Leute regen sich über den Battle Pass in Overwatch 2 auf – zurecht! Dabei ist der immerhin besser als Lootboxen. Es gibt aber auch ein noch viel größeres Problem.
Eigentlich ein gutes Geschäftsmodell, aber …
Overwatch 2 ist seit einigen Tagen auf dem Markt und jeder kann es kostenlos spielen – na gut, jeder, der bereit ist, Activision Blizzard seine Handynummer anzuvertrauen (eine angebliche Sicherheitsmaßnahme). Den ersten Teil musstet ihr noch kaufen, wolltet ihr euch in die kunterbunten, spaßigen Hero-Shooter-Gefechte stürzen. Die Fortsetzung, die jedoch mehr ein großes Update als ein waschechter Nachfolger ist, hat ein Free-to-Play-Modell. Diese Änderung finde ich grundsätzlich super. Dass Blizzard sich zudem von den Lootboxen verabschiedet hat, stößt bei mir ebenfalls auf Gegenliebe, und Pay-to-Win-Vorwürfe kann man dem Unternehmen in diesem Fall auch nicht machen.
Trotzdem ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen innerhalb der Overwatch-Community – ganz im Gegenteil. Die Nutzerwertungen auf Metacritic haben die desaströse Durchschnittsnote von 1.5 (gegenüber dem 81er-Metascore der Presse). Auf Reddit finden sich allerlei Beiträge, in denen Spieler kaum ein gutes Wort an dem Multiplayer-Shooter lassen. Einer der Hauptkritikpunkte von vielen ist der Battle Pass. Und ich verstehe das total.
Bye, bye, Lootboxen, hallo, Battle Pass
In Overwatch 1 verdientet ihr mit jedem Match Erfahrungspunkte, um in einem permanenten Levelsystem immer weiter voranzukommen. Bei jedem Rangaufstieg erhieltet ihr eine Lootbox, in der kosmetische Inhalte steckten. Dadurch habt ihr ständig ein Belohnungsgefühl verspürt. Die Überraschungskisten waren anders als etwa in der Release-Fassung von Star Wars: Battlefront 2 (dem von DICE) nie ein spielerisches Problem. Aber da ihr sie natürlich auch für echtes Geld kaufen konntet, waren sie aufgrund des Zufallsfaktors dennoch ein Element, das es kritisch zu betrachten galt. Daher vermisse ich sie in Overwatch 2 keineswegs.
Nun gibt es aber Leute, die sich das alte System zurückwünschen, weil sie den neuen Battle Pass gar nicht mögen. Dabei ist dieses Prinzip doch längst in Service Games etabliert und wird auch von vielen Spielern akzeptiert. Der Battle Pass von Overwatch 2 enthält fast ausschließlich Kosmetik wie Skins, Spraymotive und Emotes – nichts, was euch spielerische Vorteile gewährt. Die einzige Ausnahme bildet Kiriko, einer der drei neuen Charaktere. Sie müsst ihr per Battle Pass freischalten. Entweder erreicht ihr Level 55 und bekommt die Support-Heldin somit gratis oder ihr kauft euch die Premiumvariante für knapp zehn Euro, dann erhaltet ihr sofortigen Zugriff auf die Dame.
Prinzipiell ist so ein Battle Pass meiner Ansicht nach vollkommen okay. Im Gegenzug ist Overwatch 2 eben kostenlos spielbar. Blizzard hätte es auch für 40, 50 oder gar noch mehr Euro anbieten können – die Mikrotransaktionen hätte es ja trotzdem gegeben, vermutlich auch exakt dieselben. Ich sehe ein, dass ihr als jemand, der kein Geld ausgeben möchte, nun deutlich seltener Belohnungen fürs Spielen erhaltet. Nur ein Bruchteil der Battle-Pass-Inhalte ist kostenlos, immerhin sind da aber ein paar nette Skins und nicht nur Kleinkram dabei. Der intrinsische Spielspaß, den mir Overwatch 2 für lau bereitet, macht es für mich jedoch wett, dass sich die extrinsische Motivation in Grenzen hält, sofern man das eigene Bankkonto nicht um einen Zehner erleichtern möchte.
Wer keine Geduld hat, sollte Geld haben
Problematisch finde ich jedoch, dass Kiriko hinter der Grind- oder alternativ Paywall gefangen ist. Das ist zwar im Bereich der Free-to-Play-Titel mit unterschiedlichen spielbaren Helden weder etwas Neues noch an sich Schlimmes (League of Legends lässt grüßen). Jedoch hat Blizzard Kiriko viel zu weit nach hinten im Battle Pass gepackt. Bis man mal Stufe 55 erreicht hat, vergehen zig Spielstunden. Klare Sache, dass das beabsichtigt ist, um euch zum Kauf des Premiumpasses zu verleiten. Dabei sollte doch eigentlich das Versprechen der regelmäßigen Belohnungen ausreichen, um genug Leute zum Geldausgeben zu bewegen, damit Overwatch 2 finanziell erfolgreich ist.
Für Spieler des ersten Teils ist es besonders ärgerlich zu wissen, dass alle zukünftigen Neuzugänge, so wie nun eben Kiriko, immer an den Battle Pass geknüpft sein werden, wo doch neue Helden bislang immer gratis und sofort für alle verfügbar waren. Das Beste wäre es gewesen, Blizzard hätte daran nichts geändert und würde ausschließlich mit kosmetischen Inhalten Geld verdienen wollen. Ich wäre aber zumindest schon damit besänftigt, würde man Kiriko deutlich früher freischalten: auf Level 20, maximal 30. Es ist schließlich auch nicht so, als hätte man ohne sie keine vielfältige Auswahl an Supportern in Overwatch 2, die für jeden etwas bietet, der gerne Teamkameraden heilt oder anderweitige Unterstützung leistet.
Doppelmoral vom Feinsten
Das größte Problem des neuen Geschäftsmodells ist jedoch gar nicht der Battle Pass, sondern das, was Blizzard als "Einstieg für neue Nutzer" bezeichnet. "Wir wollen Neulinge schrittweise an Overwatch 2 heranführen, da wir regelmäßig Feedback von neuen Spielern erhalten, die sich von den vielen Spielmodi und Helden überfordert fühlen", heißt es in einem Beitrag auf der offiziellen Webseite vom 27. September, der für reichlich Schlechtwetterstimmung gesorgt hat. Dieses "schrittweise Heranführen" bedeutet schließlich, dass diejenigen, die Overwatch 1 nie gespielt haben, rund 100 Matches absolvieren müssen, bis sie überhaupt mal alle Helden der Basisversion freigeschaltet haben.
Nun könnte man diese Entscheidung in der Tat so verargumentieren, wie Blizzard es getan hat: dass man Spieler, die noch nie zuvor Overwatch gezockt haben, nicht mit einer Auswahl von über 30 spielbaren Charakteren überfordern möchte. Das funktioniert aber nicht, wenn die Firma zeitgleich das sogenannte Watchpoint-Paket für knapp 40 Euro anbietet, das nicht nur den ersten Premium-Battle-Pass, 2000 Overwatch-Münzen und einige Skins enthält, sondern auch diese Limitierungen entfernt. Entweder möchte man Neueinsteigern schrittweise dabei helfen sich zurechtzufinden oder sie dazu anregen, den Preis zu zahlen, den Overwatch 1 kosten würde (wenn es das noch gäbe), indem man sie in der Heldenauswahl einschränkt. Man kann nicht beide Intentionen zeitgleich verfolgen. Oder fändet ihr es nicht fragwürdig, wenn ihr in einem Spiel zu Beginn gezwungen wärt, ein umfangreiches Tutorial zu absolvieren, das ihr allerdings gegen Geld überspringen könntet?
Es könnte alles so schön sein
Insgesamt bin ich Overwatch 2 gegenüber nicht so negativ eingestellt wie ein lautstarker Teil der Community. Meine letzten Stunden im Vorgänger liegen Jahre zurück und dieses "neue" Spiel hat mich nun zurückgebracht. Ich habe sofort wieder gemerkt, wie viel Spaß mir D.VA und Orisa machen, wie sehr ich den Look von Overwatch mag, welch gute Karten Blizzard designen kann und wie spannend die unterschiedlichen Modi sind. Dass man das alles nun kostenlos genießen kann, finde ich super. Ein Multiplayer-Shooter mit Live-Service-Konzept ohne aufwendigen Story-Modus (wobei Overwatch 2 den ja 2023 noch kriegen soll) hat eigentlich keine Berechtigung mehr, zum Vollpreis im Laden zu stehen (Grüße gehen raus an EA und DICE).
Blizzard hätte aber bedachter vorgehen können. Wenn man schon neue Helden an den Battle Pass bindet, sollten sie zumindest nicht erst in der zweiten Hälfte der Levelphase freischaltbar sein. Im Idealfall gäbe es zudem noch ein anderes Progressionssystem abseits des Passes, das den Spielern regelmäßig neue Karotten vor die Nase hängt, ohne sie dabei zur Kasse bitten zu wollen. Genauso sollte man Neueinsteigern nicht einerseits weismachen wollen, dass es doch gut sei, wenn sie erst mal nur aus einer kleinen Anzahl an Helden wählen können, und ihnen andererseits aber ein 40 Euro teures Paket andrehen, um diese Limitierung zu umgehen. Das ist halt eine Taktik, die für das moderne Blizzard leider nur zu typisch ist. Nein, Overwatch 2 ist längst nicht so von Dreistigkeit durchzogen wie Diablo Immortal. Aber ein fader Beigeschmack haftet ihm eben leider doch an.