Was Housemarque mit Returnal abliefert, ist nicht bloß ein spaßiges Actionspiel. Es ist ein meisterliches Kunstwerk.
Returnal im Test: Ein Spiel für die Ewigkeit
Housemarque ist sicherlich nicht jedem ein Begriff. Dabei gibt es das finnische Studio schon seit 1995. Sein Markenzeichen sind Arcade-Actionspiele, die durchaus zur anspruchsvolleren Sorte gehören (Resogun, Dead Nation, Nex Machina). Das dürfte auch der Grund sein, warum man nicht die Popularität hat, wie sie andere Entwickler aus Skandinavien genießen, etwa DICE (Battlefield), IO Interactive (Hitman) oder Remedy Entertainment (Control). Unter Arcade-Fans ist Housemarque hingegen hoch angesehen.
Fast jedoch hätte das Team sich selbst "verraten", indem es 2017 ankündigte, keine Arcade-Spiele mehr zu entwickeln, weil man damit das Unternehmen nicht länger finanziere könne. Stattdessen sollte mit Stormdivers ein massentaugliches Battle-Royale-Spiel kommen. Glücklicherweise eilte Sony herbei und gab den Finnen reichlich Budget, um einen PS5-Exklusivtitel zu produzieren: Returnal. Das ist ein Third-Person-Shooter mit aufwändiger Grafik, in dem aber die Housemarque-DNA voll und ganz drinsteckt – und der sich im Test als eines der besten Spiele unserer Zeit entpuppt.
Täglich grüßt das Raumschiffwrack
Die Genialität von Returnal fängt schon beim Namen an. Der hätte nicht besser gewählt sein können. Returnal ist ein Kofferwort, also die Verschmelzung zweier Begriffe, in diesem Fall "Return" (Rückkehr) und "Eternal" (Ewigkeit). Und das passt perfekt, handelt es sich doch um ein Zeitschleifenspiel. Ihr schlüpft in die Haut von Selene, Pilotin des Unternehmens Astra (nicht zu verwechseln mit dem Hersteller eines COVID-19-Impfstoffs). Ihr Job ist es, den Weltraum und fremde Planeten zu erforschen. Eines Tages stürzt sie auf Atropos, einem ziemlich gefährlichen wie rätselhaften Himmelskörper ab. Und von da an ist sie in einem endlosen Loop gefangen: Jedes Mal, wenn sie stirbt, spult die Zeit zurück und Selene erlebt den Absturz erneut. Returnal bildet hier auf großartige Weise eine erzählerische Grundlage für sein Rogue-lite-Konzept. Dass ihr im Verlauf des Spiels immer wieder ins Gras beißt (was oft passiert) und alles von vorne beginnt, ist nicht einfach nur Teil der Spielmechanik, sondern gehört zum Setting und der Geschichte.
Überhaupt hat die Story in Returnal eine prominentere Rolle als in vielen anderen Vertretern des Genres, ohne komplett in den Vordergrund zu rücken. Es steht quasi in einer Linie mit den Indie-Hits Hades und Children of Morta. Anders als jene Titel gibt es sich aber wesentlich mysteriöser, ja geradezu kryptisch. Housemarque erzählt die Geschichte nicht linear. Stattdessen entdeckt ihr auf euren Streifzügen durch die Spielwelt immer mehr Hinweise darauf, was auf Atropos vorgefallen ist – und findet so letztendlich auch den Grund für die Zeitschleife heraus. Zudem erfahrt ihr am Anfang recht wenig über Selenes Vergangenheit. Das entblättert sich erst nach und nach auf fantastische Art und Weise.
Unterschwelliger Grusel
Schon nach wenigen Minuten im Spiel wird klar, dass es nicht zu dem Zeitpunkt anfängt, wo Selene das erste Mal auf Atropos abstürzt. Sie steckt schon länger in der Zeitschleife fest, was durch die vielen Leichen von ihr selbst ersichtlich wird, die sie findet. Außerdem entdeckt ihr regelmäßig Audio-Logs, die ihre vorherige Kopien hinterlassen haben. Beides ist eine effektive Form von Psycho-Horror. Returnal ist an sich kein Horrorspiel, auch wenn es ästhetisch in diese Richtung geht, aber der Gedanke, Leichen von uns selbst und Sprachaufzeichnungen zu finden, auf der unsere Stimme zu hören ist, die wir selbst aber nie aufgenommen haben, ist schon gruselig.
Noch dazu sind die Audio-Logs in Returnal ein fantastisches Storytelling-Mittel. Was in anderen Spielen mittlerweile recht abgegriffen ist, bekommt einerseits durch den oben beschrieben Psycho-Horror-Aspekt eine neue Dimension. Andererseits transportieren die Logs nicht irgendwelche Hintergrundinfos wie in vielen anderen Spielen, sondern sind elementarer Bestandteil der Haupterzählung. Die Story von Returnal ist ein großes Puzzle und Selenes Aufzeichnungen sind einige von dessen Teilen. Die anderen sind vereinzelte, aber relativ seltene Zwischensequenzen, Inschriften der augenscheinlich ausgestorbenen, intelligenten Alien-Rasse, die auf Atropos gelebt hat, die ihr nach und nach entziffert, sowie das Environmental Storytelling. Überall liegen Leichen herum und die vielen Statuen in den Umgebungen machen früh deutlich, dass die einstigen Bewohner von Atropos sehr religiös gewesen sein müssen.
Home Sweet Home
Das erzählerische und auch inszenatorische Highlight sind aber die Passagen, in denen ihr in der Ego-Perspektive im Haus von Selene unterwegs seid. Aus irgendeinem Grund hat das seinen Weg auf diesen fremden Planeten gefunden. Die Sequenzen darin wecken einerseits Erinnerungen an so etwas wie P.T. (ohne dessen Horrorgrad zu erreichen), andererseits an Spiele von Remedy – was nicht von ungefähr kommt, weil Narrative Director Gregory Louden zuvor an Control gearbeitet hat. Und auch wenn er nicht an Alan Wake beteiligt war, kommen wir trotzdem nicht drumherum, bei den Audio-Logs von Selene an die Manuskriptseiten aus dem Mystery-Thriller zu denken. Und das allein ist schon ein gutes Zeichen.
Ihr solltet euch aber darauf einstellen, lange Zeit im Dunkeln zu tappen. Die ganzen Zusammenhänge erschließen sich euch erst im Laufe der Zeit. In den ersten Stunden wirft Returnal jede Menge Fragen auf, macht aber erst mal keine Anstalten, Antworten zu liefern. Wir waren von Anfang an fasziniert und wollten unbedingt wissen, was auf Atropos geschehen ist. Warum ist das mysteriöse Alien-Volk ausgestorben? Wieso ist Selene in der Zeitschleife gefangen? Weshalb verändert sich jedes Mal die Umgebung? Was macht ihr Haus dort? Weshalb wird nicht alles zurückgesetzt? Würde die Zeit einfach nur zurückgespult werden, dürfte es ja die ganzen toten Selenes und die Audio-Logs nicht geben.
Nun möchtet ihr natürlich wissen, ob Returnal das alles zu einem befriedigenden Ende bringt oder am Ende der Pay-off fehlt. Ohne auch nur irgendwas verraten zu wollen: Ja, die Geschichte zählt zu den vielen Stärken des Spiels und wartet später mit so einigen unerwarteten Wendungen auf. Ihr müsst aber eben bereit sein, mitzudenken euch Dinge selbst zu erschließen. Ein Vergleich mit dem Storytelling in den "Dark Souls"-Spielen ist hier nicht ganz unangebracht.
Housemarque bleibt Housemarque
Jetzt haben wir ganz schön viele Worte zur Geschichte von Returnal verloren, sind schon mitten im Text und haben noch gar nicht die eigentlich größte Stärke des Spiels behandelt: das Gameplay. Wir könnten es uns an dieser Stelle leichtmachen und einfach nur schreiben: "Returnal ist spielerisch so perfekt wie kaum ein anderer Titel – spielt es!" Aber dann hätten wir unseren Job verfehlt. Also gehen wir doch ein wenig ins Detail.
Returnal ist im Kern, wie schon erwähnt, ein Third-Person-Shooter – einer von der schnellen Sorte. Denkt nicht an Gears of War, sondern eher an so was wie Vanquish und mischt eine dicke Prise Bullet Hell hinzu! Und da wären wir bei der eingangs angesprochenen Housemarque-DNA. Vielen Projektilen ausweichen, das müsst ihr auch in Spielen wie Nex Machina. In den Kämpfen zeigt sich ganz deutlich die Arcade-Vergangenheit der Finnen, auch weil Returnal alles andere als ein leichtes Spiel ist. Die vielen unterschiedlichen Gegnertypen, insbesondere die Bosse, verlangen euch alles ab. Es kommt zwar nicht so sehr auf gute Zielkünste an, weil eure Projektile mehr oder weniger automatisch Richtung Feind fliegen (je nachdem, wie stark die Zielhilfe eingestellt ist), aber dafür erfordert das Ausweichen einiges an gutem Timing und Geschick.
Makellose Steuerung
Das Tolle an Returnal ist: Es spielt sich enorm intuitiv und einfach großartig. Mit Selene durch die Gegnerhorden und Projektilgewitter zu rennen, springen und dashen, steuert sich flüssig, sehr direkt und dadurch schön präzise. Die grundlegenden Bewegungsabläufe habt ihr schnell intus und so seid ihr perfekt vorbereitet, wenn das Spiel dann mal die wirklich gefährlichen Widersacher auf euch loslässt. "Schnell zu lernen, schwierig zu meistern", ist eine abgedroschene Redewendung, passt in diesem Fall aber sehr gut.
Noch dazu nutzt Returnal den DualSense-Controller voll aus. Einerseits wäre da das haptische Feedback. An der Absturzstelle etwa regnet es immer und ihr spürt das in euren Händen. Auch wenn sich vor euch Portale öffnen, Gegner explodieren oder ihr Treffer kassiert, gibt das Gamepad immer passende Vibrationen von sich. Andererseits nutzt es die adaptiven Trigger sehr geschickt, indem "L2" für gleich zwei Zielmodi genutzt wird. Drückt ihr den Knopf nur bis zum Widerstand, zoomt die Kamera lediglich ein bisschen heran und ihr feuert ganz normal. Drückt ihr ihn hingegen komplett durch, aktiviert ihr den alternativen Feuermodus. Dessen Wirkungsweise ist von Waffe zu Waffe unterschiedlich, aber eigentlich gilt immer: Ihr macht damit richtig viel Schaden (oder zerstört Schilde) und müsst nach der Nutzung eine Abklingzeit abwarten, bis ihr ihn erneut einsetzen dürft.
Nicht nur euer Adrenalinspiegel steigt
Returnal hat so viele Elemente, die allesamt perfekt ineinandergreifen. Zum Beispiel gibt es keine Munitionsbegrenzung. Einzelne Schüsse laden sich automatisch wieder auf. Nur dann, wenn ihr ein "Magazin" komplett aufbraucht, kommt es zu einer Aufladezeit, die euch zum Warten zwingt. Drückt ihr aber im richtigen Moment "R2", überladet ihr die Waffe, wodurch sie nicht nur schneller wieder einsatzbereit ist, sondern ihr auch noch einen Schadensbonus erhaltet, ähnlich wie in Gears of War. Drückt ihr zum falschen Zeitpunkt, dauert das Aufladen länger, was im hitzigen Gefecht fatal sein kann. Ziemlich cool ist auch die Adrenalinmechanik: Je mehr Gegner ihr in Folge besiegt, ohne dabei selbst getroffen zu werden, desto höher steigt euer Adrenalinspiegel, was ebenfalls euren Schaden erhöht. Doch kassiert ihr Treffer, wird der Wert auf 0 zurückgesetzt.
Returnal schafft es aber auch, allein schon mit dem reinen Ballerspaß zu überzeugen. Es gibt nicht enorm viele Waffenmodelle, aber dafür fühlen sie sich alle großartig an. Egal, ob ihr nun mit dem schnell feuernden Karabiner, der Schrotflinte oder auch bloß der Pistole spielt, jeder Treffer, den ihr landet, ist enorm befriedigend. Und wenn ein Gegner stirbt, zerplatzt er immer, was ein wohliges Gefühl des Triumphs auslöst. Wären das nicht alles Monster, sondern humanoide Wesen, die in roten Blutfontänen statt Schleimexplosionen aufgehen würden, hätte Returnal wohl kaum eine 16er-Freigabe erhalten.
Eine weitere große Stärke des Spiels ist seine Lesbarkeit. Klar, wenn Projektile auf euch zufliegen, dann seht ihr anhand deren Formation und Flugrichtung direkt, wie ihr ihnen ausweichen müsst. Aber es kommt noch dazu, dass die Feinde ihre Angriffe immer klar ankündigen. Wir wollen nicht angeben, aber wir haben die ersten beiden Bosskämpfe jeweils beim ersten Anlauf geschafft. Das lag vor allem daran, dass wir nicht erst mehrere Versuche gebraucht haben, bis wir mal verstanden haben, wann der Feind welche Attacke ausführt und wie wir ihr entgehen können. Wir hatten jederzeit das Gefühl, genau zu wissen, was wir tun müssen. Natürlich waren die Kämpfe trotzdem knüppelhart und hätten wir uns vorher nicht diverse Upgrades besorgt, hätten wir zumindest den Boss des zweiten Bioms wohl kaum beim ersten Mal besiegt.
Nicht alles geht beim Tod verloren
Apropos Upgrades: Bei einem Rogue-lite stellt sich ja immer die Frage, welchen Fortschritt man von Run zu Run mitnimmt und was nicht. Tatsächlich bleibt euch nach dem Tod in Returnal nicht allzu viel erhalten. Es gibt ein paar Upgrades für Selenes Raumanzug, die euch nach der Freischaltung permanent zur Verfügung stehen. Dazu gehört beispielsweise ein Sender, der euch die Nutzung von Teleportern zur Schnellreise ermöglicht. Außerdem erhaltet ihr Gadgets, die es euch erlauben, in bester Metroidvania-Manier in Bereiche zu gelangen, die euch vorher verschlossen waren. Dann gibt es Äther als eine spezielle, seltene Ressource, die nach dem Tod nicht gelöscht wird. Mit ihr könnt ihr einerseits an einem bestimmten Ort in jedem Gebiet sozusagen einen Speicherstand anlegen, auf dass ihr eine zweite Chance erhaltet. Zum anderen könnt ihr euch damit direkt zu Beginn eines Durchlaufs eines oder gar mehrere zufällige Items sichern.
Zu guter Letzt gibt es gewisse Fortschritte in der Welt, die permanent sind. Das kann etwa ein freigeschalteter Weg in einen bestimmten Levelbereich sein. Vor allem müsst ihr aber die Endbosse eines jeden Bioms kein zweites Mal besiegen, um ins nachfolgende Gebiet zu gelangen. Habt ihr einmal ein Portal zu einer neuen Welt freigeschaltet, könnt ihr in nachfolgenden Runs immer direkt dorthin gehen.
Alles andere in Returnal, also gefundene Waffen, Verbrauchsgegenstände und Artefakte, die euch passive und teils extrem nützliche Boni bescheren, gehen nach dem Tod verloren. Auch Aufwertungen für eure Lebensenergie gelten immer nur für den jeweils aktuellen Durchlauf. Das muss man nicht mögen, aber es ergibt alles Sinn. Würdet ihr beispielsweise eure Artefakte stets behalten, würde ein gewichtiger Teil des Zufallsfaktors verlorengehen. Denn nicht nur die stets neu zusammengewürfelte Spielwelt trägt dazu bei, dass sich jeder Run auf eine gewisse Art und Weise frisch anfühlt.
Erkundung lohnt sich
Apropos Spielwelt: Die sechs Biome sind nicht nur optisch sehr unterschiedlich, sondern auch spielerisch. Am Ende des zweiten Gebiets etwa schaltet ihr eine Art Greifhaken frei, mit dem ihr Stellen erreicht, wo ihr zuvor einfach nicht hinkamt, weil sie viel zu weit weg oder sehr hoch gelegen waren. Wo der Greifhaken in den ersten beiden Biomen aber nur dazu dient, mehr optionale Bereiche erkunden zu können, ist er im dritten viel bedeutender für den Hauptpfad. Da bietet sich euch auch gerne mal während der Kämpfe die Möglichkeit, damit schnell eure Position zu wechseln und so vielleicht einer besonders brenzligen Situation zu entkommen – sehr cool.
Für zusätzliche Abwechslung sorgt natürlich der Zufallsfaktor. Zwar sind die einzelnen Levelabschnitte per Hand designt, werden aber in jedem Run neu zusammengesteckt – und ihr werdet in einem Durchlauf auch nie alle Versatzstücke einer Welt zu sehen bekommen. Das Erkunden macht dadurch sehr viel Spaß und ist enorm befriedigend. Die 3D-Karte stellt sich dabei als nützliches Hilfsmittel heraus. Sie ist übersichtlich und zeigt euch immer an, wo der Hauptpfad weitergeht und was optionale Bereiche sind. Die Biome sind jedoch keine riesigen Labyrinthe mit Dutzenden Abzweigungen, sondern relativ linear. Es gibt aber zum einen eben die vielen Nebenräume, in denen euch entweder nur Items oder kleine Geschicklichkeitsherausforderungen, vielleicht aber auch mal ein etwas stärkerer Gegner erwarten. Zum anderen sind die einzelnen Bereiche teilweise recht groß und beherbergen so manches Geheimnis.
Immer die Risiken bedenken!
Je mehr ihr erkundet, desto besser seid ihr für die nachfolgenden Herausforderungen gerüstet. Natürlich könnt ihr später durch die ersten Biome hindurchsprinten, um schnell in das Gebiet zu kommen, in dem die Story weitergeht. Aber umso schwieriger wird es sein, dort zu überleben. Doch nicht alles, was ihr in Returnal findet, wird euch nur Vorteile bescheren. Da wären die Parasiten, die ihr euch an euren Anzug heften könnt. Sie liefern euch einerseits mächtige Boni, indem sie zum Beispiel eure maximale Lebensenergie deutlich erhöhen. Andererseits sind sie stets mit einem Nachteil verbunden. Das kann zum Beispiel Fallschaden bei Sprüngen aus großen Höhen sein, den es normalerweise nicht gibt, oder eine Verminderung der Wirksamkeit von Heilgegenständen. Habt ihr einmal einen Parasiten an euch angebracht, könnt ihr ihn auch nicht einfach so wieder entfernen. Die einzige Möglichkeit dafür ist eine spezielle Maschine, die ihr hin und wieder findet, sich aber nur einmal nutzen lässt und zudem einen zufälligen Parasiten entfernt. Vielleicht ist das dann der, dessen Vorteil ihr nicht missen wollt, während euch sein Nachteil gar nicht so sehr stört. Dieses Wechselspiel aus Risiko und Belohnung gelingt Returnal ganz fantastisch.
Die Parasiten sind nicht das einzige Element dieser Art: Es gibt Kisten oder auch einzelne Gegenstände, die als "schädlich" bezeichnet werden. Ihr könnt sie öffnen beziehungsweise aufnehmen, aber es besteht die Gefahr, dass das eine Fehlfunktion eures Anzugs auslöst. Die sorgt für ein Malus, das sich jedoch beseitigen lässt, indem ihr eine bestimmte Aufgabe erfüllt. Beispielsweise kann eine Fehlfunktion dafür sorgen, dass ihr bei voller Lebensenergie nur 50 Prozent Schaden verursacht, und um das abzuwenden, müsst ihr Summe X an Feinden im Nahkampf eliminieren. Schädliche Objekte lassen sich zwar auch mit Äther reinigen, aber der ist, wie bereits erwähnt, ein rares Gut.
Returnal stellt euch ständig vor solche Entscheidungen. Nutzt ihr die wertvolle Ressource, um keinen Nachteil zu erhalten? Geht ihr das Risiko ein, ein Malus zu bekommen und spart so Äther oder lasst ihr das jeweilige Objekt links liegen, euch aber ein nützliches Item oder gar wertvolle Heilung entgehen? Der große Sid Meier sagte einst, dass ein Spiel eine Abfolge von interessanten Entscheidungen ist. Returnal steckt voller interessanter Entscheidungen. Dazu gehört eben auch, ob ihr nun in einen optionalen Raum geht, wo euch eine dicke Belohnung, aber vielleicht auch ein schwieriger Kampf erwartet. Oder ob ihr im fortgeschrittenen Verlauf einfach so schnell wie möglich in das zuletzt freigeschaltete Biom hechtet, euch so aber die wertvollen Items und Upgrades in den Gebieten davor entgehen lasst und euch damit das weitere Vorankommen erschwert.
Manchmal müsst ihr gegen euch selbst kämpfen
Eine schwierige Entscheidung ist es auch, mit Selenes Leichen zu interagieren. Das ist nicht nur Teil des angesprochenen Psycho-Horrors, sondern auch eines der Online-Features von Returnal. Im übertragenen Sinne handelt es sich um die Leichen anderer Spieler. Deren letzte Sekunden könnt ihr euch in Form von Hologrammen anschauen. Danach steht ihr vor der Wahl: Wollt ihr den Tod des anderen rächen? Dann erscheint ein mächtiges Monster, das euch ans Leder will. Oder ihr plündert die Leiche, was euch aber Äther kostet. Und manchmal kommt ihr gar nicht erst dazu, diese Entscheidung treffen zu können, weil der Tote quasi wiederaufersteht, jedoch von irgendwas infiziert ist und euch angreift. Und infizierte Scouts zählen definitiv zu den schwierigeren Gegnern in Returnal.
Ein anderes cooles, aber mit weitaus weniger Risiko verbundenes Feature, sind die täglichen Herausforderungen. Die startet ihr von einem Computer an Bord eures Schiffs aus und sind separate Challenges, die nichts mit eurem nächsten Run zu tun haben. Es geht stets darum, in einem Biom das Ziel zu erreichen und dabei so viele Punkte wie möglich durch Abschüsse zu erzielen. Die Waffe ist dabei fest vorgegeben und es gibt auch immer positive sowie negative Modifizierer (also wie die Buffs und Debuffs der Parasiten). Hier geht es aber nicht nur um Ranglistenplatzierungen. Meistert ihr eine Herausforderung, erhaltet ihr Äther. Daher lohnt es sich immer, vor einem neuen Run erst mal die aktuelle Herausforderung zu spielen. Nur während eines Durchlaufs solltet ihr das nicht machen, weil dann euer Fortschritt verlorengeht.
Audiovisuell herausragend
Die Grafik von Returnal glänzt mit tollen Partikel- und vor allem grandiosen Lichteffekten – Raytracing macht's möglich. Das ist zum Beispiel sehr schön zu erkennen, wenn die Projektile eurer Waffe die Umgebung erhellen. Dass Returnal trotz dieser Performance-lastigen Technik in 4K und mit durchgehend 60 FPS läuft, ist beeindruckend. Zudem ist das Art Design ein Genuss. Allein die ganzen Kreaturen mit ihren vielen Tentakeln sehen sensationell aus und auch die Umgebung, die immer wieder an die Designs von HR Giger erinnert, zieht uns in ihren Bann. Die Architektur der Ruinen, die Flora auf Atropos – all das hat Charakter und die Bilder davon bleiben in unserem Kopf haften, nachdem wir das Spiel längst ausgemacht haben.
Und dann eben dieser Sound! Selene ist in der deutschen Version wirklich gut vertont. Dadurch ist es nur halb so schlimm, dass Returnal zu den Spielen zählt, in denen ihr nicht frei die Sprache ändern könnt, sondern dazu eure Konsole komplett umstellen müsst. Die Musik ist erstaunlich zurückhaltend. Wenn gerade keine große Action auf dem Bildschirm passiert, hört ihr nur leise, unaufdringliche, sehr atmosphärische Synthesizer-Klänge. Kommt es zum Kampf, heult gerne mal ein tiefes Horn auf, aber aus den Boxen schallt dann kein episches Orchester. Der Soundtrack drängelt sich nicht in den Vordergrund, sondern bleibt eine Untermalung der Action, in der vor allem die Geräusche wichtig sind.
Returnal setzt sehr auf 3D-Audio, wie es die PS5 ja von Haus aus bietet. Deshalb legt euch das Spiel auch direkt zu Beginn nahe, Kopfhörer aufzusetzen. Wir müssen zwar wie schon in unserem Ersteindrucksartikel zugeben, beim Spielen nicht sonderlich viel von dem 3D-Sound mitbekommen zu haben, aber vielleicht liegt das auch an unseren Ohren. Kein Zweifel besteht hingegen daran, dass die Geräuschkulisse auf höchstem Niveau ist. Die Monster geben angsteinflößende Laute von sich, die Waffen klingen richtig wuchtig und überhaupt hat jeder Effekt – seien es die Sounds der Teleporter oder prasselnder Regen – das gewisse Etwas. Und wenn dann noch der Wind durchs Gras weht und die Klangkulisse einem das Gefühl gibt, dass überall kleine Insekten herum kreuchen, ist die Atmosphäre perfekt.
Fazit
Habt ihr eine PS5, spielt Returnal! Ihr seid nicht so der Rogue-like-Fan? Spielt es trotzdem! Housemarque liefert ein auf allen Ebenen sensationelles Spiel ab. Technisch zeigt es, warum sich eine PlayStation 5 bezahlt macht. Künstlerisch ist es absolut hochwertig. Und warum das Gameplay besser nicht sein könnte, haben wir ja nun auch zur Genüge ausgeführt. Es fällt uns schwer, überhaupt irgendeinen Kritikpunkt zu benennen. Ja, ok: Manchmal poppen Details etwas spät ins Bild, wenn etwa ein Felsen erst auf einer Entfernung von fünf Metern in seiner höchsten Detailstufe erstrahlt. Aber das nennen wir an dieser Stelle nur, um irgendwas Kritisches sagen zu können.
Das mag jetzt so wirken, als wären wir komplett dem Hype erlegen und könnten Returnal gar nicht fundiert besprechen. Aber fernab von geschmacklichen Fragen muss man einfach festhalten, dass Returnal von A bis Z ein Brett ist, das sich niemand mit einer PS5 entgehen lassen sollte. In diesem Sinne: Danke Sony, dass du Housemarque davon abgehalten hast, ein Battle-Royale-Spiel zu entwickeln. Denn dann hätten wir vermutlich niemals dieses Meisterwerk erhalten.
- Sehr direkte, flüssige Steuerung
- Wuchtiges Gunplay
- Abwechslungsreiche Biome
- Zig Artefakte und Waffenvarianten
- Tolle Optik
- Starke Performance
- Brillante Soundkulisse
- Interessante Story
- Große Gegnervielfalt
- Perfekt ineinandergreifende Systeme
- Hier und da Detail-Pop-ins