Jede Menge Drama und Probleme unter der heißen Sonne Arizonas: As Dusk Falls hat erzählerisch enorm viel zu bieten.
As Dusk Falls im Test: Emotionaler Ritt durch Arizona
Spiele, die von einem großen Publisher wie Xbox Game Studios vertrieben werden, schaffen es dieser Tage nur noch selten, uns so richtig positiv zu überraschen. As Dusk Falls ist genau so ein Spiel. Die Ankündigung des Titels sorgte damals noch für einiges Stirnrunzeln. Warum veröffentlicht Microsoft ein Spiel, das mechanisch irgendwo zwischen der Telltale-Formel und einer Visual Novel anzusiedeln ist, und kann der eigenwillige Animationsstil durch das ganze Spiel tragen? Tatsächlich entpuppt sich As Dusk Falls als ein enorm emotionales Spiel, an dessen Ende die Nerven durchaus blank liegen können.
Hinter dem Titel steht das kleine Entwicklerstudio INT./NIGHT. As Dusk Falls mag zwar das Erstlingswerk des Teams sein, die führenden Köpfe haben in der Vergangenheit aber bereits vor allem in leitender Funktion an Heavy Rain und Beyond: Two Souls mitgearbeitet und das merkt man As Dusk Falls durchaus an. Aber keine Sorge! David Cage hatte mit dem Writing nichts zu tun! Er sollte sich vielleicht viel eher mit dem Produkt seiner ehemaligen Kollegen beschäftigen oder wie ihr den folgenden Test lesen.
Kleiner Hinweis, bevor es richtig los geht: As Dusk Fall ist ein Spiel, in dem die Story der wichtigste Aspekt ist. Wir werden also um kleinere Spoiler nicht herumkommen, um über das Spiel sprechen zu können. Ganze Lösungswege oder harte Spoiler werden wir natürlich vermeiden.
Unfall auf der Route 66
As Dusk Falls beginnt im Intro noch einigermaßen kryptisch. Eine Zoe erzählt euch bedeutungsschwangere Dinge mit schwerem Tonfall, die nicht so recht Sinn ergeben. Bevor allzu viele Gedanken verschwendet werden, blendet das Spiel schon weiter. Vater Vince sitzt mit Tochter Zoe auf einer überdachten Bank an einer Autobahnraststätte an der Route 66, irgendwo in Arizona. Hier übernehmt ihr das erste Mal die Kontrolle über eine Figur und schlüpft in die Rolle von Vince. Während ihr euch also mit eurer Tochter unterhaltet und ein kleines Spiel spielt, macht euch As Dusk Falls mit den überschaubaren Mechaniken vertraut: verschiedene Antwortmöglichkeiten, die den Ausgang einer Szene beeinflussen, und außerhalb von Dialogen Points of Interest wie in einem Point-and-Click-Adventure anklicken. Die Szene auf dem Rastplatz macht schnell klar, dass die beiden eine gute Beziehung zueinander haben. Kurze Zeit später steigen Vince und Zoe wieder zu Mutter Michelle ins Auto. Schnell stößt auch Großvater Jim mit Hund Zeus dazu. Die kleine Familie macht sich weiter auf den Weg über die Route 66.
Was sich auf dem Rastplatz angedeutet hat, stellt INT./NIGHT spätestens während dieser Autofahrt unter Beweis: Die ganz große Stärke von As Dusk Falls ist das Writing. Den Autoren gelingt es bis auf einige wenige Ausnahmen, glaubhafte Gespräche zu inszenieren und schlüssige Reaktionen der Gesprächspartner darzustellen. Am Beispiel der Autofahrt bedeutet das konkret, dass keine der Figuren in die Rolle eines Mr. oder Mrs. Exposition schlüpft und euch erstmal haarklein erklärt, was hier eigentlich gerade passiert und warum. Wozu auch? Die Figuren selbst wissen das bereits. Stattdessen ergibt sich organisch Stück für Stück, dass Vince und Michelle mit Zoe, Jim und Zeus das sonnige Kalifornien nicht ganz aus freien Stücken Richtung St. Louis in Missouri verlassen haben. Im weiteren Verlauf scheinen innerhalb der Familie unterschiedliche Ansichten zu existieren, ob die getroffene Entscheidung überhaupt richtig war.
Lange könnt ihr über den Konflikt ohnehin nicht nachdenken, da ein Unfall inklusive Fahrerflucht der Verursacher dazu führt, dass ihr ganz andere Probleme habt. Der Wagen ist hin. Etwas weiter die Route 66 herunter schält sich ein Motel aus der staubigen Wüste: das Desert Dream Motel. Ihr als Spieler spürt bereits die Spannung in der Luft und versucht, euch nochmal an die Unfallflüchtigen zu erinnern. Hatten die nicht Masken auf? Waren da nicht für den Bruchteil einer Sekunde Waffen auf dem Rücksitz zu sehen? Sehr viel mehr können wir euch auf inhaltlicher Ebene über die Geschichte von As Dusk Falls nicht erzählen, ohne in tiefes Spoiler-Territorium abzutauchen.
Soviel sei aber als Zwischenfazit zur Story gesagt: Die Geschichte bleibt durchweg auf einigermaßen realistischen Pfaden und die Charaktere reagieren in den überwiegenden Fällen nachvollziehbar. Es existieren allerdings auch einige wenige Ausnahmen. Beispielsweise, wenn ein riesengroßes Eheproblem in zwei Sätzen für immer gelöst wird oder wenn ein Schütze, ausgerüstet mit einem Scharfschützengewehr, sein Ziel verfehlt, obwohl es ganz ruhig in der Gegend herumsteht. Besonders im letzten Drittel schlägt As Dusk Falls sehr ernste Töne an und konfrontiert euch mit Themen wie Drogenmissbrauch, Suizid und Angststörungen. Diese sehr sensiblen Themen behandeln die Entwickler durchweg mit dem nötigen Respekt und viel Empathie. Für diejenigen unter euch, die sich verständlicherweise nicht mit solchen Themen auseinandersetzen möchten oder können, hat INT./NIGHT eine "Überspringen"-Funktion eingebaut. Da es sich hierbei lediglich um eine Rückblende handelt, die kaum Auswirkungen auf die Gegenwart hat, müsst ihr nicht befürchten, wesentliche Teile Handlung zu verpassen.
Viele, viele Entscheidungen
In As Dusk Falls werdet ihr immer wieder vor mal mehr und mal weniger schwierige Entscheidungen gestellt. Die wirklich wichtigen werden euch mit "Scheideweg: Wähle sorgfältig" angezeigt. Oft ist zu dem Zeitpunkt aber noch gar nicht klar, worauf sich die Entscheidung auswirken wird. Ihr könnt schlicht nicht wissen, ob es nun "gut" oder "schlecht" ist, einen unsympathischen Typen auf einer Party mit seinem sexistischen Fehlverhalten zu konfrontieren. Genauso wenig ist immer klar, ob ihr versehentlich Leid verursacht, wenn ihr Entscheidung X auswählt. Dadurch entstehen viele Graustufen und den Entwicklern gelingt es so, immer wieder zu verschleiern, welcher Weg zu einem guten oder schlechten Ende führt. Wäre da nicht der Story-Baum und die Möglichkeit, bestimmte Szenarien neu zu spielen und den Spielfortschritt zu überschreiben.
Dieser Story-Baum steht in einem krassen Widerspruch zum eigentlich gelungenen Design der Entscheidungen. Ihr könnt bereits, während das Spiel noch läuft, zu bestimmten Abschnitten zurückkehren und sie erneut spielen, wenn euch das Resultat eurer Entscheidung nicht gefällt. Zwar existieren durchaus Entscheidungen, die erst deutlich später ihre Auswirkungen offenbaren, allerdings lassen sich die an einer halben Hand abzählen und so viel Einfluss nehmen sie dann letzten Endes auch nicht. As Dusk Fall wäre ein besseres und vor allem konsequenteres Spiel, wenn der Story-Baum entweder nicht existieren oder erst freigeschaltet werden würde, wenn ihr das Spiel einmal durchgespielt habt.
Wer die Last der Qual der Wahl nicht alleine auf seinen Schultern tragen möchte, kann As Dusk Falls auch im Multiplayer, wahlweise lokal oder online, spielen. Das funktioniert nach einem ähnlichem Prinzip wie in den Titeln von Supermassive Games. Bei einer wichtigen Entscheidung darf jeder Spieler eine Möglichkeit wählen. Ist einem Spieler eine Entscheidung ganz besonders wichtig, kann er sich mit einer Wildcard durchsetzen. Wie viele davon jeder eurer Mitspieler erhält, könnt ihr vorher im Menü festlegen.
Eigenwillige Grafik und leicht hakeliger Ton
Die Geschichte von As Dusk Falls gehört ganz klar zu den großen Highlights dieses Jahres, die Animationen der Charaktere eher nicht. Sie bewegen sich nicht flüssig wie beispielsweise in den Quantic-Dream-Spielen oder auch im kürzlich erschienenen The Quarry, sondern sehr ruckartig über den Bildschirm, während viele Objekte, etwa Fahrzeuge, ganz normal animiert wurden. Das führt zu einem sehr eigenwilligen Gesamtpaket, an das man sich durchaus erst einmal gewöhnen muss. Unterm Strich hätten wir uns aber etwas mehr Figurenanimationen gewünscht.
Obwohl As Dusk Falls technisch eine gute Figur macht, ist uns gelegentlich eine eigenartige Abmischung der Synchronisation aufgefallen. In einigen wenigen Situationen, in denen besonders viel passiert oder mehrere Tonspuren übereinander liegen, werden die Stimmen plötzlich unerklärlich leise. Stellenweise sogar so leise, dass sie kaum noch zu verstehen sind. Abseits der gelegentlich seltsamen Abmischung kann die deutsche Synchronisation voll überzeugen. Es hat sich auf jeden Fall ausgezahlt, erfahrene Synchronsprecher aus der Film- und Serienwelt zu engagieren.
An dieser Stelle müssen wir noch unbedingt den stimmungsvollen Soundtrack loben. As Dusk Falls wird episodisch erzählt und jede Folge wird durch einen passenden Song in den Credits begleitet. Das trägt stark zur stimmungsvollen Atmosphäre bei.
Fazit
As Dusk Falls ist ein enorm stimmungsvolles und spannendes interaktives Drama. Bis auf wenige kleine Logikfehler reißt euch die Geschichte mit all ihren herzlichen und vielschichtigen Charakteren voll in ihren Bann. Nach jeder Episode verspüren wir einen großen Drang, gleich mit der nächsten anzufangen. Allerdings hätten wir uns einen weniger experimentellen Grafikstil gewünscht. Besonders die ruckartigen Animationen der Figuren können sehr stören. Nichtsdestotrotz können wir As Dusk Falls jedem nur wärmstens empfehlen, der etwas mit Spielen im Stil der Quantic-Dream-Titel (das Writing von David Cage mal ausgeklammert) anfangen kann. Außerdem ist es mit Xbox Game Studios als Publisher Teil des Game Pass. Wer den eh schon nutzt, sollte As Dusk Falls auf jeden Fall eine Chance geben.
- Spannende Geschichte
- Glaubhafte Charaktere
- Cooler Soundtrack
- Entscheidungen haben wirklich Konsequenzen
- Kein langweiliges Gut-/Bose-Schema
- Überzeugende deutsche Synchronisation
- Grafikstil gewöhnungsbedürftig
- Animationen der Figuren teils sehr störend
- Story-Baum gleich zu Beginn verfügbar