Manche Sequels sind ganz anders als ihre Vorgänger. Dieser Mut zahlt sich nicht immer aus, aber wenn, dann richtig!
Verraten oder verbessern: Wenn Sequels andere Wege beschreiten
"Habe es nach 20 Minuten deinstalliert und zurückgegeben. Es ist extrem Arcade-lastig und erinnert mich eher an ein Mobilegame. Nicht zu vergleichen mit den alten Teilen." "Hat mit einer Simulation absolut nichts mehr gemein." "Nach nun etwa vier Stunden Spielzeit frage ich mich immer mehr: 'Was zum Teufel haben die Entwickler nur aus Project CARS gemacht?'" Diese Zitate stammen aus Nutzerbewertungen auf Steam zu Project CARS 3, das Ende August erschienen ist und ganz schön viele Fans der Vorgänger vor den Kopf gestoßen hat. Sind Teil 1 und 2 noch richtige Rennsimulationen (wenn auch mit einigen Mängeln), ist der dritte Ableger der Reihe sogar noch mehr ein Arcade-Racer als ein Forza Motorsport oder Gran Turismo.
Dieser Wandel kam bei der Fangemeinde gar nicht gut an. Dementsprechend mies war die Stimmung in der Community schon vor dem Release. Hat sich der Schritt weg vom Simulationsanspruch für Entwickler Slightly Mad Studios ausgezahlt? Was das Wirtschaftliche betrifft, können wir diese Frage nicht beantworten, denn Verkaufszahlen von Project CARS 3 liegen uns nicht vor. Aber es finden sich definitiv viele kritische Stimmen im Netz. Nur 53 Prozent der Steam-Reviews sind derzeit positiv und auf Metacritic kommt der Titel gerade mal auf einen Bestwert von 70 (der Wertungsschnitt der PC-Version liegt sogar nur bei 68). Bei uns hat Project CARS 3 im Test auch nur 2,5 von 5 Sternen erhalten, was allerdings weniger an dem Konzept und mehr an der teils schlechten Umsetzung liegt.
Der tote Raum ist jetzt tot
Project CARS 3 ist eines von vielen Beispielen für Fortsetzungen, die sich deutlich von ihren Vorgängern unterscheiden, spielerisch ganz andere Richtungen einschlagen und damit bei den Fans komplett durchfallen. So etwas kommt immer wieder vor. Man erinnere sich nur mal an Dead Space 3. Oberflächlich betrachtet, ist das immer noch die gleiche Art Spiel wie die Vorgänger. Als Isaac Clarke kämpft ihr aus der Third-Person-Perspektive gegen die widerlichen Necromorphs – so weit, so gut.
Das Problem: Die ersten beiden Teile, insbesondere der Serienerstling, sind klare Survival-Horror-Spiele der Marke Resident Evil (4). Dead Space 3 jedoch sollte eine breitere Masse an Spielern ansprechen. Also schraubte Entwickler Visceral Games die Horrorelemente stark zurück. Zusätzlich wurde noch der Fokus auf Koop-Gameplay gelegt und Mikrotransaktionen haben das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht. Dead Space 3 ist letztendlich ein 0815-Shooter geworden, der kaum noch etwas mit der Identität der Vorgänger zu tun hat – und damit auch zum Untergang der Marke geführt hat. Na, das mit der Mainstream-Ausrichtung hat sich ja voll gelohnt!
Den Entwicklern waren wohl nichts mehr heilig
Es gibt aber noch viel krassere Beispiele. Erinnert ihr euch noch an Sacred 3? Die beiden Vorgänger vom Gütersloher Entwickler Ascaron sind zwar reichlich verbuggt auf den Markt gekommen, trotzdem kamen sie bei den Spielern gut an. Es sind Diablo-artige Action-Rollenspiele, die aber anders als alle anderen Genrevertreter der damaligen Zeit große offene Welten bieten.
2009 musste Ascaron leider dichtmachen, die Rechte an der Marke gingen an Deep Silver. Der Publisher beauftrage daraufhin das Frankfurter Studio Keen Games mit der Entwicklung von Sacred 3, das 2014 erschienen ist – und niemals Sacred 3 hätte heißen dürfen. Denn das, was Teil 1 und 2 ausgezeichnet hat, fehlt im dritten Spiel komplett: die Open World. Sacred 3 ist strikt linear. Noch dazu sammelt ihr gar keinen Loot mehr, sondern nur noch Erfahrungspunkte und Gold, von dem ihr euch am Ende eines Levels bessere Items kauft. Die Folge dieser Änderungen: Das Spiel wurde von den Fans verschmäht und ähnlich wie im Fall von Dead Space war damit auch die Sacred-Reihe gestorben.
Anders kann auch sehr viel besser sein
Bedeutet das also, dass sich eine Reihe niemals verändern darf und immer ein und dasselbe Grundprinzip beibehalten muss? Das könnte man an dieser Stelle denken, wenn es denn nicht so viele Gegenbeispiele geben würde. Denn manchmal haben drastische Änderungen auch dazu geführt, dass eine Reihe noch mehr Ruhm erlangt hat. Wir sagen nur drei Worte: Red Dead Redemption. Viele wissen es vermutlich immer noch nicht, aber das Westernspiel von Rockstar Games aus dem Jahr 2010 ist nicht der Beginn jener Serie gewesen, sondern eine Fortsetzung.
2004 veröffentlichte das Unternehmen für die PlayStation 2 und Xbox ein Spiel namens Red Dead Revolver. Ursprünglich war es eine Produktion von Capcom. Die Entwicklung war jedoch recht holprig und Ende 2002 kaufte Rockstars Mutterkonzern Take 2 Interactive den Entwickler Angel Studios auf, der daraufhin in Rockstar San Diego umbenannt wurde. So wurde Red Dead Revolver unter der Aufsicht der GTA-Macher finalisiert.
Im Gegensatz zu seinen beiden großartigen Nachfolgern ist es jedoch kein Open-World-Spiel, sondern ein relativ lineares Abenteuer, in dem ihr nur zwischen den Missionen die kleine Stadt Brimstone halbwegs frei erkunden und dort mit NPCs sprechen könnt. Rockstar baute das für den zweiten Teil deutlich aus und traf damit ins Schwarze. Red Dead Redemption gilt nicht zu Unrecht als ein Meilenstein. Die offene, liebevoll gestaltete Welt ist eine seiner größten Stärken und es ist fraglich, ob es genauso viel Ruhm erlangt hätte, wenn es ein lineares Spiel gewesen wäre.
Wenn's erst beim vierten (oder gar fünften) Mal richtig knallt
Eine Serie, die ebenfalls erst mit einer ihrer Fortsetzungen richtig groß geworden ist, ist Divinity von Larian Studios. Wer denkt, dass alles direkt mit Divinity: Original Sin angefangen hat, irrt sich. Bis zu dem Titel haben die Belgier schon vier andere Spiele innerhalb der Marke entwickelt (wenn man das Spin-off Dragon Commander mitzählt). Den Anfang machte 2002 Divine Divinity, das zwar genau wie die "Original Sin"-Teile eine isometrische Kameraperspektive hat, statt rundenbasierten aber Echtzeitkämpfe à la Diablo bietet. Gleiches gilt für den Nachfolger Beyond Divinity von 2004.
Einen ersten größeren Wandel machte Larian 2009 mit Divinity 2: Ego Draconis durch. Das ist das erste 3D-Spiel des Studios gewesen, das ansonsten den Tugenden seiner Vorgänger treu geblieben ist. Auf Divinity: Original Sin trifft das nicht zu. Zwar ist Larian damit wieder zur Iso-Ansicht zurückgekehrt, aber statt eines weiteren Hack and Slays entwickelte man ein CRPG, in dem ihr nicht bloß einen Helden, sondern eine ganze Party steuert und Kämpfe rundenweise ablaufen. Der Mut zu Neuem hat sich bezahlt gemacht. Endgültig im Olymp der Rollenspielentwickler ist Larian zwar erst mit Original Sin 2 angekommen, aber der Vorgänger hat die Grundsteine dafür gelegt.
Das unsterbliche Blutsauger-RPG
Mehr oder weniger den umgekehrten Weg ging die "Vampire: The Masquerade"-Reihe. Teil 1 namens Redemption von 2000 setzt zwar auf eine Third-Person-Perspektive und Echtzeitkämpfe, ihr befehligt aber trotzdem eine ganze Party und die Gefechte sind sehr taktisch. Sie lassen sich jederzeit pausieren, um den eigenen Helden Anweisungen zu geben, ähnlich wie in Baldur's Gate oder Pillars of Eternity, und von dieser Funktion sollte man auch Gebrauch machen.
2004 erschien die (indirekte) Fortsetzung Vampire: The Masquerade – Bloodlines und die spielt sich ganz anders. Wahlweise in der Ego- oder Schulterperspektive seid ihr nur für einen einzelnen Charakter verantwortlich und die Kämpfe sind deutlich actionreicher. Wer will, kann Bloodlines wie einen Ego-Shooter spielen, auch wenn es sich nicht so grandios anfühlen mag wie vollwertige Spiele dieser Art. Auch das war ein großer Bruch mit dem Prinzip des Vorgängers, kam aber bei den Spielern sehr gut an. Heutzutage spricht kaum noch jemand von Vampire: The Masquerade – Redemption, aber Bloodlines wird immer wieder als eines der großartigsten (wenn auch verbuggtesten) Rollenspiele gepriesen. Da ist es auch kein Wunder, dass mit Vampire: The Masquerade – Bloodlines 2 ein dritter Teil in Arbeit ist, der auf dem Gameplay des Vorgängers aufbaut.
Immer eine Geschmacksfrage
Letztendlich ist es immer eine Frage des persönlichen Geschmacks, ob man eine Veränderung einer Serie gut findet oder nicht. Es gibt bestimmt irgendjemanden, der die alten Divinity-Teile sehr gerne gespielt hat, mit den Original Sins aber nichts anfangen kann. Und dann gibt es ja auch noch Titel, die objektiv betrachtet zweifelsohne gute Spiele und trotzdem umstritten sind. Splinter Cell: Conviction fällt etwa in diese Kategorie. Der fünfte Teil der Schleichspielreihe ist gar kein richtiges Schleichspiel mehr. Zwar könnt ihr auch hier nicht wie Rambo durch die Levels rennen und einfach alles über den Haufen ballern, aber gerade im Vergleich zu den Anfängen der Serie wird in Conviction deutlich mehr geschossen.
Kein Zweifel, das hat Spaß gemacht. Splinter Cell: Conviction ist ein gutes Actionspiel und die rabiateren Methoden von Hauptcharakter Sam Fisher passen gut zur Geschichte (der Mann arbeitet hier auf eigene Faust und versucht, den Tod seiner Tochter aufzuklären). Aber mit dem, was die Reihe in den Teilen zuvor ausgezeichnet hat, hat es eben nicht mehr viel zu tun.
Vom Action-Adventure zum Rollenspiel in zwei Schritten
Auch Assassin's Creed hat sich sehr gewandelt. Zwar hat schon der offizielle vierte Teil Black Flag (eigentlich ist das ja bereits das sechste Spiel gewesen) einschneidende Veränderungen mitgebracht, aber erst mit Assassin's Creed Origins von 2017 erfolgte eine richtige Transformation – vom reinen Actionspiel hin zu einem Exemplar mit mehr RPG-Elementen. Diesen Wandel hat ein Jahr später Odyssey vollendet, das im Grunde in die gleiche Schublade gehört wie The Witcher 3: Wild Hunt. Selbst inhaltlich distanziert es sich stark von den Vorgängern, weil es in einer Zeit spielt, in der es weder Assassinen noch Templer gibt. Zudem ist das Parkourelement mittlerweile längst nicht mehr so ausgeprägt und relevant wie in den alten Teilen.
Nach wie vor hat Assassin's Creed viele Fans und nach etlichen Spielen war die Frischzellenkur, die mit Origins begann, auch dringend notwendig. Nichtsdestotrotz wünschen sich bestimmt nicht wenige Spieler wieder einen Teil, der zurück zu den Wurzeln geht und wieder mehr Wert auf geplante Attentate, Stealth und das Klettern legt. Die Kritik, dass Assassin's Creed einen Teil seiner eigenen Identität verloren habe, ist nicht ganz unberechtigt.
Die eigene Identität muss gewahrt werden
"Die eigene Identität verraten" ist das Stichwort, wenn es darum geht, ob eine Fortsetzung mit starken Änderungen gegenüber den Vorgängern bei den Fans gut ankommt oder nicht. Man kann als Entwickler in Sequels vieles anders machen, sollte aber immer noch den Geist der Serie bewahren. Auf die jüngeren Divinity-Spiele trifft das zu. Auch wenn das Kampfsystem ein anderes ist als in den Vorgängern, so ist die Welt immer noch die gleiche, ihr habt genauso viel spielerische Freiheit (eigentlich sogar noch mehr) und der typische Humor ist ebenfalls noch an Bord.
Sacred 3 wiederum ist das komplette Gegenbeispiel. Hier ist zwar auch die Welt immer noch die gleiche, aber das Markenzeichen der Reihe waren ja nie die Lore oder die Geschichte, sondern die Open World und die tpische Hack-and-Slay-Progression. Beides fehlt im dritten Teil, also ist er zurecht gescheitert. Die Identität von Sacred war damit futsch.
Umgekehrt ist es nie eine gute Idee, mit jedem neuen Teil bloß Bekanntes wiederzukäuen. Assassin's Creed ist das beste Beispiel dafür, dass eine Frischzellenkur dringend nötig war. Far Cry könnte so etwas mal gebrauchen, aber ob der bereits angekündigte sechste Teil es liefert… Nun, sagen wir mal, wir würden kein Geld daraufsetzen. Wenig weiterentwickelt hat sich auch Pokémon. Klar, die Reihe hat den Wandel von 2D- zu 3D-Spielen durchgemacht und jeder Teil hat irgendwo seine Neuerungen gehabt. Aber gerade im Hinblick auf Schwert und Schild muss einfach gesagt sein: Pokémon könnte heutzutage so viel mehr sein als der immer gleiche, viel zu lineare "Ich geh von Arena zu Arena"-Loop.
Es ist ein Drahtseilakt
Videospielserien brauchen Innovationen. Aber die Entwickler müssen auch immer aufpassen, dass sie die Rezeptur nicht zu stark verändern. Das heißt nicht, dass sie nicht auch mal größere Risiken eingehen sollen. Wenn am Ende ein richtig gutes Spiel dabei rumkommt, hat man vielleicht trotzdem so manchen Fan, dem das nicht schmeckt. Aber gerade dann, wenn vorher lange Zeit Stagnation geherrscht hat, werden sich auch viele Serienliebhaber über den frischen Wind freuen – und vielleicht auch viele neue Spieler hinzukommen.
Um diesen Artikel abzuschließen, sei nochmal in nur drei Worten zusammengefasst, wie man es richtig macht. Sozusagen das ultimative Argument dafür, dass man auch mal Dinge ganz anders machen kann, ohne dabei wirklich jeden Fan vor den Kopf zu stoßen: God of War. Das bedarf dann auch keiner weiteren Erklärungen, oder?