Die Optik des Microsoft Flight Simulator begeistert Jens, aber er denkt, dass sie den Test der Zeit nicht bestehen wird.
Die Grafik des Microsoft Flight Simulator: Heute hui, in zehn Jahren pfui?
"Holla die Waldfee!" Das ungefähr waren meine ersten Gedanken, als ich erstmals Bilder vom neuen Microsoft Flight Simulator gesehen habe. So dürfte es vielen Leuten ergangen sein, als der Redmonder Konzern den Titel auf der E3 2019 recht überraschend ankündigte. Niemand hatte vermutlich damit gerechnet, dass er jemals einen weiteren Teil der Reihe produzieren würde, 13 Jahre nach dem Microsoft Flight Simulator X. Aber nein, das Unternehmen hat die Marke mit Hilfe des französischen Entwicklers Asobo Studio (A Plague Tale: Innocence) wiederbelebt. Der Grund fürs Erstaunen war aber nicht die Auferstehung von den Toten, sondern die Grafik.
Der Microsoft Flight Simulator stellt den gesamten Erdball im Maßstab 1:1 dar – und das in 3D. Vorbei sind die Zeiten, in denen der Boden nur ein reiner Texturmatsch ist. Im neuen Teil fliegt ihr über ein realistisch aussehendes New York, London, Tokio oder Berlin. Auf den Straßen fahren Autos umher und in der Wildnis lassen sich sogar Tiere entdecken. Die Topografie der Erde wirkt authentisch. Dazu kommen die immens detaillierten Flugzeuge (sowohl von außen als auch in der Cockpit-Ansicht von innen), die realistisch wirkende Beleuchtung und die sensationell gutaussehenden Wolken. Überhaupt das Wetter: Noch nie war es in einem Videospiel so beeindruckend und glaubhaft, wenn ihr durch einen Sturm geflogen seid.
Eine KI baut die Erde nach
Ich sage es, wie es ist: Der neue Flight Simulator ist eine Grafikbombe, das erste wahre Next-Gen-Spiel, obwohl die neuen Konsolen noch gar nicht da sind. Möglich machen das nicht nur talentierte Grafiker und Programmierer, sondern auch eine KI. Asobo hat die mit den Bildern von Bing Maps, Microsofts Alternative zu Google Maps, gefüttert, damit sie daraus 3D-Umgebungen entstehen lässt. Dadurch ist es eben möglich, dass ihr im Microsoft Flight Simulator die ganze Welt in dem hohen Detailgrad per Flugzeug erkunden könnt, den die Simulation bietet.
Zugegeben, die Technik ist noch nicht perfekt. Die KI kann eben (noch) nicht aus den 2D-Fotos von Bing Maps exakte Nachbauten der realen Städte unseres Planeten bauen. Ich bin zum Beispiel über mein Haus (also das, wo meine kleine 35-Quadratmeter-Wohnung drin ist) geflogen. Ja, es ist an der exakten Position, wo es in der echten Welt steht. Ja, alle Straßenzüge rund herum sind korrekt und allein das schafft schon mal einen riesigen Wiedererkennungswert. Aber das Haus ist nicht exakt das Gebäude, in dem ich wohne. Die Größe stimmt, das Äußere aber nicht. Aber wie soll das auch gehen, wenn auf dem entsprechenden Foto, das als Basis gedient hat, vermutlich nur das Dach zu sehen ist? So kommt es dann auch, dass da, wo im echten Leben eine Tankstelle steht, im Microsoft Flight Simulator bloß irgendein anderes flaches Gebäude zu finden ist.
Nicht alles ist schön
Solche Ungenauigkeiten sind aber gar nicht der Aspekt, der mich dazu gebracht hat, diese Kolumne zu schreiben. Dazu haben eher die grafischen Schwächen geführt, die das Spiel (wenn man den Flight Simulator als solches überhaupt bezeichnen kann) hat und die niemand von der Hand weisen kann. Denn so toll alles aus großer Höhe aussieht, so sehr fallen bei näherer Betrachtung wahrlich unschöne Stellen auf. Aber an dieser Stelle lasse ich besser Bilder statt Worte sprechen.
Wie ihr seht, gibt es am Boden nicht nur matschige Bodentexturen, sondern auch die eine oder andere Fehlinterpretation der KI. Und auch nicht jedes Gebäude wird in 3D dargestellt. Ich zeige an dieser Stelle nicht mit dem metaphorischen Finger auf diese Stelle, um zu sagen: "Guckt mal, so geil ist die Optik gar nicht!" Denn ich bin genauso begeistert von der Technik des Microsoft Flight Simulator wie viele andere. Was Asobo hier auf die Beine gestellt hat, ist beeindruckend. Dass die KI eben noch keine perfekten Ergebnisse liefert? Geschenkt! Vermutlich wird sie in den nächsten Jahren auch noch verbessert, sodass die Weltdarstellung nach und nach realistischer werden könnte.
Blick in der Zukunft auf die Vergangenheit
Ich konnte mich beim Spielen aber eines Gedankens nicht erwehren: In zehn Jahren werden wir auf die Release-Version des Microsoft Flight Simulator zurückblicken und sagen: "Wow, und das fanden wir damals grafisch so sensationell." Ich musste tatsächlich daran denken, wie wir nicht erst heute, sondern schon 2010 die 3D-Spiele der Neunziger und frühen 2000er als technisch völlig veraltet wahrgenommen haben. PS1-Spiele kann man sich heutzutage einfach nicht mehr anschauen, sofern man keine rosarote Brille der intensivsten Tönungsstufe aufhat. Und ich glaube, dem Flight Simulator in seiner jetzigen Version wird es 2030 genauso ergehen.
Dabei beziehe ich mich rein auf die Darstellung dessen, was auf dem virtuellen Erdboden zu sehen ist. Die Flugzeuge, Licht- und Wettereffekte werden in zehn Jahren ein "Hey, das schaut immer noch echt gut für sein Alter aus" entlocken. Aber wo wir heute noch über die optischen Problemzonen der Erde im Microsoft Flight Simulator hinwegschauen können, wird das 2030 nicht mehr funktionieren. Die Technik wird sich bis dahin wieder immens weiterentwickelt haben. Vielleicht kann die KI von Microsoft dann sogar jeden Straßenzug realistisch nachbilden. Und dagegen würden Bilder aus der derzeitigen Fassung des Spiels vollkommen abstinken.
Spiele können noch zehn Jahren immer noch gut aussehen
Um meinen Standpunkt nochmal etwas deutlicher zu machen: Schauen wir uns Blockbuster aus dem Jahr 2010 an. Was waren die großen Grafikkracher jenes Jahres? Mir fällt da direkt God of War 3 ein. Das sieht heute immer noch gut aus für sein Alter. Ein anderes Beispiel: Metro 2033. Ich habe den ersten Teil der Shooter-Reihe von Entwickler 4A Games erst vergangenes Jahr gespielt, um mich auf den Test zu Metro Exodus vorzubereiten. Dabei war ich immer noch erstaunt darüber, wie gut ein (zum damaligen Zeitpunkt) neun Jahre altes Spiel aussehen kann. Auch ein Heavy Rain macht heute immer noch eine gute Figur, obwohl sich die Technik in puncto Gesichtsanimationen seitdem immens weiterentwickelt hat – der Sprung zu The Last of Us: Part 2 ist sehr groß.
Der aktuelle Microsoft Flight Simulator – jegliche etwaigen Updates, die in Zukunft die Grafik optimieren, ausgeklammert – wird diesen Status meiner Meinung nach nicht erreichen. Dafür fallen mir die Mängel jetzt schon zu sehr auf und 2030 werde ich über sie wohl kaum noch hinwegsehen können. Ist das schlimm? Mitnichten! 1995 fanden ja auch noch alle die Grafik die ersten PS1-Spiele toll. Es gibt eben bloß die einen Spiele, die optisch gut altern, und die anderen, denen das nicht vergönnt ist. Und zwischen all der Begeisterung über die Technik des Microsoft Flight Simulator will mir nicht aus dem Kopf gehen, dass der Titel in seiner aktuellen Fassung zu letzterer Sorte dazugehören wird.