Horizon Forbidden West trägt die Bürde, an die Story-Brillanz von Teil 1 anzuknüpfen. Genau da ist es aber gescheitert.
Horizon Forbidden West: Das größte Problem ist der Vorgänger
Auf eine existenzielle Bedrohung folgt die nächste. Man kennt es nur zu gut aus der Realität. Kaum hat Aloy, die Protagonistin der Horizon-Spiele, in der großen Schlacht um Meridian und in einem letzten großen Kampf die Bedrohung für alles Leben auf der Erde gebannt, muss sie feststellen, dass ihr Werk noch nicht verrichtet ist. In Horizon Forbidden West beginnt ein erneuter Wettlauf gegen die Zeit.
Die Ausgangslage sieht erstmal düster aus: Eine tödliche Plage, die scheinbar erneut alles Leben auf der Erde zerstören kann, breitet sich in der Welt aus. Um das zu verhindern, ist Aloy auf der Suche nach einem Backup von GAIA, jener Super-KI, die theoretisch in der Lage sein müsste, das Leben auf dem Planeten zu schützen. Das bildet den Haupthandlungsstrang von Horizon Forbidden West und führt Aloy nach und nach durch die vielen Gebiete der riesigen Open World.
Auf ihrer Reise stößt Aloy immer wieder auf Probleme. Denn es scheinen nicht alle Bewohner der Welt die Notwendigkeit zu sehen, etwas gegen diese Plage zu unternehmen, wo doch beispielsweise Rebellengruppen Landstriche unsicher machen, Erntemaschinen krasse Fehlfunktionen aufweisen und wildgewordene Maschinen die Bevölkerung terrorisieren. Irgendwo scheint es immer ein Problem zu geben, das gerade wichtiger ist, als den Planeten vor dem Untergang zu bewahren. Wer möchte, erkennt hier eine Parallele zur Realität. Trotz der eigentlich spannenden Ausgangslage, hat aber auch die Story von Horizon Forbidden West mit einem großen Problem zu kämpfen: dem Vorgänger.
Das spannendste Mysterium ist schon gelöst
Guerrilla Games ist mit Horizon Zero Dawn das Kunststück gelungen, eine völlig neue Art der Postapokalypse zu kreieren, die voller Mysterien steckt. Warum leben die Menschen wieder in Steinzeit-artigen Verhältnissen? Was hat es mit diesen Robodinos auf sich? Wie kann es sein, dass Aloy scheinbar keine Eltern hat? Antworten auf diese Fragen zu erhalten, haben uns bis zum Ende motiviert und mit Beginn des Abspanns war dann auch nahezu jedes Mysterium aufgeklärt. Daran anzuknüpfen und das erzählerische Niveau zu halten, ist nicht leicht. Und blöderweise entpuppt sich die Geschichte von Horizon Forbidden West als das größte Problem des Nachfolgers.
Die Story ist nicht schlecht erzählt und auch die Charaktere sind alles andere als langweilig oder uninteressant. Aber im Vergleich zum Vorgänger und seinen vielen Geheimnissen, die wir darin unbedingt lüften wollten, wirken die Geschehnisse im verbotenen Westen wie eine normale Sci-Fi-Geschichte mit ein paar kleineren Highlights. Hinzu kommt, das Horizon Forbidden West einen Handlungsstrang aus Horizon Zero Dawn weiter spinnt und nicht allzu viele neue Mysterien und Geheimnisse zu bieten hat.
Besonders enttäuscht hat uns auch, wie selten wir als Aloy tatsächlich irgendeine Entscheidung treffen konnten. Es ist schon klar, dass es bei einem Spiel mit so einer Größe nicht einfach ist, Wahlmöglichkeiten einzubauen, die den Handlungsverlauf signifikant beeinflussen. Allerdings hätte diese Mechanik gut eingesetzt werden können, um Aloys Charakter besser zu definieren. Das passiert auch zuweilen, jedoch extrem selten und hat keine spürbaren Auswirkungen.
Eine traumhaft schöne Welt
Das mag nach Werbung klingen, aber wir glauben nicht, dass ihr momentan eine schönere Spielwelt finden werdet als die von Horizon Forbidden West. Aloy reist durch eine enorm lebendige und dichte Flora und Fauna. Der Wind streift durch Bäume und andere Pflanzen, Tiere und Maschinen durch die Wildnis. Jede Gattung legt ein unterschiedliches Verhalten an den Tag. Gräber folgen zum Beispiel festen Routen und scannen in regelmäßigen Abständen ihre unmittelbare Umgebung ab, Panther treten im Rudel auf und die kaum zu übersehenden und friedlichen Langhälse folgen festen Routen und dienen euch als Ubisoft-artige Aussichtspunkte.
Oft standen wir einfach nur in der Welt herum, beeindruckt von ihrer malerischen Schönheit. Horizon Forbidden West bietet auch nochmal mehr Abwechslung als der Vorgänger und jedes der Biome ist hervorragend in Szene gesetzt. Egal, ob ihr in den dichten Wäldern auf die Jagd geht, durch die staubige Wüste streift, in einer beeindruckenden Unterwasserwelt umher taucht oder hohe Berge erklimmt: Horizon Forbidden West zaubert stets wunderschöne Bilder auf euren Fernseher. Auf der PS5 im “Auflösung bevorzugen”-Modus sieht Guerrilla Games’ Open-World-Spektakel am beeindruckendsten aus. Wer im Menü in den Performance-Modus wechselt, hat dank 60 FPS ein deutlich flüssigeres Spielerlebnis, muss aber ein paar optische Abstriche in Kauf nehmen, die sich jedoch in Grenzen halten.
Die Spielwelt ist aber nicht nur hübscher, sondern auch größer und sie ist bis unters Dach mit Aufgaben vollgestopft. Darunter fallen beispielsweise Kämpfe in einer Arena, Maschinenrennen, Beuteaufträge oder auch ein eigenes kleines Brettspiel. Besonders positiv stechen die Nebenquests heraus. Die sind in Horizon Zero Dawn zwar eine nette Dreingabe gewesen, haben aber nicht unbedingt durch brilliantes Game Design aus der Masse hervorgestochen. Die optionalen Missionen in Horizon Forbidden West jedoch (die das Spiel auch selbst als Nebenquests kategorisiert) erzählen mehr oder weniger lange Geschichten und geben vielen Gebieten, die ihr im Zuge der Hauptgeschichte besucht, deutlich mehr Tiefe.
Recht am Anfang macht ihr im Dorf Kettenkratz halt und müsst euch um Maschinen kümmern, die die Bewohner terrorisieren. Wie die Maschinen überhaupt auf die Bewohner losgelassen wurden und wer dahinter steckt, ist nicht etwa Teil der Hauptquests, sondern verbirgt sich in einer ganzen Reihe rein optionaler Aufgaben. Nicht jede Nebenquest eskaliert auf diese Weise in Sachen Umfang, grundsätzlich bewegen sich die vielen Nebengeschichten aber auf einem hohen Niveau.
Gleiches Kampfsystem, nur viel besser
Wenig überraschend sind die vielen unterschiedlichen Maschinenwesen wieder das coolste Alleinstellungsmerkmal. Das liegt nicht nur an der enorm gesteigerten Artenvielfalt, sondern auch an dem überarbeiteten Kampfsystem. Wie schon im Vorgänger könnt ihr mit eurem Scanner die Schwachpunkte eines Roboters herausfinden und diese gezielt angreifen. Manche Treffer auf bestimmte Teile lösen sogar spektakuläre Kettenreaktionen aus, die euren Gegner in einem gewaltigen Effektgewitter explodieren lassen.
Gezieltes und taktisches Vorgehen ist in Horizon Forbidden West der Schlüssel zum Erfolg. Wer sich nicht um die Schwächen oder kritischen Punkte der Roboterdinos schert, wird ziemlich schnell zu Maschinenfutter verarbeitet. Der Bebenzahn, eine der neuen Kreaturen, kann euch mit seinem Raketenwerfer ganz schön zusetzen. Ein kurzer Blick durch den Scanner offenbart euch, dass sich aber genau diese Waffe von seinem Körper abtrennen lässt.
In den Hauptquests warten natürlich auch viele Überraschungen und einzigartige Kämpfe mit Maschinen auf euch. Bei diesen Bossbegegnungen gilt es umso mehr, dass ihr euren Gegner studieren müsst, ansonsten habt ihr auf dem normalen Schwierigkeitsgrad und erst recht auf den höheren Stufen keine Chance auf einen Sieg. Sollte euch ein Kampf aber doch einmal zu schwer sein oder habt ihr generell nur Interesse an der Geschichte, könnt ihr jederzeit in den Story-Modus wechseln, der die Schwierigkeit in den Kämpfen deutlich abschwächt.
Ein bisschen kritteln müssen wir am Kampfsystem aber leider doch. Dank der vielen Fertigkeiten, die ihr über die Talentbäume freischaltet, die wirklich für jeden Spielertypen etwas bereithalten, und den vielen Kombinationsmöglichkeiten unterschiedlicher Spielstile bleibt der Nahkampf leider wieder ein Schwachpunkt. Zwar könnt ihr euren Widersachern jetzt mit Kombos einheizen, aber aufgrund einer fehlenden Lock-On-Funktion arten Nahkämpfe bei vielen Gegnern in wildes Tastengekloppe aus, bis ihr alle Lebensbalken um euch herum runter gedroschen habt. Ein kleiner Blick Richtung Assassins Creed Valhalla zeigt ganz gut, dass Nahkämpfe mit vielen Gegnern oder gar in großen Schlachten nicht zu einem unübersichtlichen Gewusel ausarten müssen. Dieses Manko gilt vor allem für Kämpfe mit menschlichen Gegnern. Aber keine Sorge! So dröge wie in Horzion Zero Dawn sind sie dann doch nicht.
Großes Waffenarsenal
Aloys Waffenarsenal hat Guerrilla Games ebenfalls überarbeitet. Neben den bekannten Waffen Speer und Bogen, könnte ihr eure Gegner in Horizon Forbidden West mit Wurfspeeren oder dem Häckslerhandschuh bekämpfen, der eine Diskus auf eure Gegner abfeuert. Jede Waffe besitzt außerdem verschiedene Elementarangriffe. Für euren Bogen könnt ihr beispielsweise neben normalen Pfeilen auch Eis- oder Säurevarianten herstellen, die gegen bestimmte Maschinen besonders effektiv sind.
Im Laufe des Spiels schaltet ihr über die Talentbäume waffenspezifische Fertigkeiten frei. Mit der Fähigkeit “Pfeilregen” verursacht euer Bogen plötzlich Flächenschaden und kann mehr als einen Gegner gleichzeitig treffen. Die Mutstöße sind ebenfalls neu. Das sind mächtige Spezialangriffe, die ihr durch das Treffen von Schwachstellen bei euren Gegner aufladen und dann aktivieren könnt.
Solltet ihr euch bei einem Blick auf die sechs großen Talentbäume und die vielen verschiedenen Mutstöße überfordert fühlen, empfehlen wir euch wärmsten, alle Menüs einfach wieder zu schließen und weiterzuspielen. Das Allermeiste ergibt sich von selbst, während ihr die Welt von Horizon Forbidden West durchstreift. Das Kampfsystem des Spiels fällt zwar enorm umfangreich aus, ist aber eigentlich nicht schwer zu verstehen.
Bei der Open World hapert es etwas
Im Vorfeld versprach Guerrilla Games eine vertikalere Spielwelt. Man hat uns einen Gleitschirm wie aus Breath of the Wild, einen Greifhaken sowie ein umfangreicheres Klettersystem und eine Atemmaske für endlos lange Tauchgänge vorgestellt. All das ist vorhanden, allerdings nicht in dem Ausmaß, das wir uns erhofft hatten. “Freies” Klettern ist nur an bestimmten Felswänden und gelb markierten Stellen an Gebäuden möglich. Das Material aus den Trailern und die Aussagen der Entwickler suggerierten uns aber eine Klettermechanik, die an Breath of the Wild erinnerte. Dort könnt ihr, bis auf wenige Ausnahmen in den Dungeons, im Grunde jeden Felsen erklimmen.
Von diesem Freiheitsgrad ist Horizon Forbidden West meilenweit entfernt. Somit wird eine der größten Gameplay-Neuerungen leider zeitgleich zu einer großen Enttäuschung. Obendrein müsst ihr den Gleiter außerhalb mancher Rätsel nie wirklich einsetzen und der Wow-Moment, wenn ihr von einer erhöhten Position aus langsam Richtung Boden gleitet, nutzt sich irgendwann ab. Der Greifhaken kann leider auch nur an fest vordefinierten Positionen eingesetzt werden. Das Tauchen durch klare Gewässer und mitten durch eine florierende Unterwasserwelt ist zugegebenermaßen ziemlich cool, hätte aber auch mehr Raum vertragen können. Es gibt beispielsweise kaum Interaktionsmöglichkeiten und vor Gegnern im kühlen Nass könnt ihr euch nur verstecken. Dort unten ist kein Kampf möglich.
Die Interaktivität mit der Spielwelt an sich geht leider auch nie wirklich über den Open-World-Standard hinaus. Ihr stoßt zwar auf deutlich mehr Belohnungen, wenn ihr die Welt auf eigene Faust erkundet, trotzdem findet ihr nicht überall ein cooles Detail, obwohl manche Orte zunächst vielversprechend aussehen. In Red Dead Redemption 2 habt ihr fast an jeder Ecke irgendwas zum Entdecken. Breath of the Wild belohnt ausgeprägten Entdeckergeist ebenfalls ständig. In Horizon Forbidden West ist so etwas nicht völlig abwesend, aber in merklich geringerem Maße vorhanden.
Fazit
Was bleibt, ist ein Open-World-Spiel von einer technischen und handwerklichen Qualität, das ihr auf diesem Niveau noch nie gesehen habt. In der traumhaft schönen Spielwelt von Horizon Forbidden West kann man sich an vielen Spots verlieren und lange die wundervollen Panoramen bestaunen. Geht es doch einmal zur Sache, wartet ein (bis auf den Nahkampf) ausgefeiltes und exzellentes Kampfsystem gegen coole Maschinentiere auf euch. Spielerisch sackt Guerrilla Games alle zu vergebenen Punkte ein. Die Story darf das nächste Mal gerne wieder origineller ausfallen und weniger auf Standard-Tropes zurückgreifen.
- Technisch ein absolutes Meisterwerk
- Wunderschöne Spielwelt
- Vielfältige Gegnertypen
- Ausgereiftes Kampfsystem
- Taktisches Vorgehen wird enorm belohnt
- Nebenquests mit tollen Geschichten
- Abwechslungsreiche Biome
- Langweiliger, uninspirierter Plot
- Enttäuschendes Klettersystem
- Immer noch keine Lock-on-Funktion
- Kaum Interaktionsmöglichkeiten unter Wasser
- Wenig Spannendes zu entdecken