Scorn ist das wohl widerlichste Spiel des Jahres. Der Satz ist gar nicht mal negativ gemeint, leider gibt es trotzdem viel Raum für Kritik.
Scorn im Test: Die Optik allein reicht nicht
Scorn ist endlich da! Manch einer von euch wird nun vielleicht sagen: "Bitte was? Was ist endlich da? Scorn? Nie davon gehört." Nun, dabei geistert der Titel wirklich schon seit 2014 durchs Netz. Jawohl, der serbische Indie-Entwickler Ebb Software hat das Ding bereits vor acht Jahren angekündigt. Die Arbeiten verliefen nicht ganz problemlos. Die damalige Kickstarter-Kampagne war nicht erfolgreich, das Team gab die Hoffnung aber nicht auf und suchte nach anderen Mitteln und Wegen, das nötige Geld für die Produktion zu bekommen. Man fand einen privaten Investor und 2017 folgte ein zweiter Crowdfunding-Versuch, der diesmal gelang. Gut, für die Entwicklung haben die Osteuropäer dann trotzdem nochmal fünf Jahre gebraucht, aber jetzt ist Scorn tatsächlich spielbar und das für Game-Pass-Abonnenten ohne zusätzliche Kosten. Als Teil des Abo-Services kann man dieses Horrorerlebnis vielleicht mal machen, doch für 40 Euro kaufen solltet ihr es euch nicht. Denn hinter der genialen Optik verbirgt sich leider ein recht ödes Grusel-Adventure.
Grandios ekelhaft
Zunächst einmal muss ich Ebb Software dafür loben, welch geniale Atmosphäre Scorn kreiert. Worum es in der Geschichte geht? Nun, ehrlich gesagt, weiß ich das, nachdem ich den Titel nun gespielt habe, immer noch nicht. Ihr spielt ein menschenähnliches Wesen, das in einer albtraumhaften Welt unterwegs ist, deren Optik stark von den Werken HR Gigers (verantwortlich für das Art Design der "Alien"-Filme) inspiriert ist. Warum ihr dort seid und was euer Ziel ist (außer vielleicht von diesem schrecklichen Ort zu entkommen)? Das erklärt euch das Spiel nicht. Es gibt keinerlei Dialoge, keine Tutorial-Hinweise, keine Hintergrundinfos in Textform – absolut gar nichts!
Das hat einen klaren Vorteil: Ihr könnt euch ganz darauf konzentrieren, die düstere Atmosphäre aufzusaugen, sie einfach nur auf euch wirken zu lassen. Es gibt schließlich nichts, was euch davon ablenkt, euch aus der Immersion reißt. Die dunklen Korridore und Hallen, an deren Wänden sich überall Knochen und Gedärme finden, rufen ein durchgehendes Unwohlsein hervor. Maschinen bestehen stets zum Teil aus organischem Material. Ebb Software ergötzt sich regelrecht an den selbst geschaffenen Bildern. Ständig müsst ihr mit den Apparaturen interagieren, was immer bis ins kleinste Detail animiert ist. Scorn strahlt eine ganz eigene Faszination aus, für die ich definitiv empfänglich bin. Es sieht aber nicht nur kunstvoll aus, sondern überzeugt auch auf technischer Ebene mit scharfen Texturen und einer grandiosen Lichtstimmung. Immer wieder kommt ihr an Szenerien vorbei, die man am liebsten auf ein Poster drucken würde – bis dann irgendwann mal Freunde oder Familie einen besuchen und sich darüber wundern, was für abscheuliche Bilder man sich da an die Wohnzimmerwand gehängt hat.
Die Soundkulisse passt perfekt zum Rest: Alles, was Scorn an Musik zu bieten hat, ist nicht mehr als ein minimalistisches, tiefes Dröhnen im Hintergrund. Die Geräusche, die die Maschinen von sich geben, wenn ihr sie bedient, machen nochmal extra deutlich, wie viel Fleischliches hier im Spiel ist. In Sachen Präsentation ist Scorn nahezu meisterlich. Das Problem ist bloß, dass man sich nach relativ kurzer Spielzeit schon sattgesehen hat. Und dann wird überdeutlich, wie sehr der Titel spielerisch strauchelt.
Hier gibt’s kein Händchenhalten
Vor Release war nicht so hundertprozentig klar, was für eine Art Spiel Scorn nun eigentlich ist. Ist es ein Survival-Horrorspiel? Oder ein sehr düsterer Ego-Shooter? Oder doch eher ein Adventure? Nun, die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte. Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf der Erkundung und Rätseln. Laut der Beschreibung auf Steam sei Scorn ein Open-World-Spiel, dem ist aber nicht so. Die Gebiete hängen zwar zusammen, sind aber doch sehr linear aufgebaut. Meistens bewegt ihr euch eben durch enge Korridore und das Spiel führt euch von einer Station zur nächsten, ohne dass ihr selbst entscheiden könnt, wo ihr als nächstes hin möchtet. Das ist sicherlich keine schlechte Entscheidung seitens der Entwickler gewesen, denn wie bereits erwähnt: Ihr bekommt absolut gar nichts erklärt. Dementsprechend gibt es auch keine Karte oder Zielmarkierungen. Was ihr zu tun habt, müsst ihr euch stets selbst erschließen.
An sich gefällt mir dieser Ansatz sehr. Beim ersten Rätsel des Spiels habe ich es richtig genossen, selbst im Kopf zusammenpuzzeln zu müssen, wie ich mein Vorankommen sichere. Es gilt, die Umgebung genau zu studieren. Ihr seht eine Schiene, die quer durch den Raum führt? Nun, dann werdet ihr bestimmt irgendwas darüber transportieren müssen. Ihr könnt mit einem Schalter einen Greifarm bedienen, doch es ist nichts da, was dieser greifen kann? Tja, dann müsst ihr das eben erst mal besorgen. Nach einiger Zeit hat es dann bei mir klick gemacht und ich wusste, was zu tun ist – und das war ein sehr befriedigendes Gefühl.
Die Faszination über diese nur dezente Art der Spielerführung verfliegt jedoch recht schnell. Es wiederholt sich eben zu oft, dass ihr Apparaturen vorfindet, mit denen ihr noch nichts anstellen könnt, weil irgendwas fehlt. Und dann stellt ihr fest, dass ihr in Scorn ständig nur von einem Schalter zum nächsten lauft. Das wird zwar hier und da mit kleinen Puzzles aufgelockert, dennoch wird das Spiel recht zügig repetitiv.
Freies Speichern wäre ein Segen
Da helfen auch die Kämpfe nicht viel. Immer wieder mal wollen euch widerliche Kreaturen ans Leder. Ihr könnt vor denen nicht selten weglaufen, aber manchmal müsst ihr sie eben doch ausschalten, bevor sie dasselbe mit euch tun. Dazu steht euch anfangs nur ein Nahkampfangriff zur Verfügung, im weiteren Spielverlauf erhaltet ihr noch zwei Arten von Schrotflinten und einen Granatwerfer. Viel mehr Gegnertypen als Tötungswerkzeuge hat Scorn auch nicht zu bieten und das Gunplay ist … Nun ja, ich sag mal, es ist solide. Ich habe schon Schlimmeres erlebt, aber wirklich viel Spaß machen die Gefechte nun auch nicht.
Das hat aber auch was mit einer großen Designmacke zu tun: den Speicherpunkten. Ihr könnt in Scorn nicht frei speichern, sondern seid darauf angewiesen, wo es die Entwickler für sinnvoll hielten, dass der Fortschritt doch mal gesichert werden sollte. In einem Spiel, bei dem Heilung und Munition rar gesät sind und ihr nicht viele Treffer einstecken könnt, ist das ein großes Problem, gerade wenn die Speicherpunkte weit auseinanderliegen. Dann kommt noch hinzu, dass eben viele Animationen recht lange dauern und ihr Skriptsequenzen nicht überspringen könnt. Blöderweise sind die Speicherpunkte gerne so gesetzt, dass es zu Wiederholungen von Interaktionen mit Maschinen oder eben besagten vorgeskripteten Momenten kommt. Nicht nur einmal habe ich mir gedacht: "Hey, der Speichervorgang hätte auch problemlos DANACH erfolgen können." Damit hat mich Scorn schon so manches Mal in den Wahnsinn getrieben, auf dass ich das Spiel wütend ausgemacht habe, um mich erst mal wieder abzureagieren.
Fazit
Ich liebe die Optik und Atmosphäre von Scorn. Die Art Designer haben hier wirklich gute Arbeit geleistet. Aber das allein reicht eben noch nicht, um ein gutes Spiel zu entwickeln. Für sich genommen, sind die Rätsel zwar ganz nett, aber im Kollektiv geht es dann doch zu oft darum, Schalter zu betätigen. Die Shooter-Einlagen sind auch eher so lala und was Scorn nun auf erzählerischer Ebene von mir gewollt hat, weiß ich auch nicht so ganz. Dass die Spielzeit bei gerade einmal fünf Stunden liegt, wäre angesichts dessen gar nicht mal das Problem, nur ist der Preis von 40 Euro dafür viel zu hoch angesetzt. Hier zeigt sich mal wieder: Schlau ist, wer den Game Pass abonniert hat. Dann könnt ihr ohne Aufpreis einfach mal reinschnuppern und überprüfen, ob Scorn nicht doch was für euch ist. Die Meinungen über das Spiel gehen nämlich durchaus auseinander. Ich bin klar auf der Seite der Kritiker. Scorn hat eine schön widerliche Verpackung, der Inhalt schmeckt aber so dröge wie das Burgerfleisch großer Fast-Food-Ketten.
- Fantastisches Art Design
- Beklemmende Atmosphäre
- Angenehm dezente Spielerführung
- An sich nette Rätsel, ...
- ... aber zu viele sind schalterbasiert
- Mittelprächtiges Shooter-Gameplay
- Schlecht platzierte Speicherpunkte
- Zu teuer für die kurze Spielzeit