The Suicide of Rachel Foster erweist sich als Walking Simulator mit schöner Kulisse, dem es aber an Spannung mangelt.
The Suicide of Rachel Foster im Test: Hotelaufenthalt mit Längen
Ein leeres Hotel im Norden der USA, in den verschneiten Bergen – klingt ein bisschen nach Stephen Kings "Shining", doch in The Suicide of Rachel Foster gibt es weder einen wahnsinnigen Jack Nicholson, noch ist der Walking Simulator des italienischen Entwicklers ONE-O-ONE GAMES ein Horrorspiel – auch wenn das Setup eigentlich wie gemacht dafür wäre. Doch der Titel will euch nicht gruseln, sondern in erster Linie eine Geschichte erzählen, bei der euch nach und nach mehr Fragezeichen im Kopf herumschweben. Warum die Rechnung aber leider nicht so ganz aufgeht und daran auch die binaurale Soundkulisse nichts ändern kann, lest ihr in unserem Test.
Wenn das Wetter nicht mitspielt
Das Adventure The Suicide of Rachel Foster spielt im US-Bundesstaat Montana im Jahr 1993. Ihr schlüpft in die Haut von Nicole, deren Eltern ein Hotel in den Bergen betrieben. Als eines Tages herauskam, dass der Vater eine Affäre mit einer Teenagerin, eben jener Rachel Foster, hatte, die daraufhin schwanger wurde und sich das Leben nahm, verließ Nicole mit ihrer Mutter das Hotel, in dem die Familie selbst gelebt hatte.
Jahre später sind beide Elternteile gestorben und Nicole fährt zum Hotel zurück, das nun leer steht. Sie will den letzten Wunsch ihrer Mutter erfüllen: den Schuppen verkaufen und das Geld der Familie Foster zukommen lassen. Eigentlich soll Nicole zusammen mit einem Anwalt den Wert des Gebäudes schätzen lassen. Doch ein Schneesturm sorgt dafür, dass die junge Dame allein in dem Hotel festsitzt. Ihr einziger Kontakt zur Außenwelt ist Irving, ein Mitarbeiter der FEMA, der nationalen Koordinationsstelle für Katastrophenhilfe der USA. Per Mobiltelefon ist Nicole mit ihm verbunden und gemeinsam versuchen sie, ein Mysterium aufzuklären. Denn es scheint, als wäre zumindest ein Teil von Rachel immer noch in dem Hotel.
Beschwerlicher Weg zu einem befriedigenden Ende
Die Geschichte ist der wichtigste Baustein von The Suicide of Rachel Foster – typisch für einen Walking Simulator. Genau das ist der Knackpunkt: Die Story braucht sehr lange, bis sie in Fahrt kommt – lange in Relation zur Länge des Spiels, die mit circa drei Stunden knapp bemessen ist. Noch bis ins letzte Drittel hinein wirft die Handlung zwar hin und wieder mal ein paar mysteriöse Dinge hinein, die zum Grübeln anregen sollen, aber bis sich der Plot richtig weiterentwickelt und Spannung erzeugt, dauert es wirklich bis kurz vor Schluss.
Dafür ist ONE-O-ONE GAMES ein schlüssiges Ende mit einem überraschenden Twist gelungen, den wir so nicht haben kommen sehen. In der Hinsicht verhält sich The Suicide of Rachel Foster gegenteilig zum letztjährigen Genrebeitrag aus Italien, Close to the Sun, der mittendrin unser Interesse an der Geschichte geweckt hat und dann mit einem enttäuschenden Ende alles einriss, was es sich vorher aufgebaut hat.
Eine starke Hauptfigur
Ganz gut gefällt uns Nicole als Hauptfigur. Sie ist recht gut ausgearbeitet. Wir lernen sie nicht nur durch die Gespräche mit Irving kennen, sondern auch anhand ihres alten Kinderzimmers, in das euch die Geschichte recht schnell führt. Die Gestaltung des Raumes erzählt uns, dass sie früher leidenschaftlich Hockey gespielt hat, wir finden einen E-Bass und Astronomieposter. Die Wissenschaft der Gestirne war die große Leidenschaft von Nicoles Vater, die aber scheinbar auch ein wenig auf die Tochter abgefärbt hat.
Auch das Verhältnis zum männlichen Elternteil wird gut gezeichnet. Nicole nennt ihn in den Dialogen mit Irving nie Vater, sondern immer nur bei seinem Vornamen. Was er einst getan hat, war für sie also ein großer Schock und hat zur völligen Distanzierung geführt. Zugleich wirft das Spiel aber auch einen Blick hinter die Fassade und deutet immer wieder an, dass Nicole innerlich doch noch etwas für ihren verstorbenen Vater übrig hat.
Alles in allem ist sie keine Protagonistin, die uns auf Dauer in Erinnerung bleiben wird, aber Nicole bietet mehr Tiefe als viele andere Videospielhauptfiguren. Schade ist nur, dass ONE-O-ONE GAMES bei den Dialogen zwischen ihr und Irving Potenzial verschenkt hat. In Ansätzen sind sie gut geschrieben, doch dann kommt es auch immer wieder zu sehr hölzern wirkenden Wortwechseln, denen es an der Natürlichkeit fehlt, mit der das ähnlich gelagerte Firewatch glänzt.
Die Handyrechnung muss ganz schön hoch ausfallen
Auch bei der Erkundung des Hotels zeigt sich, dass die Entwickler vielleicht nochmal ein bisschen an ihren Storytelling-Fähigkeiten feilen sollten. Denn wenn ihr einen Raum betretet, in dem es mehrere Objekte gibt, die ihr untersuchen könnt, passiert oftmals folgendes: Ihr wählt einen Gegenstand an, dann holt Nicole ihr Telefon hervor, ruft Irving an und spricht mit ihm über den Fund. Nach dem Gespräch legt sie auf, ihr geht zum nächsten Item, drückt den Aktionsknopf und erneut erhält der FEMA-Mitarbeiter einen Anruf. Gerade in den Momenten, wo das mehrmals hintereinander in Sekundenabständen passiert, wirkt das nicht stimmig. Da wäre es besser gewesen, ihr könntet euch erst mal alles in Ruhe anschauen und anschließend würde ein abschließendes Gespräch zwischen Nicole und Irving erfolgen.
An sich gefällt uns die Spielwelt von The Suicide of Rachel Foster aber ganz gut. Das Hotel ist detailverliebt gestaltet. Überall finden sich irgendwelche Dokumente, die allesamt lesbar sind (auch die, die ihr nicht näher untersuchen könnt), oder andere Objekte, die ihren Teil zum Storytelling beitragen. So finden sich beispielsweise im Badezimmer der Suite, in der bis zuletzt Nicoles Vater gewohnt hat, jede Menge Medikamente, die darauf hindeuten, dass es ihm in der letzten Phase seines Lebens wirklich nicht gut ergangen sein muss.
Schade ist nur, dass selbst die Schriftstücke, die ihr aufheben und näher begutachten könnt, nur in englischer Sprache lesbar sind. Deutsche Untertitel gibt es hierfür nicht. Zudem finden sich generell zu wenige Objekte in der Welt, zu denen Nicole irgendwas zu sagen hat. Stattdessen hielten wir oftmals Zigarettenschachteln oder Reinigungsmittel in den virtuellen Händen, die nur rein zur "Dekoration" dienen. Dadurch vergeht schnell die Lust, das Hotel wirklich zu erforschen, und man hält sich lieber an den linearen Verlauf der Handlung.
"Wo soll ich nochmal hin?"
The Suicide of Rachel Foster hat noch ein weitaus größeres Problem: Oftmals versagt es bei der Spielerführung. Ihr bekommt zwar früh im Spiel eine Karte, die ihr fast jederzeit aufrufen könnt und die in der Regel um einen Hinweis ergänzt ist, was als nächstes zu tun ist, dennoch wussten wir an mehreren Stellen im Spiel nicht, wo wir als nächstes hinsollten. Manchmal klärte sich die Frage glücklicherweise schnell auf, weil dann nach ein paar Metern Fußweg ein Telefongespräch mit Irving getriggert wurde.
Es gibt aber eine Stelle spät im Spiel, an der Nicole an einem bestimmten Ort innerhalb des Hotels aufwacht, keine Gegenstände bei sich trägt (somit auch keine Karte) und das Spiel euch nicht mitteilt, was zu tun ist. Wir sind daraufhin durch die gesamte Spielwelt geirrt, hatten keinen blassen Schimmer, wie es weitergehen sollte, und mussten am Ende beim Publisher nachfragen. Des "Rätsels" Lösung: in Nicoles altes Zimmer laufen, dort liegt das eigene Inventar. Hier wäre ein kurzer Monolog à la "Meine Sachen liegen bestimmt in meinem Zimmer" dringend nötig gewesen.
Kein mechanisches Spiel
Es wird euch vermutlich nicht überraschen, wenn wir schreiben, dass The Suicide of Rachel Foster nicht viel Gameplay bietet. Es ist nun mal ein Walking Simulator und daran ist an sich auch nichts auszusetzen. In diesem speziellen Fall wäre es aber nett gewesen, wenn die Entwickler zumindest mal das eine oder andere Rätsel eingebaut hätten. Das hätte die anderen Schwächen ausgleichen können.
Zwar werdet ihr hin und wieder vor kleine Probleme gestellt, die es zu lösen gilt, aber das ist stets so simpel, dass es sich nicht anbieten würde, von Rätseln zu sprechen. Durchaus nett ist die Idee, mit einem speziellen Mikrofon die Quelle für ein sonderbares Geräusch aufzuspüren. Das passiert aber nur ein einziges Mal im Spiel, danach kommt das Mikrofon nie wieder zum Einsatz.
Hört sich gut an
Wo wir gerade bei dem Thema sind: Der Sound in The Suicide of Rachel Foster ist die große Besonderheit des Spiels. Der ist nämlich binaural, was so viel bedeutet wie: Eure beiden Ohren werden mit unterschiedlichen Frequenzen beschallt. Deshalb solltet ihr mit Kopfhörern spielen, sonst geht der Effekt verloren. Und ja, die Klangkulisse in The Suicide of Rachel Foster ist richtig gut und unterstreicht wunderbar die Atmosphäre. Aber zum einen hatten wir nicht das Gefühl, dass der binaurale Ton wirklich entscheidend für das Spielerlebnis ist. Das Spiel fängt nicht viel damit an, es ist einfach nur ein netter Effekt, den wir wertschätzen. Würde es ihn nicht geben, wäre The Suicide of Rachel Foster deshalb kein schlechteres Spiel.
Ärgerlich ist zudem, dass wir eine Zeit lang im Spiel mit Aussetzern der halben oder gar fast der ganzen Soundkulisse zu kämpfen hatten. Da waren auf einmal Nicole und Irving nicht mehr zu hören und Umgebungsgeräusche wurden nur sporadisch eingespielt. Da wir den Titel vor offiziellem Release gespielt haben, könnte das ein Problem gewesen sein, dass in der Launch-Fassung gar nicht mehr auftritt. Uns hat es aber arg gestört, denn gerade in so einem Werk, das viel Wert auf Atmosphäre legt, ist so ein Bug fatal.
Dafür ist der ruhige Soundtrack schön komponiert, die diversen Geräusche aus der Umgebung erzeugen ein andauerndes Unwohlsein und die beiden Sprecher von Nicole und Irving machen einen guten Job. Sie hauchen den beiden Figuren, deren Gesichter wir nie zu sehen bekommen, Leben ein.
Nicht aus dem Fenster schauen!
Grafisch hingegen merkt man dem Spiel sein niedriges Budget deutlich an. Das soll nicht heißen, dass The Suicide of Rachel Foster hässlich sei. Das Innere des Hotels sieht mit seiner schicken Beleuchtung und den detaillierten Räumen sogar ziemlich ordentlich aus. Aber die Tatsache, dass das Spiel zu keinem Zeitpunkt Charaktere in Gänze darstellt, und ihr beim Blick aus den Fenstern keine weiten Schneelandschaften, sondern maximal einen Baum und eine flache, weiße, ansonsten leere Fläche seht, offenbaren, dass hier an vielen Ecken und Enden gespart wurde – jedoch an den richtigen Ecken und Enden. Das, worauf es ankommt, nämlich das Hotel und sein Interieur, sieht gut aus. Hier ist das Entwicklerteam also recht geschickt vorgegangen.
Fazit
The Suicide of Rachel Foster ist ein wenig wie eine Achterbahnfahrt, nur das der Wagen ganz langsam durchs Tal fährt und ganz schnell die zwei Berge davor und dahinter. Am Anfang waren wir interessiert zu erfahren, was innerhalb der Familie von Nicole passiert ist und die liebevolle Gestaltung des Hotels machte Lust darauf, es genau zu erkunden. Nach kurzer Zeit fingen wir aber an, uns zu langweiligen, weil sich die Story zu behäbig weiterentwickelte und wir eben feststellten, dass es nicht viel Interessantes zu entdecken gibt. Erst ganz zum Schluss ging es dann wieder bergauf. In der Gesamtsumme ergibt das leider einen mäßigen Titel ohne richtige Highlights. In einem Walking Simulator wollen wir, dass uns die Story von Anfang bis Ende packt, das gelingt The Suicide of Rachel Foster nicht und somit gehört es leider zu der Garde Spiele, die man als Fan des Genres nun wirklich nicht gespielt habe muss.
- Schön gestaltete Spielwelt
- Toller Sound
- Geschichte findet ein gutes Ende,...
- ...entwickelt davor aber keine Spannung
- Dialoge nicht gänzlich gelungen
- Sporadische Ausfälle der Tonkulisse
- Teils schlechte Spielerführung