Aus einem Bericht von Jason Schreier geht hervor, wie sehr die Entwicklung von Cyberpunk 2077 schiefgelaufen ist.
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Entwickler wussten von Problemen, aber hatten zu wenig Zeit
2012 – das ist ganz schön lange her, oder? Damals kündigte CD Projekt Cyberpunk 2077 an. Acht Jahre später ist das ambitionierte Rollenspiel erschienen und trotz hoher inhaltlicher Qualität ist es zu einer riesigen Enttäuschung geworden, weil viele Bugs und auf PS4 sowie Xbox One auch noch eine miserable Performance den Spielspaß mindern beziehungsweise gar komplett eliminieren. Es ist klar, dass intern bei CD Projekt mächtig was schiefgelaufen ist. Nun hat uns Jason Schreier von Bloomberg einen tieferen Einblick hinter die Kulissen gewährt. Der Journalist hat mit 20 aktuellen und ehemaligen Mitarbeitern gesprochen, die meisten von ihnen wollten anonym bleiben. Die Erkenntnisse sind....Nun, sagen wir es so: Überrascht sind wir nicht.
Ein großes Wagnis
Wie Schreier berichtet, ist die Entwicklung von Cyberpunk 2077 sehr chaotisch verlaufen. So richtig hat die Produktion im Jahr 2016 begonnen – CD Projekt hat nicht etwa sieben bis acht Jahre an dem Projekt aktiv gearbeitet, wie manch einer glaubt. The Witcher 3 musste ja erst mal fertiggestellt werden. Das Fantasy-Spiel erschien 2015, erst danach konnten die Arbeiten an Cyberpunk 2077 volle Fahrt aufnehmen.
Bis hierhin ist alles noch soweit in Ordnung und entspricht der Normalität. Doch in der Produktionsphase des Sci-Fi-RPGs lief dann längst nicht alles glatt. Klar, CD Projekt stellte sich einer riesigen Herausforderung. Cyberpunk 2077 ist eine ganz andere Art Spiel als The Witcher 3. Ja, beide gehören demselben Genre an. Aber während ihr in letzterem Titel eine mittelalterlich angehauchte Welt aus der Third-Person-Perspektive erkundet, Monster mit Schwertern in Stücke schneidet und mit dem Pferd durch Wälder und über Wiesen reitet, seid ihr in Cyberpunk 2077 in einer futuristischen Metropole unterwegs, fahrt Autos, nutzt Schusswaffen, schleicht und hackt und macht all das aus der Ego-Ansicht. Wie Jason Schreier schreibt: "Cyberpunk zu machen, setzte voraus, dass CD Projekt in neue Technologie, neue Mitarbeiter und neue [Entwicklungs-]Techniken, mit denen man nie zuvor Erfahrungen gemacht hatte, investieren musste."
Zu viel gewollt in zu kurzer Zeit
Einer der großen Fehler des Studios: Man habe die grundlegende Technik parallel zu den Inhalten und Gameplay-Systemen entwickelt. Ein Teammitglied habe das Ganze gegenüber Schreier damit verglichen, einen Zug schon zu fahren, während dafür die Gleise verlegt werden. CD Projekt wollte wohl nicht zu viel Zeit in die Entwicklung von Cyberpunk 2077 investieren. Man plante anscheinend damit, es in der gleichen Zeitspanne fertigzustellen wie The Witcher 3. Laut Adrian Jakubiak, einem ehemaligen Audioprogrammierer, habe einer seiner Kollegen während eines Meetings gefragt, wie die Firma denken könne, in der Lage zu sein, ein technisch viel anspruchsvolleres Projekt im gleichen Zeitfenster wie das vorherige Spiel zu produzieren. Darauf habe man geantwortet: "Wir werden das entlang des Wegs herausfinden." "Ich wusste, dass das nicht gut gehen würde", so Jakubiak gegenüber Jason Schreier. "Ich wusste nur nicht, wie desaströs es werden würde."
Letztendlich gab das Management dem Entwicklerteam schlicht zu wenig Zeit. Die E3-Demo von 2018 sei fast komplett gefakt gewesen. Viele der Gameplay-Systeme hätte man zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht finalisiert. Die Mitarbeiter, mit denen Schreier gesprochen hat, haben gemeint, dass man die Arbeitszeit besser in das eigentliche Spiel hätte investieren sollen. So seien Monate dafür draufgegangen, die Messedemo zusammenzuschustern.
Als CD Projekt auf der E3 im Folgejahr bekannt gab, Cyberpunk 2077 werde am 16. April 2020 erscheinen, haben das die Mitarbeiter nicht fassen können. "Eine Person sagte, sie hätten das für einen Witz gehalten", schreibt Schreier. Basierend auf dem Produktionsfortschritt hätten die Entwickler erwartet, dass das Spiel 2022 fertig sein würde. In dem Bericht heißt es sogar, dass man intern Memes über eine vermeintliche Verschiebung gemacht und gar Wetten darüber abgeschlossen habe, wann das passieren würde. Nun wurde Cyberpunk 2077 nicht nur einmal, sondern gleich dreimal innerhalb eines Jahres verschoben: von April auf September, dann auf November und schlussendlich auf den 10. Dezember 2020. Doch gerade die letzte Verzögerung war offensichtlich nichts anderes als eine Verzweiflungstat, um den Programmierern nochmal drei Wochen zu geben, in denen sie so viele Bugs wie möglich fixen sollten.
Ignoranz und die Pandemie schadeten den Konsolenversionen
CD Projekt mangelte es dem Bericht zufolge an zwei Dingen: einem guten Management und (durch ersteres bedingt) Zeit. Die Führungsetage habe Cyberpunk 2077 unbedingt auf den Markt bringen wollen, bevor die neuen Konsolen von Microsoft und Sony überhaupt erst angekündigt werden sollten. So hätte man das Spiel erst für PC, PS4 und Xbox One und später nochmal für die neue Hardware-Generation veröffentlichen können. Dass die Techniker im Team angemerkt hätten, dass Cyberpunk 2077 zu komplex für PS4 und Xbox One sei, habe das Management damit abgetan, dass man doch schon mit The Witcher 3 so erfolgreich war.
Die Arbeitsbedingungen im vergangenen Jahr erschwerten die finale Phase der Produktion immens. Wegen der Corona-Pandemie mussten die Entwickler ins Home Office, was zur Folge hatte, dass die meisten von ihnen keinen Zugang zu den Entwickler-Kits der PS4 und Xbox One hatten und deshalb die verschiedenen Builds von Cyberpunk 2077 auf ihren PCs spielten. Dadurch war nicht jedem klar, wie schlecht der Titel auf den Konsolen läuft.
Ein Mahnmal für Entwickler und Publisher
Der Bericht von Jason Schreier macht deutlich, dass die Entwicklung von Cyberpunk 2077 sehr turbulent gewesen sein muss und dass das Management von CD Projekt mehr daran gedacht hat, wann man wie viel Geld mit dem Produkt hätte verdienen können, als dafür zu sorgen, dass am Ende ein gutes Spiel auf den Markt kommt.
In seinem Entschuldigungsvideo hat Marcin Iwiński gesagt, dass man die Aufgabe, Cyberpunk 2077 zu entwickeln, unterschätzt habe und dass aber auch viele der Probleme des Spiels während der Testphase nicht aufgefallen seien. Die Mitarbeiter, mit denen Jason Schreier gesprochen hat, haben jedoch gesagt, dass in der Tat viele der Fehler entdeckt worden seien, man aber nicht die Zeit gehabt habe, sie zu fixen. Vermutlich hätte Cyberpunk 2077 wirklich erst 2022 herauskommen sollen. Dann hätten wir vielleicht das Spiel bekommen, was uns CD Projekt all die Jahre lang versprochen hat – und möglicherweise hätte man so auch den extremen Crunch vermieden.
Quelle: Bloomberg