Prodeus erinnert an Shooter aus den Neunzigern, sieht auch in Teilen so aus und spielt sich einfach nur großartig.
Prodeus angespielt: Ein wahrer Blutrausch
Retro-Shooter sind wahrlich ein Trend der vergangenen Jahre. Aus irgendeinem Grund wollen manche Leute wieder Spiele spielen, die exakt so aussehen wie Doom 1, Quake 3 oder Duke Nukem 3D. Warum, erschließt sich uns nicht ganz, schließlich ist die Grafik jener Spiele nicht gerade gut gealtert. Prodeus zeigt, dass auch es anders geht. Ja, das ist auch ein Retro-Shooter, der optisch an Titel aus der Mitte der Neunziger erinnert. Aber es sieht nicht exakt so aus wie die Spiele von damals, es adaptiert bloß deren Stil und vermischt ihn mit modernen Grafik-Features. Prodeus ist sozusagen das Dead Cells oder Valheim der First-Person-Actionspiele: Sieht teilweise alt aus, wäre aber niemals vor 25 Jahren möglich gewesen.
Alt und doch total modern
So ein Retro-Stil ist Geschmackssache. Während die einen, die die Zeiten der alten Dooms und Quakes selbst miterlebt haben, sich in ihre Kindheit und Jugend zurückversetzt fühlen, haben die anderen das Gefühl, Augenkrebs zu erleiden und sich als Gegenmittel sofort Doom Eternal ansehen zu müssen. Prodeus stößt mit seinem Äußeren sicherlich auch nicht bei jedem auf Gegenliebe, aber das tritt ganz bestimmt auch auf Doom Eternal zu. Doch selbst Leute, die sonst nichts mit Retro-Shootern anfangen können, könnte der Titel von Indie-Entwickler Bounding Box Software begeistern – man muss nur den Autor dieses Textes mal fragen.
Der würde sagen: "Ja, ich steh auf moderne Grafik und mag meine Spiele gerne zeitgemäß, aber Prodeus ist einfach stylisch", womit er es nun gesagt beziehungsweise geschrieben hat, denn es ist ja sein Text, den ihr hier gerade lest. Prodeus erweckt auf Screenshots den Eindruck, mehr oder weniger wie ein Duke Nukem 3D auszusehen. Die Umgebungen sind klar dreidimensional, aber die Gegnermodelle und eigenen Waffen sehen aus wie 2D-Sprites. Ja, es ist alles in allem detaillierter als der Klassiker von 3D Realms, aber so richtig modern wirkt Prodeus auf diesen ersten Blick nicht.
Dann schaut man sich jedoch Bewegtbilder an und merkt: Das ist aus technischer Sicht ein modernes 3D-Spiel mit schicker Levelbeleuchtung und jeder Menge Partikeleffekten. Der Trick, den Bounding Box hier anwendet: Prodeus sieht so aus, als hätten die Entwickler in einer aktuellen Engine ein Spiel gebaut und dann Filter darübergelegt, damit es an die Genreklassiker der Neunziger erinnert. Tatsächlich könnt ihr sogar in den Grafikeinstellungen festlegen, ob die Gegner 2D-Sprites oder 3D-Modelle mit entsprechendem Filter sein sollen. Der Mix aus Alt und Modern ergibt ein ungemein stimmiges Gesamtbild. Man merkt Prodeus an, dass es nicht einfach einen 25 Jahre alten Look kopieren, sondern seinen eigenen Stil haben soll. Und das ist den Entwickler vortrefflich gelungen.
Mehr Blut geht kaum
Allgemein wirkt Prodeus bereits sehr rund. Seit November 2020 befindet es sich im Early Access, ein Ende ist noch nicht in Sicht, soll aber nach ursprünglichen Planungen spätestens Ende dieses Jahres eintreten. Uns sind aber keinerlei Bugs begegnet und auch keine Stellen, die noch unpoliert wirken. Ganz im Gegenteil: Prodeus macht schon jetzt eine fantastische Figur, wobei wir schon noch ein, zwei kleine Kritikpunkte haben, aber dazu kommen wir später.
Erst mal sollten wir festhalten, wie gut sich das Ding spielt. Halt, nein! Nicht gut, sondern sensationell! Die Steuerung mit Maus und Tastatur ist perfekt und das Gunplay ein Genuss. Schon die Pistole, mit der ihr ins Spiel startet, fühlt sich dank wuchtigem Sound und fantastischem Trefferfeedback ziemlich mächtig an. Noch viel besser wird es, wenn ihr mit der Schrotflinte, dem Raketenwerfer, der Mini- oder einer Railgun kämpft. Wirklich jede Waffe in Prodeus (und es gibt schon eine stattliche Anzahl) macht Spaß, kein einzige ist überflüssig.
Der gewaltige Splatter-Faktor hat einen großen Anteil daran. Hier spritzt mehr Blut, als Quentin Tarantino für die berühmte Teehausszene in "Kill Bill Vol.1" jemals hätte verwenden können. Wir wollen ja nicht primitiv wirken, aber der Moment, als wir im Spiel die Minigun erhielten, plötzlich von allen Seiten Zombies in den Raum kamen und wir per Dauerfeuer mindestens den halben Bildschirm mit knalligem Rot getränkt haben, war einfach nur geil. Jeder Abschuss in Prodeus ist enorm befriedigend und der flotte, harte Metal-Soundtrack, der in bester Doom-Tradition steht, sorgt dafür, dass wir uns jedes Mal so richtig in einen Rausch ballern.
Wer nach Erzählkunst sucht, sucht bitte weiter
Alles andere ist fast nebensächlich. Ok, die Geschichte ist es wirklich. Es gibt so gesehen eine, aber eigentlich hat sie überhaupt keine Relevanz. In den Levels selbst ist sie gar nicht präsent, es gibt lediglich sehr knappe Texte im Auswahlbildschirm. Prodeus will aber eben auch gar kein Story-Spiel sein, sondern stellt klar das Gameplay in den Mittelpunkt. Hier geht es einfach darum, haufenweise Untote und Dämonen niederzustrecken und Highscores aufzustellen. In jedem Level wird schließlich eure Zeit gemessen.
Beim ersten Besuch in einer Umgebung werdet ihr aber wohl kaum zum Ende hechten, denn die Levels sind recht groß und bieten auch so einige Geheimnisse, die wirklich gut versteckt sind. Und nicht nur einmal gilt es, bestimmte Schlüsselkarten zu finden, um Wege zu öffnen, ganz wie vor über zwei Jahrzehnten. An sich gefallen uns die Levels auch wirklich gut, weil es immer wieder mal interessant gebaute Kampfarenen gibt und Abwechslung vorhanden ist, obwohl ihr ja eigentlich immer nur das Gleiche macht. Allerdings ist es uns mehrfach passiert, dass wir mal nicht wussten, wo es weitergeht. In den Fällen haben wir entweder einen Knopf nicht auf Anhieb gefunden oder irgendwo hatte sich noch ein Gegner versteckt, dessen Ableben dann die Möglichkeit zum Vorankommen getriggert hat. Da hilft es nicht, dass die 3D-Übersichtskarte nicht gerade übersichtlich ist. Hier würden wir uns wünschen, dass sie etwa anzeigt, wo man bereits gewesen ist.
Eine kleine, aber tatkräftige Community
Die Kampagne von Prodeus unterhält im derzeitigen Zustand für knapp fünf Stunden. Das ist noch nicht viel, aber ihr könnt schon jetzt noch mehr Zeit mit dem Spiel verbringen. Und damit meinen wir nicht mal, dass ihr die Kampagnenlevels wiederholt, um alle Geheimnisse zu finden und immer bessere Zeiten hinzulegen. Nein, wir beziehen uns hier auf den Online-Teil. Einen Multiplayer gibt es nicht, aber dafür eine Bibliothek mit von Nutzern erstellen Karten und sogar Kampagnen. Ok, in letzterem Bereich gibt es noch nicht viel. Hier sind derzeit nur fünf Stück gelistet, von denen bloß eine als fertig und offiziell veröffentlicht gilt. Aber dafür hat die Liste mit einzelnen Maps schon einiges zu bieten und wenn ihr selbst eine kreative Ader habt, könnt ihr mit dem integrierten Level-Editor eure eigenen Shooter-Parcourse basteln.
Einschätzung
Prodeus rockt! Das sagen wir nicht nur, weil der Soundtrack der Knaller ist, sondern vor allem, weil das Spiel selbst verdammt viel Spaß macht. In Sachen Gunplay muss es sich nicht vor einem heutigen Doom verstecken. Das Leveldesign mag seine kleinen Schwächen haben, aber die sind schnell verziehen, wenn ihr mit der Minigun Horden von Gegnern in rote Soße verwandelt. Wer den Xbox Game Pass auf dem PC hat, in den Prodeus jüngst aufgenommen wurde, der sollte dem Titel unbedingt eine Chance geben. Wir haben das getan und nicht bereut.