Mit Steelrising liefert der Pariser Entwickler Spiders ein Souls-like ab, das perfekt für Genreeinsteiger ist, trotz einiger Macken.
Steelrising im Test: Bloodborne auf Französisch … und in leicht
1789 bis 1799 – was hat da stattgefunden? Na, wer weiß es? Wer erinnert sich an den Geschichtsunterricht in der Mittelstufe? Ja, richtig, die Französische Revolution. Ich werde das niemals vergessen, denn meine damalige Lehrerin hatte sich für dieses Thema richtig viel Zeit gelassen. Gefühlt haben wir zwei Jahre lang über nichts anderes geredet (was dazu geführt hat, dass wir am Ende des 10. Schuljahrs gerade mal mit dem Ersten Weltkrieg fertig waren). Daher weiß ich noch ganz genau, was sich da alles zugetragen hat. König Louis XVI. löste am 20. Juni 1789 die Generalstände auf, erklärte seine Feinde zu Geächteten und richtete mit seiner Automatenarmee ein großes Blutbad in Paris an. Die einzige Hoffnung für das Volk: eine Roboterdame mit erstaunlichen Kampffähigkeiten ... Äh, Moment, ne! Da hab ich jetzt was verwechselt. Das habe ich gar nicht in der Schule gelernt, sondern in Steelrising selbst erlebt. Und ja, das Action-RPG von Spiders (Greedfall) mag, ähem, sich nicht so ganz an die historischen Fakten halten.
Französische Revolution mal anders
Wir haben es hier mit einem klassischen Fall von alternativer Weltgeschichte zu tun. Im Szenario von Steelrising ist König Louis XIV. ein Tyrann, der mit Hilfe einer Armee von Maschinen seine Macht sichern möchte. Seine Frau Marie-Antoinette hält er im Schloss Saint-Cloud im Südwesten von Paris, das er einst für sie kaufte, gefangen. Sie kann nicht länger ertragen, was ihr Gatte tut und schickt ihre Leibwächterin Aegis, besagte Roboterdame, in die Stadt, um dem Schrecken ein Ende zu setzen.
Steelrising ist zwar ganz klar ein Souls-like, wie ihr weiter unten noch merken werdet, doch in Sachen Erzählung bleibt Spiders den klassischen RPG-Tugenden treu. Anders als in einem Dark Souls oder Bloodborne gibt es viel mehr Zwischensequenzen und die Dialoge sind längst nicht so kryptisch. Zudem gibt es ein Tagebuch mit klar kommunizierten Haupt- und Nebenquests. Abgesehen davon, dass ihr immer wieder mal Briefe in der Spielwelt findet, die euch Hintergrundinfos geben, müsst ihr die Story nicht selbst in eurem Kopf zusammensetzen – und vor allem hat Steelrising einen klaren, umfangreichen Plot, anstatt sich primär auf seine Lore zu stützen.
Über die Qualität der Geschichte lässt sich jedoch streiten. Sie ist beileibe nicht schlecht, aber so richtig gepackt hat sie mich nicht. Las ich am Anfang noch jeden Eintrag im spielinternen Almanach, konzentrierte ich mich schon nach wenigen Stunden nur noch auf das Gameplay und die wichtigen Story-Momente innerhalb der Quests. An die erzählerische Qualität von Greedfall kommt Steelrising definitiv nicht heran, dafür weiß aber das Setting zu gefallen. Französische Revolution mit Robotern? Das habe ich zuvor noch nie gesehen.
Wuchtige Kämpfe
Während Steelrising narrativ eher ungewöhnlich für ein Souls-like ist, sieht das auf spielerischer Ebene anders aus. Der Schwerpunkt liegt ganz klar auf den Kämpfen. Es gibt keine Rätsel oder Quests, die lediglich aus Erkundung und Dialogen bestehen und sofern ihr innerhalb eines Levels noch keine Abkürzungen freigeschaltet habt, könnt ihr den Konfrontationen mit den feindlichen Maschinen auch nicht aus dem Weg gehen.
Wie in anderen Genrevertretern wählt ihr zu Beginn zwischen mehreren Klassen, die jedoch nur eure Startwerte und -ausrüstung festlegen. Wie ihr Aegis danach entwickelt, ist ganz euch überlassen. Das Spiel bietet über 40 Waffen und die sind richtig cool designt. Ich habe mich schnell in die Nemesis-Klauen verliebt, mit denen ich à la Wolverine meine Gegner aufschlitze. Aber auch die gepanzerten Fächer, mit denen ihr als Tänzerin startet, oder die Kombination aus Säbel und Fauchon sind cool und es macht Spaß, mit ihnen auf die Automaten des Königs einzudreschen. Dafür sorgt auch das sehr befriedigende Trefferfeedback. Die Waffen spielen sich auch angenehm unterschiedlich. Jede hat eine eigene Spezialfähigkeit. Mit meinen Klauen zum Beispiel kann ich feindliche Attacken parieren und dann zu einem effektiven Gegenschlag ausholen. Obendrein verursachen manche Waffen Elementarschaden. Für mich hat sich die Charleville-Schildmuskete als nützliches Zweitkampfwerkzeug erwiesen. Ein paar mal damit auf einen Gegner gefeuert, friert er für kurze Zeit ein und ich kann ihn schön mit meinen Klauen bearbeiten, ohne dass er sich wehrt.
Bloodborne-Ersatz für PC-Spieler
Mit seinem recht hohen Spieltempo und dem Fokus auf Offensive erinnert Steelrising mehr an Bloodborne als Dark Souls (das Setting mit dem nächtlichen Paris des späten 18. Jahrhunderts, auf dessen Straßen sich die Leichen nur so häufen hat daran auch seinen Anteil). Schusswaffen sind hier zwar mehr als nur ein Mittel zum Kontern und es gibt Waffen mit richtiger Schildfunktion, doch Steelrising ist kein Spiel für Leute, die sich die ganze Zeit nur hinter einem Schild verstecken möchten. Ihr lernt schnell, dass Angriff die beste Verteidigung ist und ihr in den meisten Fällen gegnerischen Attacken eher ausweicht, anstatt sie zu blocken. Wer mit Bloodborne seine helle Freude gehabt hat, wird auch im virtuellen Paris eine Menge Spaß am Kämpfen haben.
Allerdings solltet ihr nicht erwarten, dass euch Steelrising genau so sehr fordert wie FromSoftwares leider immer noch PS4-exklusives Gothic-Horror-Abenteuer (wo bleiben die PS5- und PC-Version?!). Gerade mit meiner oben erwähnten Waffenkombination aus Klauen, mit denen ich Gegner betäuben kann, und Frostmuskete, bin ich selbst mit Bossen spielend leicht fertig geworden. Na gut, das ist etwas übertrieben. Ihr müsst schon bedacht kämpfen und Fehler können euch schnell das Leben kosten – aber eben längst nicht so schnell wie in anderen Souls-likes. Nie kam ich in die Situation, dass mir die Heil-Items ausgegangen sind oder ich zig Anläufe für einen bestimmten Kampf gebraucht habe. Steelrising ist nicht anspruchslos, aber definitiv eines der leichtesten Souls-likes auf dem Markt, wenn nicht sogar das leichteste.
Der Witz ist: Ausgerechnet dieses Spiel bietet einen Spielhilfemodus. Wenn ihr den aktiviert, könnt ihr den Schaden, den Aegis einsteckt, um bis zu 100 Prozent mindern, das Ausdauerherstellungstempo erhöhen und auch einstellen, dass ihr nach dem Tod keine Seelen (hier heißen sie Anima-Essenzen) verliert. Der Preis dafür ist, dass ihr einige Achievements nicht erhalten könnt, wenn ihr den Modus einmal aktiviert. Sollte euch also Steelrising doch noch zu hart sein, könnt ihr es euch mit diesen Optionen nochmal deutlich einfacher machen. Gerade für Spieler mit körperlichen Beeinträchtigungen ist das ein fantastisches Feature, aber auch jeder Neueinsteiger wird sich darüber freuen, zumindest die Möglichkeit zu haben, den Schwierigkeitsgrad selbst anzupassen.
Roboter aus exzessiver Serienproduktion
Ein bisschen hapert es bei der Gegnervielfalt. Das grundlegende Design der Maschinen ist sehr cool und hat seinen ganz eigenen Charakter – die Automaten sehen wirklich so aus, wie man sich Roboter vorstellen würde, die jemand vor über 200 Jahren gebaut hätte. Aber leider gibt es zu wenig unterschiedliche Typen. Klar, die diversen Oberkategorien umfassen jeweils mehrere Unterarten (hier kommen die Elemente Feuer, Blitz und Eis ins Spiel). Trotzdem wird man das Gefühl nicht los, dass sich die Feindvarianten sehr schnell wiederholen, und wünscht sich mehr Abwechslung.
Gleiches gilt für die Umgebungen. Das virtuelle Paris von Steelrising ist keine Open World, sondern in acht Levels unterteilt, die teilweise aber relativ groß sind. Klar, dass so ein Setting nicht die optische Vielfalt eines Elden Ring bietet, erklärt sich von selbst. Das Gefühl, ständig durch gleich aussehende Straßenzüge zu laufen, kommt aber doch schnell auf und man wird es auch nicht mehr los. Darunter leidet auch ein wenig die Orientierung. Glücklicherweise bekommt ihr früh im Spielverlauf einen Kompass, der euch anzeigt, in welcher Richtung eure jeweils aktuellen Questziele liegen. Ihr müsst ihn dafür jedoch wie eure Verbrauchsgenstände einem Item-Slot zuweisen und ihn dann aktiv einsetzen, was nicht die eleganteste Art und Weise ist, den Spieler zu führen.
Backtracking, das sich lohnt
Das Leveldesign ist abseits der optischen Aspekte durchaus auf solidem Niveau. Die Gebiete sind schön verzweigt, bieten viele Abkürzungen zum Freischalten und die damit verbundenen „Ach, hier bin ich wieder herausgekommen“-Momente. Nett sind zudem die Metroidvania-Anleihen. Anfangs gibt es noch viele Wege, die ihr gar nicht einschlagen könnt, weil euch das passende Werkzeug fehlt. Zunächst bekommt ihr einen Greifhaken, dank dem ihr so manch höher gelegene Stellen auf einmal erreichen oder breite Abgründe überwinden könnt. Das geht aber nur an fest vorgegeben Stellen. Später gesellen sich noch weitere Tools hinzu, so dass es sich stets lohnt, in bereits besuchte Gebiete nochmal zurückzukehren.
Steelrising bietet sogar seichte Plattforming-Elemente. Aegis kann springen und das sogar relativ hoch. Haltet daher beim Erkunden stets nach verdächtig angeordneten Kisten oder ähnlichem Ausschau, denn es ist gut möglich, dass euch so etwas zu Kisten führt, in denen neue Waffen oder Rüstungsteile stecken. Jedoch ist die Steuerung an dieser Stelle nicht so flüssig, wie man sich das wünschen würde. Ich bin deswegen zwar nie in einen tödlichen Abgrund gestürzt, aber es fühlt sich immer komisch an, wenn Aegis nach einer Kante greift und sich dann an ihr hochzieht.
Motivierende Upgrade-Hatz
Gute Arbeit hat Spiders hinsichtlich der Progression geleistet. Hier erwartet euch zwar keine große Kreativität, sondern gewohnter Standard, aber den hat das Team tadellos umgesetzt. Erworbene Anima-Essenzen investiert ihr, um eure Charakterwerte zu erhöhen. Wie in anderen Souls-likes solltet ihr euch auf die Attribute konzentrieren, mit denen eure Lieblingswaffen skalieren. Bevorzugt ihr leichtes Kampfwerkzeug, mit dem ihr besonders schnell zuschlagt, solltet ihr euch auf Gewandtheit fokussieren. Für schwere Waffen gebt ihr Kraft den Vorzug und wenn ihr den Automaten primär mit Elementarschaden Einhalt gebieten wollt, steckt ihr eure Essenzen in "Elementare Alchemie".
Darüber hinaus erbeutet ihr im Spielverlauf eine Vielzahl an Modulen, die ihr in Aegis einbaut, um passive Boni zu erhalten. Damit lassen sich zum Beispiel das Zeitfenster für Paraden, die Panzerung oder die Resistenzen gegen die Elemente erhöhen. Anfangs steht euch nur ein Slot zur Verfügung, später sind es vier Stück. Ihr schaltet sie mit Modulschlüsseln frei, die ihr in der Spielwelt findet und mit denen ihr sie auch aufwerten könnt, um bessere Module verbauen zu können. Zu guter Letzt könnt ihr noch eure Waffen upgraden sowie die Anzahl und Effektivität euer Ölbüretten, der primären Heilgegenstände, steigern. Wie gesagt: All das ist nichts Besonderes und fügt dem Genre nichts Neues hinzu, motiviert aber stets zum Weiterspielen und aufmerksamen Erkunden.
Paris war schon schöner
Spiders ist kein AAA-Studio und das merkt man Steelrising genau so an wie zuletzt einem Greedfall und all den vorherigen Spielen der Franzosen. Die fehlende optische Abwechslung habe ich bereits erwähnt, hinzu kommen die Wachsfiguren-artigen Charaktermodelle, die alles andere als lebensecht animiert sind und auch aus einem PS3-Spiel stammen könnten. Dafür bietet Steelrising aber immerhin schicke Lichtstimmungen und sogar Raytracing für Spiegelungen. Erwartet diesbezüglich jedoch kein "Cyberpunk 2077"-Niveau. Die Umgebungen sind zumeist schön detailliert und mit ordentlichen Texturen versehen. Auf der höchsten Stufe verbrauchen letztere aber ungemein viel Grafikspeicher, was sich negativ auf die Performance auswirkt. Selbst auf meinem PC mit einer GeForce RTX 3080 Ti kam es dabei zu teils ordentlichen Rucklern, weshalb ich schnell auf die Stufe "Hoch" heruntergeschaltet habe. Das macht keinen allzu großen optischen Unterschied aus, sorgt aber für ein flüssigeres Spielerlebnis.
Aus den Lautsprechern oder Kopfhörern ertönt beim Spielen stets atmosphärische Orchestermusik, die Soundeffekte im Kampf haben ordentlich "Wumms" und die englischen Sprecher machen einen soliden Job. Was mir hierbei gefällt: Die Charaktere haben keinen Akzent, sondern verwenden nur hin und wieder mal französische Worte und sprechen ansonsten astreines Englisch. Alles andere würde mich total stören, denn ich weiß ja, dass die Figuren sich eigentlich in ihrer Landessprache unterhalten – und das würden sie ja auch nicht mit einem britischen Akzent machen, wenn ihr versteht, was ich meine. Eine deutsche Vertonung gibt es leider gar nicht, ihr müsst euch also mit Untertiteln zufriedengeben.
Fazit
Ich war sehr gespannt, ob Spiders es hinkriegen wird, ein gutes Souls-like auf die Beine zu stellen. Immerhin steht und fällt so ein Titel mit seinen Kampfsystem und bislang war reines Gameplay noch nie die ganz große Stärke der Pariser. Steelrising überzeugt in dieser Hinsicht aber fast auf ganzer Linie. Es mangelt zwar in Sachen Gegnervielfalt, aber dafür bietet mir das Spiel reichlich coole Waffen und es fühlt sich richtig gut an, die Automaten in ihre Einzelteile zu zerlegen. Da schmerzt es auch nicht ganz so sehr, dass mich die Story nicht wirklich begeistern konnte. Das größere Problem ist die geringe optische Vielfalt.
Ob euch nun der Schwierigkeitsgrad für ein Souls-like zu niedrig ist, müsst ihr für euch selbst entscheiden. Ja, manche Kämpfe haben sich für mich schon ein bisschen zu einfach angefühlt. Insgesamt finde ich es aber nicht verkehrt, dass Spiders hier einen etwas zugänglicheren Genrevertreter gebastelt hat, der dem Spieler mehr verzeiht. Profis wird das unterfordern, aber für Gelegenheitsspieler und komplette Neueinsteiger ist Steelrising eine Empfehlung wert.
- Sehr gutes Kampfsystem
- Unverbrauchtes Setting
- Motivierende Charakterentwicklung
- Viele coole Waffen
- Spielhilfe-Modus für Einsteiger
- Mäßige Technik
- Story nur Mittelmaß
- Wenig Vielfalt bei Gegnern und Umgebungen
- Souls-like-Profis werden sich unterfordert fühlen
- Hakeliges Platforming