Ich finde es toll, wie Call of Duty: Modern Warfare gepflegt wird, fürchte aber ein baldiges Ende dieses Services.
Call of Duty – Modern Warfare: Das perfekte Servicegame im falschen Franchise
Activision Blizzard hat unter Videospielfans nicht gerade den besten Ruf. Der Publisher ist eines der größten Unternehmen in der Branche und gerne sagt man ihm nach, alles dafür zu tun, so viel Umsatz wie nur irgendwie möglich zu machen. So hat man es sich in der Vergangenheit schon das eine oder andere Mal mit "Call of Duty"-Spielern verscherzt, weil man nachträglich Mikrotransaktionen in die Titel eingebaut hat, die auch nicht immer rein kosmetischer Natur waren. Aber bei Call of Duty: Modern Warfare, dem jüngsten Spross aus der Spieleschmiede Infinity Ward, zeigt der Konzern ein anderes Gesicht – eines, das mich sehr erfreut. Aber schon jetzt blicke ich auf nicht nur mit einem lachenden, sondern auch einem weinenden Auge auf den Shooter.
Ein glorreicher Start
Call of Duty: Modern Warfare ist ein absolutes Positivbeispiel für das "Games as a Service"-Modell, dass uns Entwickler und vor allem Publisher schon seit vielen Jahren als Heilsbringer verkaufen wollen. "Ihr zahlt einmal 60 Euro für ein Spiel und könnt dann Monate, nein, Jahre spielen, weil wir euch immer wieder neue Inhalte liefern." Das ist das Versprechen. Erfüllt haben es nur die allerwenigsten Titel. Fast immer mangelte es entweder an Content-Nachschub oder es gab unverschämte Mikrotransaktionen, vielleicht sogar auch beides.
Auf Call of Duty: Modern Warfare trifft das nicht zu. Infinity Ward und Activsion haben hier entgegen aller Sorgen, die die Spieler im Vorfeld hatten (die aufgrund der Entwicklung von Black Ops 4 nicht unberechtigt waren) alles richtig gemacht. Das Spiel erschien im Oktober 2019 mit einem riesigen Inhaltspaket. Als Käufer bekam man damals eine zwar kurze und erzählerisch extrem schwache, aber in spielerischer Hinsicht gut designte, abwechslungsreiche Kampagne, einen schwachen Koop-Modus und dafür aber einen richtig guten und vor allem vielfältigen Multiplayer: jede Menge Modi für 12 bis 20 Spieler mit einer ordentlichen Anzahl an Maps, dazu noch den "Feuergefecht"-Modus für kurze 2-gegen-2-Gefechte und "Bodenkrieg" für Battlefield-artige Schlachten mit bis zu 64 Spielern auf großen Karten und mit Fahrzeugen. Letzterer Modus enttäuschte zwar, dafür stimmte der Rest glücklich. Alle Details entnehmt ihr unserem Test.
Infinity Ward und Activision haben also schon mal Fehler Nummer 1, den viele Hersteller bei ihren "ach so tollen" Servicegames gemacht haben, nicht begangen: Das Paket, was im Laden und in den digitalen Stores zum Release verfügbar war, war nicht zu klein, sondern sogar angenehm groß. Um nun aber wirklich als gutes Servicegame in die Annalen einzugehen, waren zwei Dinge nötig: regelmäßiger Nachschub für die Spieler und eine faire Monetarisierung ohne Pay-to-Win-Faktor. Und siehe da: Beide Faktoren wurden erfüllt.
Immer wieder was Neues
Jeden Monat erhält Call of Duty: Modern Warfare neue Inhalte. Die Anzahl an Multiplayer-Maps ist seit Release enorm gestiegen. Allein für die normalen Mehrspielermodi wie "Team Deathmatch" und "Herrschaft" sind in diesen sieben Monaten zehn Karten hinzugekommen – ok, neun, weil eine davon bloß eine kleinere Variante von "Aniyah Palace", einer der Karten der Grundversion, ist. Aber trotzdem: Die Entwickler haben so viele Schauplätze nachgereicht, wie Battlefield 5 nicht mal zum Release geboten hat. Und da sind noch nicht die Maps einberechnet, die man für "Bodenkrieg" und "Feuergefecht" im Laufe der Zeit veröffentlicht hat. Ach ja, all das war natürlich kostenlos.
Bei den Karten hören die Gratisinhaltserweiterungen aber noch nicht auf: Die Macher von Call of Duty: Modern Warfare haben dessen Waffenarsenal erweitert, neue Modi für den gewöhnlichen Multiplayer eingebaut und als Krönung gab es im März dann endlich das, worüber schon lange spekuliert wurde: der Battle-Royale-Modus. Ok, der ist im Prinzip ein eigenständiges Free-to-Play-Spiel namens Call of Duty: Warzone (das obendrein noch den ebenfalls tollen "Beutegeld"-Modus enthält), aber "Modern Warfare"-Spieler haben einfach ein großes Update heruntergeladen und erreichen Warzone schlicht über das Hauptmenü. Und da die Progression eh global ist, kann man die Battle-Royale-Variante als eine Art XXL-Demo für Modern Warfare verstehen. Denn jemand, der gratis Warzone zockt, vollzieht ja vielleicht auch früher oder später das Upgrade auf das Komplettpaket.
Mikrotransaktionen, die ich mir gefallen lasse
Auf Seiten der Monetarisierung gibt es indes keinen Grund für Aufregung. Wir waren damals beim Test noch vorsichtig und gaben Call of Duty: Modern Warfare zunächst keine Wertung, weil der In-Game-Shop erst im Dezember so richtig mit Inhalt befüllt wurde und die erste Saison mit Battle Pass startete. Das war sinnvoll, aber für die Wertung letztendlich unnötig. Denn das Geschäftsmodell erwies sich als äußerst fair, sodass wir im Oktober die gleiche Note vergeben hätten, wie wir es im Dezember letztendlich taten.
Über den Battle Pass lassen sich zwar in jeder Saison neue Waffen freischalten, die gibt es aber gratis für alle Spieler. Wie in Fortnite ist es sogar möglich, in einer Saison so viele COD Points zu erspielen, damit ihr für den nachfolgenden Pass kein Geld ausgeben müsst. Zudem ist alles, was Battle-Pass-Käufern vorbehalten ist, rein kosmetischer Natur. Es gibt zwar Blaupausen für Waffenkonfigurationen, aber die bestehen auch nur aus den Aufsätzen, die jeder freischaltet, indem er einfach die entsprechenden Waffen hochlevelt.
Ein Jahr ohne neues CoD? Das scheint unmöglich
Ok, Infinity Ward und Activision machen alles richtig bei Call of Duty: Modern Warfare, von etwaigen Schwächen beim Kartendesign und der Waffenbalance mal abgesehen. Die Firmen haben hier einen sehr guten Multiplayer-Shooter auf den Markt gebracht, der heute für sein Geld wesentlich mehr Inhalt bietet als noch im Herbst 2019. Warum also bin ich nicht zu 100 Prozent glücklich? Ganz einfach: Wir sprechen hier von Call of Duty.
Ich bin, wie ihr euch an dieser Stelle des Artikels längst denken könnt, keiner der "CoD"-Hasser. Ich beziehe mich hier voll und ganz auf die wirtschaftliche Langzeitstrategie, die Activision seid 2005 verfolgt: den Drang, jedes Jahr ein CoD auf den Markt zu bringen. Für den Herbst 2020 ist bereits ein neuer Teil bestätigt, wenn auch noch nicht offiziell enthüllt. Angeblich soll es ein fünftes Black Ops sein, aber das ist bislang nur ein Gerücht. Das gibt mir noch die Gelegenheit, zu hoffen – darauf, dass das nächste Call of Duty den aktuellen Ableger bitte nicht verdrängt.
Servicegame mit kurzer Haltbarkeitsdauer
Der Gedanke, den Hersteller einst hatten, als sie das "Games as a Service"-Modell aus der Traufe hoben, war, Spieler über einen langen Zeitraum an einen Titel zu binden. Sie sollten nicht bloß einmal die 60 Euro für den Kauf ausgeben, sondern danach immer wieder motiviert sein, kleinere Beträge für Skins oder ähnliche Dinge auszugeben, während man sie mit Gratisinhalten bei der Stange hält. Der Plan bei einem Destiny, The Division oder Overwatch war es nie, dass das nur ein Jahr lang anhalten sollte.
Bei Call of Duty sieht das anders aus. Allerspätestens im November dürfte der nächste Teil auf der Matte stehen. Und dann möchte Activision bestimmt, dass die Leute ihn kaufen, wird also wohl kaum noch neue Inhalte für Modern Warfare finanzieren. Ich würde mir aber genau das wünschen. Ich brauche kein neues Call of Duty, zumindest die nächsten Jahre nicht. Modern Warfare sieht gut aus, hat ein tolles Gameplay und wird aufgrund seiner Vielseitigkeit nicht langweilig. Infinity Ward könnte es noch über einen langen Zeitraum hinweg pflegen, mehr Maps, mehr Modi basteln und mit weiteren kosmetischen Dingen sowie dem Battle Pass dem Mutterkonzern auch noch 2021, 2022 und darüber hinaus Geld in die Kassen spülen.
Call of Duty: Warzone, so viel ist schon bekannt, wird Activision im Herbst nicht fallen lassen. Die Vision ist die, dass sich der Free-to-Play-Titel mit jedem neuen "Premium"-CoD weiterentwickeln soll. Genau das bereitet mir eben die Sorge, dass Modern Warfare ab Herbst in den Plänen des Publishers keine Rolle mehr spielt. Wenn dann keine neuen Inhalte mehr dafür erscheinen und sich der nächste Serienteil ungefähr gleich spielt, wird die große Masse das Lager wechseln und nur noch ein kleiner Teil übrigbleiben, der weiterhin Modern Warfare zockt – es sei denn, das neue CoD macht qualitativ einen deutlichen Schritt zurück, aber davon gehe ich nicht aus.
Ich will nicht, dass die "Modern Warfare"-Server im Herbst hohe Emigrantenzahlen aufweisen. Verdammt, zum ersten Mal bin ich bei einem Spiel versucht, sogar Geld für einen Battle Pass auszugeben, wenn die nächste Saison startet. Ich finde, hier wird einfach ein guter Job gemacht und bin bereit, das auch zu belohnen. Aber es schmerzt, das es für das "Games as a Service"-Modell von Call of Duty eine Sanduhr gibt und mit jedem Tag ein weiteres Körnchen in deren untere Hälfte rinnt. Klar, die gibt es auch für andere Servicegames, aber da ist sie mit bedeutend mehr Sand gefüllt.
Wunschdenken
Am liebsten wäre es mir, wenn einfach kein neues Call of Duty in diesem Jahr erscheinen würde. Doch sofern COVID-19 Activision da keinen Strich durch die Rechnung macht (wonach es laut dem Publisher bislang nicht aussieht), wird sich das nicht verhindern lassen. In diesem Fall hoffe ich, dass der nächste Teil keine vollständige Ablöse für Modern Warfare darstellen wird.
Wie das gehen soll? Nun, vielleicht etwa damit, dass er spielerisch in eine andere Richtung geht. Er muss sich ganz anders anfühlen als sein Vorgänger. Von mir aus dürfte er ruhig wieder schneller, arcadiger sein, so wie Black Ops 4. Das komplette Gegenteil, also ein sehr viel mehr auf Taktik und bedachtes Vorgehen ausgerichtetes CoD, halte ich für absolut unrealistisch, wäre mir aber auch recht.
Wir sind hier nicht bei "Highlander"!
Ich verstehe ja, dass der große finanzielle Erfolg von Activision Blizzard darauf beruht, dass man jedes Jahr ein neues Call of Duty auf den Markt bringt, das den Vollpreis kostet und sich Abermillionen Mal verkauft. Aber ich bin mir sicher, dass der Konzern, wenn er Modern Warfare weiterhin so gut pflegen lässt, auch damit noch auf lange Sicht Gewinn machen könnte. Warum also nicht die Marke aufsplitten, sie sich in zwei unterschiedliche Richtungen entwickeln lassen, die wunderbar koexistieren können?
Beim Forza-Franchise von Microsoft hat es auch geklappt. Klar, Rennspiele sprechen wiederum ganz andere Spielertypen an. Trotzdem machen die Motorsports und Horizons doch sehr gut vor, wie ein Hersteller jedes Jahr mit der gleichen Marke viel Geld verdienen kann, ohne aber sofort immer das Spiel aus dem jeweiligen Vorjahr aufs Abstellgleis zu stellen – gut, zumindest haben sie das bis 2018, denn für Forza Motorsport 8 lässt sich Turn 10 etwas mehr Zeit und bringt den Titel erst dann raus, wenn die Xbox Series X da ist. Aber ich schweife ab.
Ich weiß, dass meine Hoffnungen bezüglich der Zukunft von Call of Duty, zumindest was dieses Jahr betrifft, vergeblich sind. Der neue Teil ist ja längst in Arbeit, die offizielle Ankündigung dürfte kurz bevorstehen. Es ist also schon in Stein gemeißelt, wie es weitergeht. Für mich steht fest: Ich werde bis Herbst sicherlich immer wieder Call of Duty: Modern Warfare anschmeißen. Und wenn es dann soweit ist, dass Activision es zu den Akten legt, werde ich stark sein und das akzeptieren, aber innerlich betrauern, dass der für mich persönlich beste "Games as a Service"-Titel nur ein Jahr lang seinen Service aufrechterhalten hat – weil er dem für dieses Modell falschen Franchise angehört.