Zwischen einer klischeehaften Story und ganz schön viel Kantenflimmern steckt ein spaßiger Stealth-Shooter mit großer spielerischer Freiheit.
Sniper Elite 5 im Test: Fast jeder Schuss ein Treffer
Ich hasse Scharfschützen! Wie oft ich mich schon in Call of Duty aufgeregt habe, wenn mir mal wieder irgend so ein Camper aus der Ferne ein Projektil in meinen virtuellen Schädel gejagt hat. Klar, man muss mit so einem Präzisionsgewehr auch treffen können, was nicht so einfach ist. Aber wenn man das beherrscht, ist man schnell der König auf Multiplayer-Schlachtfeldern. Was soll ich dann schon mit meiner AK-47 ausrichten, wenn mich jemand aus 100 Metern Entfernung aufs Korn nimmt? In Sniper Elite 5 jedoch werde ich selbst zum Scharfschützen und vergesse meinen Hass. Stattdessen erfreue ich mich daran, nichtsahnende Nazis per Expresszustellung ins Reich der Toten zu schicken. Warum ich das mache, ist mir relativ schnell vollkommen egal, aber die Action selbst genügt, damit ich jede Menge Spaß mit dem Schleich-Shooter von Rebellion habe.
Böse Nazis machen böses Zeug
Seit mittlerweile mehr als 16 Jahren gibt es die "Sniper Elite"-Reihe. So lange schon schleicht sich der OSS-Agent Karl Fairburne durch den Zweiten Weltkrieg und tut das, was er am besten kann: Nazis töten. Er wäre wohl ein perfektes Mitglied der "Inglourious Basterds", zumindest was seine Fähigkeiten anbelangt. Am Charisma muss er noch arbeiten, wobei … Til Schweiger ist in dem Meisterwerk von Quentin Tarantino ja auch mit von der Partie und schafft es, das Filmvergnügen nicht zu schmälern.
Jetzt aber mal Butter bei die Fische: Die Serie stand noch nie für hohe erzählerische Qualität und ihr Protagonist ist nicht viel mehr als eine Hülle für uns Spieler, in die wir hineinschlüpfen, um auf Nazijagd zu gehen. Sniper Elite 5 stellt ist da keine Ausnahme. Wieder geht es darum, die bösen Pläne der Deutschen zu unterbinden, die sie zum Sieg führen sollen. Und wieder dient die Handlung nur als Grund dafür, dass ihr diverse Orte besucht und dort Frühjahrsputz betreibt. Diesmal findet das Ganze in Nordfrankreich statt. Freut euch also auf idyllische Wald- und Wiesengegenden sowie beschauliche kleine Dörfer und prachtvolle Chateaus. Na gut, zumindest wäre das alles idyllisch, beschaulich oder prachtvoll, wenn nicht überall Nationalsozialisten patrouillieren und rote Banner mit dem "Ihr wisst schon was" hängen würden. Zumindest ersteren Umstand könnt ihr ändern.
Keine Überraschungen
Wo die Story nicht wirklich zum Spielspaß beiträgt, springt das Gameplay in die Bresche. In diesem Aspekt gibt sich Sniper Elite 5 kaum Blöße. Die weitläufigen Levels zu durchkämmen sowie Katz und Maus mit den Nazisoldaten zu spielen, ist eine helle Freude, auch wenn es nicht viel Neues im Vergleich zum direkten Vorgänger gibt. Karl darf häufiger Kletterpartien machen und per Seilrutschen größere Distanzen schnell überwinden, aber im Großen und Ganzen serviert Rebellion hier bekannte Kost.
Wie gewohnt schaut ihr dem guten Karl über die Schulter, während ihr euch bevorzugt schleichend fortbewegt und an geeigneten Orten immer wieder per Fernglas die Lage sondiert. Ihr überprüft, wo sich wie viele Gegner aufhalten, wie weit sie von euch entfernt sind, was für Pfade ihr nehmen könnt und ob sich nicht vielleicht auch die Umgebung nutzen lässt, um Feinde auszuschalten. Die klassischen roten Fässer sind genauso mit von der Partie wie in der Luft baumelnde Netze mit schwerer Ladung, die ihr mit einem gezielten Schuss gen Boden fallen lasst, um im Idealfall darunter stehende Bösewichte zu begraben.
Der Blick ins Innerste des Feindes
Das Snipen spielt selbstverständlich eine große Rolle – wenn ihr das denn so wollt. Sniper Elite 5 macht seinem Namen alle Ehre, gerade auf den höheren Schwierigkeitsgradeinstellungen. Wer wirklich unter Beweis stellen möchte, ein Scharfschützenprofi zu sein, schraubt alle Optionen auf die höchste Stufe und muss dann nicht nur die Flugbahn der Kugel korrekt vorberechnen, sondern auch den Wind miteinbeziehen. Ich persönlich nehme dann doch eine Zielhilfe in Anspruch, die mir beim Luft anhalten per rotem Fadenkreuz signalisiert, ob ein ein Schuss treffen würde oder ich nicht doch etwas nachjustieren muss.
Trifft die Kugel ins Braune (ihr wisst schon, wegen Nazis und so), bekommt ihr dank Röntgenkamera im Detail zu sehen, wie sie das Hirn, das Herz oder auch, äh, … andere wertvolle Organe durchbohrt. Wer das nicht sehen mag oder schlicht nach einigen Malen nervig findet, kann das Feature komplett deaktivieren. Es mag Leute geben, die das geschmacklos finden, aber die sind vermutlich eh nicht die größten Fans von Shootern. Ich halte es nach wie vor für eine nette Idee, es ist aber eben auch nicht mehr als ein Gimmick, um Aufmerksamkeit zu erregen. Mittlerweile habe ich die Röntgenkamera auch ausgeschaltet, weil die häufigen Zeitlupen-Kills für mich den Spielfluss etwas gehemmt haben. Man kann aber auch einfach nur die Häufigkeit, in der sie abgespielt werden, reduzieren, möchte man nicht komplett auf sie verzichten.
Das Gute ist: Es braucht keine stylischen X-Ray-Bullet-Time-Kamerafahrten, damit das Gunplay in Sniper Elite 5 befriedigt. Das Trefferfeedback ist richtig gut. Jagt ihr einem Gegner eine Kugel ins Bein, stolpert er. Trägt das Opfer von einem eurer Kopfschüsse einen Helm, fliegt der durch die Gegend. Sehr cool ist auch, dass manche Feinde Granaten sichtbar am Körper tragen. Ein gezielter Schuss und ihr werdet mit einem lauten "Booom!" belohnt.
Karl kann's auch rabiat
Apropos laut: Sniper Elite 5 macht zwar am meisten Spaß, wenn ihr versucht, unentdeckt zu bleiben, aber theoretisch könnt ihr es auch wie einen gewöhnlichen Deckungs-Shooter spielen. Zu eurer Ausrüstung gehört nicht nur ein Scharfschützengewehr. Ihr habt auch immer eine Maschinenpistole und eine normale Pistole dabei. Zusätzlich könnt ihr Granaten sowie Tellerminen mitnehmen. In den Levels findet ihr des Weiteren häufig TNT und Sprengsätze, die dazu dienen, für Missionen relevante Ziele zu zerstören oder Tresore aufzusprengen, in denen sich Ausrüstung, aber auch Sammelgegenstände verbergen können (ihr könnt jedoch auch den Gegner ausfindig machen, der den Code hat, ihn ausschalten, plündern und dann auf weniger Aufmerksamkeit erregende Art an die Goodies gelangen).
Ich würde euch nicht empfehlen, Sniper Elite 5 wie ein Gears of War im Zweiten Weltkrieg zu spielen, weil dafür das Deckungssystem nicht intuitiv genug ist. Karl lehnt sich leider nur automatisch an Mauern, Wände und Co, wenn ihr euch ihnen nähert. Mir ist es ein Rätsel, warum sich manche Entwickler auch heute noch für diese passive Methode entscheiden, wo sich doch schon so oft gezeigt hat, dass die aktive Alternative (siehe Gears of War, Uncharted oder The Division) viel besser funktioniert.
Sollte eure Stealth-Taktik aber mal nicht aufgehen und ihr werdet entdeckt, ist es trotzdem unterhaltsam, anstürmende Nazis mit der MP niederzumähen (Stichwort Trefferfeedback). Noch besser ist es aber, ihr spielt mit der KI. So könnt ihr beispielsweise jede Leiche zur Sprengfalle umfunktionieren. Gleiches geht mit sämtlichen Fahrzeugen. Mit Flaschen lockt ihr eure Widersacher dorthin, wo ihr sie haben wollt. Oder ihr setzt Attrappen ein, um von euch abzulenken. Die Computergegner sind, wenn ihr ihre Intelligenz auf die höchste Stufe stellt (kein Witz, den Schieberegler gibt es wirklich!), auch gar nicht mal so dumm. Sie gehen in Deckung, versuchen euch in die Mangel zu nehmen, haben aber doch hier und da mal ihre Aussetzer.
Gesondert erwähnen möchte ich noch die Nahkampf-Kills: Ihr könnt wahlweise weitestgehend auf Schusswaffen verzichten und euch an die Feinde anschleichen, um sie dann aus dem Hinterhalt mit dem Messer abzustechen. Dabei schneidet Karl gerne mal eine Kehle durch, was mit einem fantastischen Sound untermalt wird, der direkt aus "Kill Bill" stammen könnte. Im echten Leben bin ich totaler Pazifist, aber wenn ich in einem Videospiel mit einem lauten Zischen belohnt werden, während eine Blutfontäne aus einem Nazihals sprießt, finde ich das total befriedigend. Das ist doch nicht seltsam, oder? Nein, ganz bestimmt nicht!
Der erste Level ist trügerisch
Die spielerische Freiheit ist eine der größten Stärken von Sniper Elite 5. Passend dazu sind die neun Levels der Kampagne angenehm groß. Sie bieten euch zudem nicht nur multiple Wege, um eure Hauptziele zu erfüllen, sondern ihr könnt auch Nebenmissionen entdecken. Der Eindruck, den das erste Kapitel am Atlantikwall vermittelt, trügt jedoch ein wenig. Jener Schauplatz ist sehr weitläufig und kommt gleich mit mehreren optionalen Aufgaben daher. Ich habe dort fast alles gemacht (mir fehlen nur ein paar Sammelgegenstände) und daher über vier Stunden auf der Karte verbracht. "Na, wenn jeder Level so umfangreich ist, dann Hut ab!", dachte ich da noch. Tja, stellt sich heraus: Danach werden die Gebiete spürbar kleiner und auch die Anzahl der Nebenmissionen pro Kapitel sinkt.
Das heißt aber nicht, dass der Umfang von Sniper Elite 5 zu gering sei. Ganz im Gegenteil: Wenn ihr euch nicht hetzt und eben auch die ganzen optionalen Ziele erfüllt, seid ihr mit der Kampagne 12 bis 15 Stunden beschäftigt. Wer alle Sammel-Items haben möchte, kann noch ein paar Stunden oben drauf rechnen. Und das ist dann längst noch nicht alles, was das Spiel zu bieten hat.
Ungebetener Besuch
Ihr könnt die Kampagne komplett im Koop spielen, was das Katz-und-Maus-Spiel mit der KI noch unterhaltsamer macht. Dann gibt es das Invasions-Feature: Ihr könnt als Soldat der Achsenmächte in die Welt eines anderen Spielers eindringen und Jagd auf ihn machen, ähnlich wie in den Soulsborne-Spielen von FromSoftware oder zuletzt Deathloop. Umgekehrt kann auch euch jemand auf die Pelle rücken.
Man merkt, dass Rebellion hier ein wenig Hirnschmalz hat einfließen lassen. Der Eindringling bekommt eure exakte Position nur dann angezeigt, wenn die KI euch entdeckt. Umgekehrt erfahrt ihr seinen Aufenthaltsort, wenn ihr auf der Karte markierte Telefone nutzt, bei denen Karl auf Deutsch (er ist in Deutschland geboren) nachfragt, wo "der Jäger" steckt. Erwischt der eine Spieler den anderen, kann der Getötete um eine Revanche bitten. Ich mag das Feature, weil es für mich die Spannung jedes Mal erhöht hat, wenn jemand in mein Spiel eingedrungen ist. Besonders lustig war es einmal, wo sich mein Gegner vor meinen Augen versehentlich selbst mit einer Granate in die Luft gesprengt hat. Köstlich!
Ein dickes Paket
Als weitere Multiplayer-Inhalte stehen euch der Survival-Modus zur Verfügung, in dem ihr ganz klassisch eine Gegnerwelle nach der anderen abzuwehren versucht (nett, aber nichts Besonderes) und das PvP. Das ist zwar auf dem Papier auch nicht sonderlich bemerkenswert, weil es keine kreativen Spielmodi gibt, sondern nur Abwandlungen von "Team Deathmatch" sowie "Frei für alle", doch bedenkt, dass wir hier von Sniper Elite 5 sprechen. Erinnert ihr euch noch an den Anfang dieses Textes? Dass ich Sniper in Multiplayer-Shootern hasse? Nun, hier ist jeder Spieler so einer. Ich kann nicht behaupten, dass ich nicht genauso oft aus der Ferne erschossen worden wäre wie in einem Call of Duty, doch es ist was anderes, wenn jeder sich eine gute Schussposition sucht, um aus großer Distanz Abschüsse zu landen. Die Karten sind dementsprechend designt und bieten viele Scharfschützennester. Und keine Panik: Wer durch sein Zielvisier schaut, verrät automatisch seine Position, weil das Glas Licht reflektiert. Wer also zu lange an einer Stelle verweilt und meint, konstant die Umgebung vor ihm mit dem Fadenkreuz nach Gegnern abscannen zu müssen, muss sich nicht wundern, wenn irgendwann jemand mit dem Messer von hinten "Hallo!" sagt.
Zu guter Letzt sorgt noch die Progression dafür, dass ihr viele Stunden mit Sniper Elite 5 verbringen könnt. Jede Waffenkategorie bietet mehrere Argumentationsverstärker zum Freischalten, die ihr auch umfangreich modifizieren könnt, sobald ihr die jeweiligen Aufsätze freigespielt habt. Zudem steigt ihr im Level auf, verdient euch Bänder sowie Medaillen und Skill-Punkte. Die investiert ihr in drei sehr übersichtliche Talentbäume, um zum Beispiel mehr Granaten oder Heilgegenstände tragen zu können, erhöhte Lebensenergie zu haben oder Gegner bei Nahkampf-Kills automatisch zu plündern. Ist so ein Skill-System in Sniper Elite 5 unverzichtbar? Nein. Stört es? Auch nicht. Es ist einfach da, man freut sich über manches Upgrade, andere lassen einen relativ kalt. Übrigens: In Kampagne und Multiplayer levelt ihr separat auf und die ganzen Schießeisen sowie Aufsätze schaltet ihr ebenfalls für beide Teile des Spiels einzeln frei. Das könnte manch einer als nervige Spielzeitstreckung betrachten, mich stört es allerdings nicht wirklich.
Ich sehe … zu viele Treppen
Sniper Elite 5 ist kein AAA-Titel und das merkt man ihm auch an. Die Charaktermodelle machen keine wirklich gute Figur für ein Spiel aus dem Jahr 2022, nicht mal in den Zwischensequenzen. Dafür sind die Umgebungen richtig hübsch. Die Weitsicht ist ordentlich und die Levels sind mit großer Liebe zum Detail gestaltet. Wohnhäuser sehen hier von innen auch wirklich so aus, als ob dort zumindest vor dem Einmarsch der Nazis mal Menschen gelebt haben – und das Asset Recycling hält sich dabei in Grenzen. Es ist nicht so wie in Dying Light 2, wo zufälligerweise alle Wohnungen exakt gleich eingerichtet sind.
Die schicke Beleuchtung und die flüssigen Animationen tun ihr Übriges, so dass Sniper Elite 5 alles andere als hässlich ist. Aber es ist eben auch „nur“ auf ordentlichem Last-Gen-Niveau. Leider gibt es auf dem PC keine vernünftige Anti-Aliasing-Option. Ihr könnt zwar AMDs DLSS-Äquivalent FSR (FidelityFX Super Resolution) aktivieren, doch selbst auf der höchsten Qualitätseinstellung sorgt das dafür, dass vor allem Objekte in der Ferne arg verwachsen aussehen. Dann nehme ich doch lieber die starke Treppchenbildung, die sich nur durch eine Erhöhung der Auflösungs-Skalierung etwas eindämmen lässt. Doch selbst in Full HD mit einer 200-Prozent-Skalierung ist Kantenflimmern immer noch wahrnehmbar. Hier sollte Rebellion unbedingt mit Patches nacharbeiten.
Als Entschädigung dafür scheppern großartige Waffensounds aus den Lautsprechern oder Kopfhörern. Gerade die Gewehre klingen so authentisch, als ob man direkt vor Ort wäre. Schade ist nur, dass die Sprachausgabe da nicht mithalten kann. Im Gegensatz zum vierten Teil habt ihr diesmal keine Wahlmöglichkeit: Eine komplett deutsche Synchronisation gibt es nicht. Amerikaner sprechen Englisch, die Kämpfer der französischen Résistance, wenn sie sich untereinander unterhalten, Französisch und die Nazis Deutsch. An sich ist das gut für die Atmosphäre. Leider finden sich unter den deutschen Sprechern einige Totalausfälle, der Rest der Besetzung (inklusive der Stimme von Karl Fairburne) ist aber auch nicht überragend, sondern bestenfalls solide.
Fazit
Sniper Elite 5 ist eher ein Sniper Elite 4.5, aber das ist ja nichts Schlechtes. Der Vorgänger ist schon ein gutes Spiel gewesen und der neue Teil ist nochmal ein klein wenig besser, ohne dabei das Rad neu zu erfinden. Er glänzt vor allem mit seinen schön gestalteten, großen Levels, der spielerischen Freiheit, dem befriedigenden Gunplay und seinem Umfang. Wer Wert auf Story und Spitzengrafik legt, muss ein paar Abstriche in Kauf nehmen, aber als Scharfschütze sollte man ja eh immer ein Auge zudrücken, nicht wahr? Davon mal abgesehen: So viele gute Stealth-Shooter kommen nun auch nicht jedes Jahr auf den Markt. Das macht Sniper Elite 5 erst recht empfehlenswert.
- Tolles Gunplay
- Große, schön designte Levels
- Viele Freiheiten
- Großer Umfang
- Cooles Invasions-Feature
- Ordentliche KI
- Authentische Waffensounds
- Viele Schwierigkeitsgradoptionen
- Wenig Neuerungen
- Erzählerisch schwach
- Arges Kantenflimmern
- Teilweise mäßige Sprecher