Es gibt derzeit wohl kaum einen Spieleentwickler, der so über die Grenzen der eigenen Branche hinaus bekannt ist, wie Hideo Kojima.
Boktai - Hideo Kojimas vergessene Perle
Vor allem durch das kürzlich für die PlayStation 4 auf den Markt gekommene und bald für den PC erscheinende Death Stranding sowie als Vater der Metal-Gear-Reihe ist der Japaner bekannt. Doch Kojima ist für weitaus mehr Spiele verantwortlich. So war er ebenfalls der kreative Kopf hinter Snatcher, Policenauts oder auch der P.T.-Demo. Die Action-Adventure Serie Boktai ist ebenso seiner geistigen Feder entsprungen und eben auf diese Serie bin ich in der Corona-Krise wieder gestoßen.
Ich lag eines Sonntagmorgens im Bett und fragte mich, was ich heute mal zocken sollte. Zu der Zeit entstand übrigens auch die Idee meiner Top-3-Liste der Spiele für die Isolation. Da die Sonne in den Sommermonaten schon morgens in mein Schlafzimmer scheint, kam ich nach kurzer Zeit auf Boktai - The Sun is in Your Hand für den Game Boy Advance. Ich muss dazu nicht einmal aufstehen (nur kurz im Schrank kramen) und kann den Titel direkt spielen, obwohl die Intention von Hideo Kojima ursprünglich eine andere war. Warum? Lest einfach weiter.
Boktai - The Sun is in Your Hand
Das Spiel erzählt die Geschichte des Jungen Django aus der Stadt San Miguel. Wir befinden uns in einem dunklen Zeitalter. Vampire, Untote und Unsterbliche haben sich in der Welt ausgebreitet und immer mehr Menschen fallen ihnen zum Opfer. Doch Django, der Sohn des legendären Vampirjägers Ringo, macht sich auf, die Dunkelheit zu vertreiben und die Welt zu befreien. Glücklicherweise gesellt sich zu ihm Otenko, ein Abgesandter der Sonne, ohne sich jedoch zu erkennen zu geben. Die erste Station ihrer Reise ist die Stadt der Toten, Istrakan. Dort treffen sie auf den Grafen und ein stellenweise ziemlich knackiges Abenteuer beginnt.
Warum ich jetzt wieder dieser Serie von Hideo Kojima verfallen bin, weiß ich selbst nicht so genau. Ich war extrem motivationslos und wusste nichts mit mir anzufangen. Also habe ich das Spiel mit dem eingebauten Solarsensor, ja ihr habt richtig gelesen, hervorgekramt und wieder angeworfen. Das Game misst nämlich die UV-Intensität und dementsprechend ist man mal mehr und mal weniger effektiv gegen Vampire. Für einige Aktionen ist Sonnenlicht sogar zwingend erforderlich. Ich war wieder gefangen. Wie schon 2004 hat mich der Grafikstil sofort begeistert. Statt nämlich auf den sonst üblichen relativ knubbeligen Zeichenstil zu setzen, ist das Spiel überraschend ernst gezeichnet und gestaltet. Sicherlich, einige Gegner wirken sehr comichaft, aber allgemein ist das Setting doch eher düster.



Die Besonderheit des Gameplays, echtes Sonnenlicht zu nutzen, mag zwar meist nicht praktikabel sein, verleiht dem Spiel aber einen ganz eigenen Charme. Dabei hatte Hideo Kojima anfangs sogar noch etwas ganz anderes im Sinn. Zusätzlich sollte ein Sensor eingebaut werden, der den Knoblauch-Gehalt im Atem des Spielers misst. Immerhin handelt es sich um einen Titel, in dem man gegen Vampire kämpft. Doch auf Drängen seines Teams wurde diese Idee wieder verworfen. Abgesehen von dieser abgedrehten Vorstellung ziehen sich aber auch bekanntere Themen von Kojima durch das Spiel. Schleicheinlagen müssen genauso absolviert werden wie kreative Bosskämpfe und Schießereien.
Dazu kommen teilweise auch ziemlich verzwickte Rätsel. Zusammen gehalten wird das alles von einer verbundenen Spielwelt, die sich mit dem Fortschritt des Spielers immer weiter öffnet und verändert. Zudem spiegelt sich Hideo Kojimas Leidenschaft für Hollywood in einigen Bereichen wieder. So sind sämtliche Charaktere nach alten Spaghetti-Western-Helden benannt. Und auch sein Hang zu verworrenen Geschichten kann in Boktai zumindest in kleinem Maße erlebt werden, denn abgesehen vom Schicksal seines Vaters muss Django auch noch ergründen, warum das dunkle Kind Sabata hinter ihm her ist.



Das Gameplay hingegen ist in Boktai – The Sun is in Your Hand ganz klassisch gehalten. Mit der Gun Del Sol, die sich umfassend verändern lässt, ballere ich mich in bester John-Wayne-Art durch die mexikanisch angehauchte Umgebung und zahlreiche Gegner. Ab und an folgen Stealth-Passagen, gepaart mit Schalterrätseln und Zahlenspielereien und manchmal ist es besser nicht zu kämpfen. Darüber hinaus habe ich in der semi-offenen Spielwelt die Möglichkeit, optionale Dungeons zu durchforsten und bessere Ausrüstung zu finden. Ich kann aber auch direkt die vier Hauptdungeons von Untoten befreien und mich dem letzten Gemäuer stellen. Sonnenlicht ist dabei nicht zwingend erforderlich, doch es erleichtert die Arbeit ungemein. Lediglich wenn man die Vampire der vier Hauptgewölbe und der letzte Boss mit dem Sarg ins Freie ziehen muss (Ob sich Kojima hier für Death Stranding hat inspirieren lassen?), damit sie gereinigt werden können, ist das notwendig.
Mit einem Trick lässt sich aber ein bisschen Sonnenlicht permanent nutzen. Zum Glück gibt es im Spiel keine zwingende Stelle, an der zwischen Hell und Dunkel spontan gewechselt werden muss. Zugegeben, das Gameplay ist ab einer gewissen Stelle nicht mehr abwechslungsreich, aber es wurde so gut für den GBA umgesetzt, dass dieser Umstand schnell in den Hintergrund tritt. Je nachdem, wie ich mich anstelle, erlebe ich verschiedene Endsequenzen. So lag ich also zwei Wochenenden im Bett und bin vollends in der Welt von Istrakan versunken. Das führte sogar soweit, dass ich, noch bevor ich mit dem Spiel durch war, direkt den zweiten Teil und Lunar Knights für den Nintendo DS bestellt habe. Doch damit ging die Sucht erst richtig los. Die Corona-Krise und der damit verbundene Appell, trotz Lockerungen daheim zu bleiben, taten ihr Übriges.
Boktai 2 - Solar Boy Django
Die Handlung des zweiten Teils setzt direkt nach der Befreiung von Istrakan ein. Django und Otenko befinden sich auf dem Heimweg nach San Miguel, im Glauben die Welt vom größten Übel befreit zu haben. Doch weit gefehlt, in der Heimat von Django treffen sie auf einen mysteriösen Vampir, der die Gun Del Sol an sich reißt und verschwindet. Jetzt gilt es nicht nur, die Waffe wieder zu erlangen, sondern auch San Miguel zu befreien, denn die Stadt trägt ein Geheimnis unter sich, das noch viel übler ist als alles, aus was Otenko und Django in Istrakan erlebt haben. Doch ohne die Gun Del Sol wird das schwierig, aber zum Glück kann Django dank eines Sonnen-Handschuhs nun auch Schwert, Hammer und Speer mit Sonnenenergie nutzen.
Zudem kehren im Verlauf des Abenteuers immer mehr Einwohner nach San Miguel zurück, so dass ich mich nicht nur mit neuen Waffen, Ausrüstungsgegenständen, sondern auch Tränken und anderen Dingen ausstatten kann. Außerdem gibt es einen Schmied, bei dem ich unter Einsatz von Sonnenlicht, noch bessere Waffen anfertigen kann. Zusätzlich scheint Boktai 2 das erste Spiel mit dem Einsatz von Lootboxen zu sein. Ab einem gewissen Punkt in der Geschichte kann man bei Solid Snake (Ja, der hat einen Gastauftritt im Spiel.) so genannte Mystery Boxen kaufen, in denen sich Waffen und mehr befinden. Bedingt durch die Tatsache, dass eine ganze Stadt nun mein Ausgangspunkt für die Welt ist, erhält das Spiel einen recht offenen Charakter.



Der Spielablauf hingegen ist dem Vorgänger relativ ähnlich, allerdings hat sich beim Gameplay einiges getan. Das Spiel setzt zu 90 Prozent auf Nahkampf und Magie. Anders als im ersten Teil verliert Django zu Beginn die Schusswaffe. Dafür gibt es aber verschiedene Hieb- und Stichwerkzeuge sowie Magiearten als Ausgleich. Aufbauend darauf erfordern viele Rätsel den wechselseitigen Einsatz dieser Dinge. Es gibt dieses Mal sogar eine Stelle, an der ich spontan zwischen Helligkeit und Dunkelheit wechseln muss. Einmal ist man also gezwungen zum Spielen in die Sonne zu gehen, ansonsten lässt sich das gesamte Game mit dem gleichen Trick wie im ersten Spiel durchzocken. Außerdem kann sich Django in Dark Django verwandelt. Dann ist er zwar durch Sonnenlicht verwundbar, agiert aber schneller und härter und kann auf dunkle Magie zurückgreifen. Wie auch im Original existieren mehrere Endsequenzen.



Beim zweiten Spiel gibt es sogar richtige Endgame-Inhalte. Nach dem Ende der Hauptgeschichte lässt sich eine kleine Nebengeschichte mit Capcoms Mega Man erleben. Daneben darf ich zahlreiche Fotos von Charakteren freispielen, einen optionalen Dungeon wie im ersten Spiel erforschen und einen Boss-Rush-Modus ausprobieren. So vergingen wieder zwei sonnige Wochenenden im Bett und ich vergaß sogar Sea of Thieves zu zocken.
Boktai 3 - Sabata's Counterattack
Bedingt durch meine mangelnden Japanischkenntnisse habe ich bislang den dritten Teil der Reihe nicht selbst spielen können. Boktai 3 – Sabata’s Counterattack ist nämlich aufgrund des ausbleibenden Erfolgs des zweiten Teils nie außerhalb Japans erschienen. Es gibt zwar einige Fanübersetzungen, aber dafür müsste ich einen Emulator und die entsprechende ROM-Datei herunterladen. Sowas habe ich vielleicht mit 16 gemacht, aber jetzt nicht mehr. Aber die Bestellung läuft und entsprechende Übersetzungen der Menüs gibt es ausreichend. Den Rest kann ich nachlesen. Demensprechend stammt mein Wissen derzeit noch hauptsächlich aus "Let’s Play"-Videos. Diese zeigen aber eine konsequente Weiterentwicklung der Reihe.



Django ist nun in der Lage, die Gun Del Sol und weitere Waffen nutzen. Neben der Fähigkeit zu Black Django zu werden, kann er jetzt mit Otenko fusionieren und wird zu Sol Django, der mächtigsten Form; quasi zu reiner Sonnenenergie. Zusätzlich fährt Django mit einem Motorrad, das gleichzeitig ein Sarg ist, zwischen einzelnen Gebieten umher. Es gibt lediglich einen Sprung in der Handlung. Statt nämlich an beide Vorgänger direkt anzuschließen, ist unklar, wann die Geschichte einsetzt. Sabata wacht auf dem Mond und Django mit Gedächtnislücken in einem Gefängnis auf. Doch nach dem Ausbruch aus dem selbigen kehren einige Erinnerungen zurück. Das letzte, woran sich der Protagonist erinnern kann, ist, dass Sabata eine Gruppe von Unsterblichen angeführt hat, die offensichtlich für das Chaos verantwortlich ist. Warum, wieso, weshalb? Das werde ich nur herausfinden, wenn ich das Spiel mal selbst gezockt habe.



Lunar Knights
Auf dem Nintendo DS wollte man einen etwas anderen Blickwinkel des Boktai-Universums erzählen. Allerdings konnte das DS-Spiel nie die Qualität der Vorgänger erreichen, was vielleicht auch auf den schwindenden Einfluss von Hideo Kojima und neue Hardwarevoraussetzungen zurück zu führen ist. Der Nintendo DS unterscheidet sich nicht nur durch seine zwei Bildschirme vom Game Boy Advance. Neu sind ebenfalls die Unterstützung des Mikrofons, Onlinefähigkeiten und eine bessere Prozessorleistung. Doch irgendwo zwischen Vorstellung und Wirklichkeit haben sich die Entwickler verzettelt. Zudem fungierte Hideo Kojima nur noch als einer von zwei Produzenten.
Durch den Wegfall des Solarsensors wurde dem Spiel darüber hinaus die Einzigartigkeit geraubt. Stattdessen kann ich das Wetter vom Hub des Spiels aus manipulieren und auf meine Bedürfnisse in den jeweiligen Dungeons anpassen. Apropos Hub, Lunar Knights verfügt nicht über eine zusammenhängende Spielwelt. Jegliche Dungeons werden über eine (ziemlich unübersichtliche) "orbitale Raumstation" angewählt, wodurch das Spiel leider den Charakter eines Dungeon-Crawlers bekommt und sich kaum mehr wie ein Action-Adventure anfühlt. Außerdem erkennt ihr hier, dass die Handlung in der Zukunft stattfindet. Folglich haben wir es nicht mehr mit Django und Sabata zu tun, sondern mit Aaron und Lucian. In der japanischen Fassung heißen beide übrigens weiterhin wie in den anderen Spielen.
Das Gameplay wurde ebenfalls mächtig ausgehöhlt. Schleich- und Rätselabschnitte sind fast gänzlich verschwunden. Es ist zwar möglich; Gegner mittels Pfeifen ins Mikrofon abzulenken, aber in 99 Prozent der Fälle ist das nicht nötig. Dafür darf ich jederzeit zwischen Aaron und Lucian wechseln, je nach Gegner und Situation. Magie und verschiedene Waffen sind zwar vorhanden, unterscheiden sich aber spielerisch kaum von den Vorgängern. Nur der Schild ist neu, aber trotzdem lautet die Devise stets: Immer feste druff, bis der Vampir das Zeitliche oder Untote sich auflösen! Lediglich die Reinigung ist geblieben, wenn auch in anderer Form. Statt einen Vampir konstant mit Sonnenlicht zu beschießen, wird der Sarg mit dem Blutsauger darin nun mittels eines Satelliten vernichtet. Dazu muss ich eine kleine “Shoot ‘em Up“-Sequenz auf dem Touchscreen des Nintendo DS‘ überstehen.
Das ist auch die einzige gelungene Innovation des Spiels. Ansonsten wurden sämtliche Hardwareeigenschaften mehr oder weniger herzlos und nur um dessen Existenz Willen eingebaut. Besonders die Nutzung der beiden Bildschirme haben die Entwickler schwach umgesetzt. Satt sinnvolle Dinge wie eine Karte, Statistiken oder Ähnliches anzuzeigen, wird das Wetter dargestellt und Sachen, die bei den Game-Boy-Advance-Spielen locker auf den einen Bildschirm gepasst haben. Wer über einen Nintendo DS mit GBA-Schacht verfügt, kann alle zwar drei GBA-Games einsetzen, um die UV-Sensoren zu nutzen, ein großartiger Mehrwert resultiert daraus aber leider nicht.



Im Vergleich zur japanischen Version wurden die westlichen Varianten übrigens um die "Mega Man"-Nebengeschichte und eine Nachrichtenfunktion beschnitten. Ganz ehrlich? Vermisst habe ich weder das eine noch das andere. Es existiert allerdings eine Komponente, die über alle Zweifel erhaben ist: die Zwischensequenzen! Diese werden in Lunar Knights nämlich in Form von Animevideos präsentiert, die vom Studio 4 Degrees (Studio 4°C) gezeichnet wurden. Nachdem ich die Geschichte von Lunar Knights beendet hatte, bin ich doch wieder zum ersten Spiel gewechselt, nur weil ich noch einmal den Grafikstil bewundern wollte.
Boktai 3D, Boktai 4 oder Lunar Knights 2?
Wie könnte es in Zukunft weitergehen? Nun das weiß ich auch nicht. Konami wird wohl derzeit kaum darüber nachdenken, die Serie wieder zu beleben. Dazu war der Erfolg der Spiele zu gering. Dabei würden sich in der heutigen Zeit einige interessante Möglichkeiten ergeben und Vampire in einer Western-Umgebung gibt es nun nicht gerade en masse. Durch unsere immer vernetzte Welt könnte man zum Beispiel Echtzeitwetterdaten nutzen, um eine Heimkonsolenversion für die PlayStation oder Xbox auf die Beine zu stellen.
Oder man verbindet die Konsole mit einer Bluetooth-Wetterstation, die viele von uns zu Hause haben. Bei einer Switch-Variante könnte man zudem einen Solarsensor wieder mitliefern, der einfach in die Kopfhörerbuchse der Konsole gesteckt wird. Oder man arbeitet mit einem Solarsensor, der ans Handy gesteckt wird. Die gesammelten Sonnenstunden kann man dann hinterher ins Spiel übertragen, so würde der Gedanke, draußen zu spielen, auch zu einem gewissen Grad daheim funktionieren.
Dazu wird es vermutlich leider nie kommen. Aber es gibt zum Glück ein Projekt für Fans wie mich. Kura5, quasi ein Boktai in 3D, das genau die angesprochenen Echtzeitwetterdaten nutzt, befindet sich derzeit bei einigen Hobby-Entwicklern in der Mache. Schaut es euch mal an. Es wird vermutlich die einzige Möglichkeit bleiben, in irgendeiner Form mit der Marke verbunden zu bleiben, außer Konami entscheidet sich, die Reihe aus der Mottenkiste zu holen. Ich würde es allerdings bevorzugen, wenn Hideo Kojima sich der Marke wieder annimmt (rechtliche Belange mal außen vor gelassen) und mit neuen Ideen füttert. Death Stranding hat eindrucksvoll bewiesen, dass der Japaner immer noch mit unkonventionellen Ideen auftrumpfen und verblüffen kann.