Die Verschiebung von Hogwarts Legacy beweist Jens mal wieder, dass Hersteller ihre Spieler gerne zu früh ankündigen.
Keine voreiligen Release-Versprechungen mehr!
Im September 2020 kündigte Warner Bros. Interactive Entertainment Hogwarts Legacy an. "Halleluja!", dachte ich damals. "Endlich kommt ein Open-World-Rollenspiel im 'Harry Potter'-Universum!" Der erste Trailer zeigt zwar leider kein Gameplay, aber gibt Fans dennoch einen guten Ausblick darauf, was sie erwartet. Sie dürfen als Schüler die Schule für Hexerei und Zauberei besuchen, Zaubersprüche erlernen, Tränke herstellen, das Schulgelände und auch das Dorf Hogsmeade erkunden, auf dem Besen fliegen und gegen allerlei magische Kreaturen kämpfen – inklusive Drachen! Nicht nur das weckte in mir große Vorfreude, sondern auch die Ankündigung, dass Hogwarts Legacy schon 2021 erscheinen sollte.
Eine Verschiebung ist nicht gerade ein Grund zum Feiern
Die Betonung liegt nun leider auf "sollte". Denn wie Warner Bros. jüngst bekannt gegeben hat, wurde Hogwarts Legacy auf 2022 verschoben. Die offizielle Begründung: Die Entwickler wollen sich die Zeit nehmen, die nötig ist, damit das Spiel die "bestmögliche Erfahrung" wird. Daran ist nichts verkehrt. Wie die Nintendo-Legende Shigeru Miyamoto zu sagen pflegt: "Ein verschobenes Spiel ist irgendwann gut, aber ein überstürztes Spiel [Anm. d. Red.: eines, für das man sich nicht genug Zeit gelassen hat] ist für immer schlecht." Dem schließe ich mich voll und ganz an. Mein Problem mit Hogwarts Legacy ist nicht, dass es nun verschoben wurde, sondern dass im September gesagt wurde: "Das kommt 2021 raus."
Ja, ich habe mich über jene Aussage gefreut. Im September 2020 zu hören, dass ein Open-World-Spiel mit einer von mir geliebten Marke bereits im darauffolgenden Jahr erscheint, hat natürlich Freude in mir ausgelöst. Ich bin halt auch nur ein Mensch mit Emotionen und nicht 24 Stunden am Tag der alles mit gesunder Skepsis beäugende Videospielredakteur. Auch die Verschiebung ruft nun eine Emotion in mir hervor: Enttäuschung. Wenn Warner Bros. sagt, Hogwarts Legacy erscheint nun irgendwann 2022, dann kann das bedeuten: "Na gut, noch ein Jahr warten." Es kann aber genauso gut heißen, dass wir das Spiel erst Ende nächsten Jahres und somit in kaum weniger als zwei Jahren auf unseren heimischen Bildschirmen genießen dürfen. Und das wäre eine ziemlich lange Wartezeit.
Es kann auch bedeuten, dass wir die nächsten Monate, vielleicht sogar ganz 2021 lang, nichts von Hogwarts Legacy sehen werden. Klar, dass die Vorfreude auf das Spiel darunter leiden dürfte. Sie hat in meinem Fall schon gelitten, weil ich jetzt eben weiß, dass ich sie noch viel länger aufrechterhalten muss, als ursprünglich gedacht. Warner Bros. hat erst im Herbst 2020 einen Hype ausgelöst und ihn nun im Januar vielleicht nicht gänzlich gelöscht, aber doch zumindest ein wenig eingedämmt. Und ich frage mich da: Warum musste man, gerade in einer Zeit der Pandemie, die weitgreifende Auswirkungen auf die Produktion von unter anderem eben auch Videospielen hat, überhaupt bei der Ankündigung ein Release-Fenster nennen? Und hat man sich nun, wo man das Spiel verschieben musste, damit nicht vielleicht sogar selbst einfach nur geschadet?
Wie eine gute Ankündigung aussehen sollte
Nun bin ich jemand, der zu jedem Publisher und Entwickler sagen würde: Wenn ihr ein Spiel schon mit einem Trailer und vielleicht sogar auf einer Messe, einer Pressekonferenz oder, wie es im Corona-Zeitalter nicht anders möglich ist, im Zuge eines Digital-Events präsentiert, dann zeigt uns auch was vom Spiel und nicht bloß nichtssagende vorgerenderte Szenen! Im Fall von Hogwarts Legacy wäre es zwar gelogen zu behaupten, der Trailer sage nichts über das Spiel aus, aber von echtem Gameplay ist nichts zu sehen. Der Titel hat jedoch den Vorteil, dass er auf einer bekannten Marke beruht. Fans können sich somit anhand des Videos trotz fehlender Spielszenen ein gutes Bild davon machen , was sie erwartet, und sie werden das Spiel auch nicht so schnell vergessen. Ein gutes Gegenbeispiel dafür wäre Outriders von People Can Fly: Nachdem der Koop-Shooter der Bulletstorm-Macher auf der E3 2019 mit einem Render-Trailer angekündigt wurde, hatte ich ihn auch schon wieder aus meinem Hirn verdrängt. Erst, seit der Gameplay-Premiere vor einem Jahr, habe ich ihn wirklich auf dem Schirm und freue mich mittlerweile sogar richtig darauf. Die Ankündigung ohne detaillierte Infos und Gameplay-Vorführung im vorletzten Jahr hätte man sich sparen können.
Blenden wir also mal für einen Moment aus, dass mich schon der Render-Trailer zu Hogwarts Legacy, nein, das Versprechen, dass er abgibt, "gehookt" hat, wie man auf Neudeutsch sagen würde. Eine perfekte Ankündigung des Spiels hätte für mich folgendermaßen ausgesehen: Es hätte einen Gameplay-Trailer und ein festes Release-Datum gegeben, das irgendwann zwischen September 2020 und, sagen wir mal, März 2021 gelegen hätte. Ok, Letzteres war in diesem Fall schlicht nicht realistisch. Dann also nur einen Gameplay-Trailer und gar keine Angabe zum Release-Termin? Das hätte mich auch nicht zu 100 Prozent zufrieden gestimmt. Aber es wäre besser gewesen, als mir erst den Mund damit wässrig zu machen, dass ich ja nur noch bis 2021 hätte waren müssen, und dann nur vier Monate später zu sagen: "Sorry, das dauert jetzt doch noch wesentlich länger."
Hogwarts Legacy ist kein Einzelfall. Erinnern wir uns nur mal an die erste Präsentation von The Legend of Zelda: Breath of the Wild auf der E3 2014. Damals hatte es noch keinen Untertitel, sondern wurde einfach nur als das Zelda für die Wii U bezeichnet – und sollte laut Eijii Aonuma 2015 erscheinen. Das daraus nichts werden und das Open-World-Spiel erst zwei Jahre später zum Launch der Switch das Licht der Welt erblicken sollte, wusste der Produzent damals sicherlich genauso wenig wie wir. Aber konnte er sich zu 100 Prozent sicher sein, dass der Titel 2015 seinen Release feiern würde? Ich glaube nicht, denn diese Sicherheit gibt es ein Jahr vor einem geplanten Release schlichtweg nicht – außer vielleicht im Hause EA Sports, wenn es um das nächste FIFA geht (oder eben bei irgendwelchen anderen Entwicklern jährlicher Sportspiel-Updates).
Lösungsvorschläge
Ihr merkt sicherlich, worauf ich hinaus möchte (auch weil ihr die Überschrift gelesen habt): Ich würde mir wünschen, dass Hersteller nicht mehr voreilig Release-Termine beziehungsweise -Zeiträume nennen. Denn letztendlich schüren sie mit den darauffolgenden Verschiebungen nur negative Empfindungen in den Köpfen der Fans. Meiner Ansicht nach gibt es zwei annehmbare Wege, mit dieser Problematik umzugehen.
Option Nummer 1 (das Optimum): Man kündigt ein Spiel wirklich erst ganz kurz vor dem Release an. Das Paradebeispiel dafür: Fallout 4. Auf der E3 2015 enthüllte es Bethesda, im November desselben Jahres kam es heraus. Der Publisher nutzte das halbe Jahr dazwischen intensiv fürs Marketing und am Ende wurde das Rollenspiel zu einem durchschlagenden Verkaufserfolg. Warum geschieht so etwa nicht viel öfter, wenn es doch so gut funktioniert?
Option Nummer 2: Wenn ein Publisher unbedingt meint, sein Spiel schon Jahre im Voraus ankündigen zu müssen, dann sollte er das a) ohne großes Trara und b) keine Angabe zum geplanten Release-Zeitpunkt machen. In der Filmbranche ist es vollkommen normal, dass ein Studio schlicht per Pressemitteilung oder in ähnlich zurückhaltender Form bestätigt, Streifen XY zu produzieren, wenn es noch kein fertiges Drehbuch gibt, weder Regisseur noch Besetzung feststehen und man logischerweise auch noch nichts dazu zeigen kann. Irgendwann ein Jahr vor dem Kinostart gibt es dann einen ersten Teaser-Trailer und in den allerwenigsten Fällen (sofern nicht gerade eine Pandemie herrscht) kommt es zu einer Verschiebung.
Was für Filme funktioniert, funktioniert auch für Spiele
Nun ist mir schon klar, dass man die Filmproduktion nicht zu 100 Prozent mit der Entwicklung von Videospielen gleichsetzen kann. Letztere sind ein vielfach komplexeres Medium, es kann also mehr schiefgehen und daher ist auch die Wahrscheinlichkeit von Verschiebungen höher. Aber die Hersteller könnten sich doch zumindest das Erstgenannte abgucken: Sie kündigen ein Spiel an, dessen Entwicklung noch längere Zeit dauert, ohne einen bombastischen Trailer dafür zu produzieren und verfrüht einen Release-Termin zu nennen. "Aber nur solche Trailer sind doch werbewirksam." Ja, richtiger Einwand, das gilt aber in der Filmwelt ganz genauso. Und da reicht es ja offensichtlich aus, die Marketing-Maschinerie erst dann an zu schmeißen, wenn man sichergehen kann, dass ein Film auch an Tag X in den Kinos anläuft. Warum sollte das nicht auch für Videospiele funktionieren?
"Aber was ist mit den Vorbestellungen? Die sind doch so wichtig geworden." Erstens: Niemand sollte heutzutage noch Spiele vorbestellen, mit Ausnahme von wirklich streng limitierten Sammlereditionen. Alles andere wird niemals irgendwo ausverkauft sein. Vor 20 Jahren war das mitunter noch der Fall, weshalb Vorbestellungen teilweise sinnvoll waren. Heute sind sie aber auch nur noch ein Instrument der Hersteller, mit denen sie gegenüber Investoren prahlen können. Zweitens: Selten kann man ein Spiel schon ein Jahr vor Release vorbestellen. Diese Phase beginnt in der Regel maximal sechs Monate zuvor. Also warum schon früher öffentlich über einen Release-Termin sprechen?
Klar, auch das macht man sicherlich im Hinblick auf Investoren. Aber kann man das nicht irgendwie anders lösen? Wofür gibt es denn die ganzen Finanzberichte und Telefonkonferenzen mit eben jenen Geldgebern? Klar, die Informationen dringen auch stets an die Öffentlichkeit. Aber es besteht eben ein Unterschied dazwischen, in einem solchen Rahmen zu sagen: "Wir planen damit, Spiel XY in dem und dem Zeitraum zu veröffentlichen", und dem Release eines aufwendigen Trailers, an dessen Ende steht: "Erscheint im Jahr/Quartal/Monat X".
Ausnahmesituation Pandemie
Zu guter Letzt möchte ich noch auf die aktuelle Corona-Situation eingehen. Wir haben uns mittlerweile daran gewöhnt, dass es deshalb Verschiebungen gibt, weil die Pandemie eben weitreichende Auswirkungen auf die Spieleentwicklung hat. Und wenn etwa ein Spiel im Jahr 2019 für das Frühjahr 2020 angekündigt wurde und dann wegen COVID-19 um ein paar Monate verschoben werden musste, ist das auch in Ordnung. Warum aber etwa Ubisoft im Juli 2020 Far Cry 6 für den 18. Februar 2021 angekündigt hat, um es dann im Oktober auf das Fiskaljahr 2021/22 verschieben zu müssen (das am 1. April beginnt), ist uns nicht klar.
Ja, im Sommer vergangenen Jahres hatten wir eine Ruhephase, in der sich verhältnismäßig wenig Leute mit SARS-CoV-2 angesteckt haben und auch nicht in jeder Firma Home Office angesagt war. Aber es war eigentlich klar, dass die Pandemie noch nicht besiegt war und eine Verschiebung des Ego-Shooters durchaus im Bereich des Möglichen lag. Da wäre es besser gewesen, ihn zumindest bloß für das erste Halbjahr 2021 anzukündigen, anstatt einen konkreten Termin zu nennen. Gleiches gilt für Riders Republic, das sogar erst im September enthüllt wurde und ebenfalls im Februar hätte erscheinen sollen. Vor knapp zwei Wochen hieß es dann, dass das Multiplayer-Sportspiel irgendwann später in diesem Jahr kommt.
In Zeiten der Pandemie ist die Zeitspanne zwischen dem Tag, ab dem man mit 99-prozentiger Sicherheit sagen kann, wann ein Spiel erscheint, und dem entsprechenden Release-Datum kleiner als sonst. Nur manchmal habe ich das Gefühl, dass das den Herstellern nicht bewusst ist. Jeden angekündigten Veröffentlichungstermin, der vom heutigen Tag aus betrachtet mehr als drei, ja vielleicht sogar zwei Monate entfernt ist, sollte man mit gewisser Vorsicht genießen. Glaube ich wirklich daran, dass Resident Evil Village am 7. Mai erscheint? Oder Back 4 Blood am 22. Juni? Nein. Ich wünsche es mir, aber Geld darauf verwetten würde ich niemals.
Zum Abschluss wünsche ich mir was
Liebe Publisher und Entwickler: Ja, ich weiß, ihr wollt mit frühzeitigen Terminverkündungen Hype schüren. Ja, ich weiß, dass die zu euren festgeschriebenen Marketing- und PR-Plänen gehören. Aber ich glaube einfach, dass ihr davon profitieren würdet, diesbezüglich etwas vorausschauender zu agieren. Wir Spieler, zumindest manche von uns, können durchaus lange auf ein Spiel warten. Aber ständig von Verschiebungen zu erfahren, bereitet uns nicht gerade Freude. Also warum nicht einfach lange Zeit nichts dazu sagen, vielleicht sogar die große Enthüllung erst wenige Monate vor dem Release tätigen und uns dann allesamt positiv überraschen, so wie es einst Bethesda erfolgreich mit Fallout 4 gemacht hat. Gut, das fertige Spiel hat am Ende nicht jeden Fan überzeugt, aber das ist ein ganz anderes Thema. Erfolgreich war es ohne jeden Zweifel. Das wird Hogwarts Legacy sicherlich auch sein – auch dann, wenn Warner Bros. es erst 2022 im großen Stil der Öffentlichkeit präsentiert hätte.
"Halleluja! Endlich kommt ein Open-World-Rollenspiel im 'Harry Potter'-Universum! Und das schon in wenigen Monaten!" Das wäre dann (sicherlich nicht nur) meine Reaktion gewesen. So etwas hätte sich im Internet wie ein Lauffeuer verbreitet. Der Hype wäre riesig und vermutlich größer, als er es jetzt, nach einem Render-Trailer und einer dicken Verschiebung, jemals sein könnte. Ob es sich da wohl gelohnt hat, die Marketing-Kosten im vergangenen Jahr dafür zu investieren? Ich habe da so meine Zweifel.