Teil bereits mit einem In-Game-Shop daherkam. Aber man hat zumindest das erste Mal den Fuß ins kalte Wasser gehalten, um zu überprüfen, wie so etwas bei den Spielern ankommt. Mit dem ein Jahr später erschienenen Assassin's Creed Odyssey wagte man sich dann mindestens bis zur Hüfte ins kühle Nass. Hier lieferte Ubisoft bedeutend mehr kostenlose Inhalts-Updates nach der Veröffentlichung des Hauptspiels. Es gab einen ganzen Haufen an Gratis-Nebenquests, zusammengefasst unter dem Titel "Lost Tales of Greece". Später folgte sogar die Möglichkeit, eure eigenen Aufträge zu erstellen und mit der Welt zu teilen.
Spätestens mit Odyssey, das schon von Haus aus ein gigantisches Open-World-Epos war, wurde klar: Ubisoft will euch nicht 50, 60, 80 oder 100 Stunden ans Gamepad fesseln, sondern noch weitaus länger. Das hat sich 2020 mit Assassin's Creed Valhalla nur noch mehr verdeutlicht. Auch hier ist das Hauptspiel irrsinnig groß und im vergangenen halben Jahr sind zahlreiche Updates erschienen, die neue Aktivitäten hinzugefügt haben – diesmal jedoch keine erzählerisch gehaltvollen Quests wie noch bei Odyssey, sondern vor allem Dinge, die auf Wiederholbarkeit getrimmt sind: Die Flussraubzüge und die zuletzt implementierten, besonders schwierigen Meisterherausforderungen, sind darauf ausgerichtet, dass ihr sie immer und immer wieder spielt. Und Ubisoft ist mit Valhalla noch längst nicht fertig. Weitere Updates und mindestens noch ein großer DLC werden in den nächsten Monaten kommen.
Wer nach dem Artikel von Jason Schreier und der Bestätigung seitens Ubisoft, dass Assassin's Creed Infinity wirklich in Entwicklung ist, überrascht ist, dass die Reihe den Servicegame-Pfad einschlägt, hat wohl zwei Dinge nicht mitbekommen beziehungsweise nicht verstanden: einerseits den Trend hin zu Live-Services, die enorm erfolgreich sind (siehe Fortnite, GTA Online, Call of Duty: Warzone) und andererseits die jüngere Vergangenheit der "Assassin's Creed"-Reihe.
Für mich ist Valhalla ohne jeden Zweifel ein Servicegame. Und es ist verdammt erfolgreich. Was hätte Ubisoft somit für einen Grund, nicht weiter in diese Richtung zu gehen? Es ist schlichtweg die logische Konsequenz und aus wirtschaftlicher Sicht sogar der einzig richtige Schritt.
Ich habe Angst
Nun bin ich jemand, dem es bei Spielen vor allem auf die inhaltlichen Qualitäten ankommt – einer von euch. Ich verdiene zwar mit dem Thema mein Geld, aber ich bin auch nur ein Rezipient wie ihr. Dementsprechend ist mir mehr oder weniger egal, wie erfolgreich ein Spiel ist, solange es mir gefällt und dann so viel Geld einspielt, dass für den Hersteller ein Gewinn herausspringt und eine Fortsetzung abgenickt wird. Daher kann ich es verstehen, dass Ubisoft mit Assassin's Creed Infinity mit voller Kraft voraus in Servicegame-Gewässer segelt, aber das heißt nicht, dass ich das befürworte.
Mein Problem mit Ubisoft ist, dass es mir zu sehr den Schwerpunkt darauf legt, profitable Spiele zu produzieren und dabei die inhaltliche Qualität hinten anstellt. Dass dabei großer Mumpitz herauskommen kann, hat Ghost Recon: Breakpoint eindrucksvoll gezeigt. Und wenn nun Assassin's Creed in Zukunft durch und durch ein Live-Service sein soll, ahne ich Übles: noch mehr Mikrotransaktionen, noch mehr Beschäftigungstherapie.
Das Assassin's Creed, das ich mir wünsche, wäre eine Mischung aus Origins und Valhalla: mit einer so detaillierten Spielwelt und so viel Kram zum Entdecken wie im jüngsten Teil auf der einen und besserem Stealth-Gameplay sowie mehr richtigen Nebenquests auf der anderen Seite. Vor allem wünsche ich mir aber ein Spiel, dass im Kern immer noch ein Singleplayer-Abenteuer ist, das mir über einen längeren Zeitraum gut unterhält, dann aber auch abgeschlossen ist (von etwaigen DLCs mal abgesehen) – und bei dem ich vor allem nicht das Gefühl habe, nur die Einleitung eines großen Online-Spiels zu zocken, bei dem das Endgame im Mittelpunkt steht.
Die Angst ist da, dass Assassin's Creed Infinity exakt diese Art Servicegame werden wird wie ein Marvel's Avengers, bei dem man sich wünscht, die Entwickler hätten einfach ein rundes Singleplayer-Spiel machen dürfen. Aber es muss ja nicht so kommen.
Vielleicht wird's ja doch ganz geil?
Vielleicht lässt sich Ubisoft weniger von Spielen beeinflussen, die total auf die Jagd nach immer besserer Beute fokussiert sind (womit der Publisher zuletzt ja auch nicht ganz so viel Erfolg hatte, siehe Ghost Receon Breakpoint) und mehr von Spielen wie Fortnite und Call of Duty: Warzone. Das mag komisch klingen, immerhin sind das ja PvP-Shooter, haben also nichts mit einem Open-World-Action-Adventure beziehungsweise -Rollenspiel zu tun. Aber wir reden hier auch nicht davon, dass sich Ubisoft Merkmale des Battle-Royale-Genres an sich abschauen könnte, sondern die Art und Weise, wie sich jene Titel im Laufe der Zeit verändern.
Epic Games hat damit angefangen, Events zu veranstalten, in Zuge derer sich die Spielwelt von Fortnite wandelt. Call of Duty: Warzone hat diese Methode vor wenigen Monaten aufgegriffen, als die alte Version von "Verdansk" durch eine 80er-Jahre-Fassung ersetzt worden ist. Dieser Schritt wurde in mehreren Etappen vorbereitet, indem nach und nach mehr Gebiete auf der Karte von Zombies überrannt wurden, bevor es dann zur großen Atombombenexplosion, mit der das alte "Verdansk" in den Ruhestand geschickt wurde.
Mehr Geschichtsunterricht? Ja, aber …
So eine sich stetig verändernde Welt ließe sich ganz gut in ein Assassin's Creed integrieren. Nehmen wir mal an, das Spiel würde mit einem europäischen Land zu Ende des 18. Jahrhunderts als erstem Setting an den Start gehen. Nach einiger Zeit könnte dann ein Zeitsprung stattfinden und wir würden die gleiche Welt erkunden, jedoch im 19. Jahrhundert und somit inmitten der Industriellen Revolution. Assassin's Creed könnte so einen Teil seiner Grundfaszination, das Erlebbarmachen von Geschichte, noch weiter vertiefen. Und das wäre schon ziemlich cool.
Aber auch dieses Konzept hätte nun mal einen entscheidenden Nachteil: Wer nicht von Anfang an dabei ist und durchgehend am Ball bleibt, läuft Gefahr, Dinge zu verpassen, mitunter gar Story-relevante Inhalte. Und wenn Assassin's Creed Infinity die Handlung komplett in den Hintergrund verfrachten und ähnlich wie ein The Division 2 oder Destiny 2 nur von seinem Gameplay-Loop leben würden, fände ich das ziemlich unattraktiv.
"Positiv denken, positiv denken, positiv denken!"
Ich hadere ein wenig mit mir selbst, wie ich nun zu den Plänen von Ubisoft stehen soll. Assassin's Creed Infinity kann der große Schritt in der Seriengeschichte werden, den die Marke mal gut gebrauchen könnte. Aber es kann auch der Todesstoß für das sein, was ich mir von Assassin's Creed erwarte. Und dann hat mir Ubisoft in den vergangenen Jahren eben auch immer wieder gute Gründe geliefert, ihm gar nicht oder zumindest nicht zu sehr zu vertrauen.
Eine Sache finde ich aber auf jeden Fall großartig (einfach, um diesen Text doch noch auf einer positiven Note enden zu lassen): Ubisoft Montreal und Quebec arbeiten nun gemeinsam an ein und demselben Spiel und entwickeln nicht mehr abwechselnd neue Teile. Zwei riesige Teams vereinen also ihre Kräfte, um etwas wirklich Ambitioniertes auf die Beine zu stellen. Ich habe schon immer gesagt, dass Ubisoft die Ressourcen hat, um Spiele zu entwickeln, die in Sachen Detailgrad an die Open Worlds von Rockstar Games heranreichen. Weil es bislang aber immer Effizienz ging, hinkt jedes Assassin's Creed einem Red Dead Redemption 2 zum Beispiel weit hinterher. Das könnte sich nun zumindest in Ansätzen ändern. Gute Geschichten und Figuren erwarte ich aber weiterhin nicht von Ubisoft. Da ist für mich Hopfen und Malz verloren, aber das ist eine andere Geschichte.