Lost in Random spielt sich angenehm anders und erfrischend. Leider geht dem Titel aber ab der Hälfte etwas die Luft aus.
Lost in Random im Test: Schaurig schönes Märchen
Zoink Games und Electronic Arts haben mit Lost in Random einen Titel herausgebracht, der perfekt zur bevorstehenden Herbstzeit passt. Beim Design des Action-Adventures haben sich die Entwickler ganz offenkundig an den Werken von Tim Burton oder auch “Alice im Wunderland” orientiert und so eine schaurig schöne Märchenwelt für Abende im Zwielicht bei Kerzenschein geschaffen. Zoink Games präsentiert euch mit Lost in Random eine Welt, die ihr in dieser Form vermutlich kein zweites Mal finden werdet, und hat die Spielwelt mit interessanten Ideen und einem frischen Kampfsystem angereichert, das leider auch mit das größte Problem des Spiels darstellt. Warum ihr Lost in Random trotzdem eine Chance geben solltet, klärt unser Test.
Das Reich des Zufalls
Das märchenhafte Abenteuer beginnt im Königreich Random. Hier herrscht eine finstere Königin über die unterdrückten Bewohner der sechs Welten. Ihre Macht stützt die Königin auf den scheinbar noch letzten funktionierenden Würfel, der über das Schicksal ihres Volkes entscheidet und zwar per Zufall. An jedem zwölften Geburtstag eines Kindes lässt die Königin ihren Würfel rollen. Die Augenzahl entscheidet über das zukünftige Leben des Kindes. Eine Eins schickt den Nachwuchs direkt nach Einsfelden, wo die Armen leben und in riesigen Fabriken unter der Aufsicht von grausamen Robotern schuften müssen. Eine Sechs aber gewährt den Zugang zu Sechstopia und somit zum Palast der Königin. Die Brettspiel- und Würfelsymbolik ist tief in Lost in Random verwurzelt und bildet die zentralen Bausteine der Welt.
Even, die Protagonistin in der Geschichte von Lost in Random, und ihre Schwester Odd leben gemeinsam mit ihren fürsorglichen Eltern im trostlosen Einsfelden. An Odds zwölftem Geburtstag muss das junge Mädchen schließlich den Würfel der Königin rollen, um über ihr Schicksal zu entscheiden. Sie wirft eigentlich eine Eins. Doch plötzlich springt der Würfel auf eine Sechs. Das hat mit Zufall wahrlich wenig zu tun. Odd wird schlussendlich von der Königin verschleppt und lässt die restliche Familie trauernd und verstört zurück.
Die Welt und ihre Bewohner sind die Stars
Ein Jahr später wird Even von Visionen geplagt, die den Eindruck erwecken, dass das Leben im Palast der Königin vielleicht doch kein Zuckerschlecken ist. Schnell wird klar, dass die eigentliche Prämisse von Lost in Random eine 0815-Rette-eine-Person-aus-den-Klauen-des-Bösen-Story erzählt. Der eigentliche Star dieser Geschichte ist die sagenhaft gestaltete Spielwelt mit ihren vielen schrulligen NPCs, die euch immer wieder über den Weg laufen, und die besondere Optik des Spiels, nicht aber die zugrundeliegende Handlung.
Schon in den ersten Minuten, in denen sich Even noch im Hafen von Einsfelden befindet, präsentieren die Entwickler ihre beeindruckende Interpretation eines Märchens für Erwachsene. Die Stadt und ihr Hafen könnten auch geradewegs aus einem Animationsfilm von Tim Burton entsprungen sein. Zoink Games runden Lost in Random mit einer ausgezeichneten Sprachausgabeinklusive eines Erzählers aus dem Off ab, der die Rolle des Märchenonkels einnimmt. Es ist den Entwicklern gelungen, diese hohe Design-Qualität das gesamte Spiel über aufrecht zu erhalten.
Auf technischer Ebene gibt es ebenso wenig auszusetzen. Das Spiel lief auf unserem Testsystem (Playstation 5) zu jederzeit einwand- und bugfrei. Nicht einmal bei viel Hektik auf dem Bildschirm oder Szenen mit großen Panoramen kam die Bildwiederholrate ins Stocken.
Richtig in Fahrt kommt Lost in Random aber erst, wenn Even auf ihren zukünftigen Begleiter, den kleinen Würfel Dicey trifft. Zu ihrer großen Verwunderung existiert also doch noch ein weiterer intakter Würfel. Das Duo aus Even und Dicey wuchs uns durch ihren nahbaren und liebevollen Umgang miteinander schnell ans Herz. Ein weiteres Beispiel für kreatives NPC-Design finden wir in Zwei-Stadt. Dessen Bürgermeister möchte Even gerne weiterhelfen, hat allerdings ein kleines Problem mit seiner gespaltenen Persönlichkeit, die ihm im wahrsten Sinne des Wortes aus seinem Hut gewachsen ist. Sein zweites Ich hat eine spiegelverkehrte Welt von Zwei-Stadt erschaffen, in der es jetzt selbst als Bürgermeister tätig ist. Das Königreich Random ist voll von solchen Figuren und Geschichten, die wir in dieser Art noch nie anderswo erlebt haben.
Neben den Story-relevanten Charakteren haben viele der übrigen NPCs immer wieder kleinere Geschichten parat. Gespräche über die Terrorherrschaft der Königin, der Wunsch nach einer echten Revolution oder wohlwollende Worte und Streitgespräche. All diese Dinge könnt ihr in Lost in Random aufschnappen, wenn ihr mit einem offenen Ohr durch die Spielwelt lauft. Gerade dieser Reichtum an Geschichten lässt das Königreich Random in einem lebendigen Licht erstrahlen – eine willkommene Abwechslung von den vielen gigantischen, aber leeren Open Worlds der großen Studios.
Lineares Story-Spiel
Es wird schnell deutlich, dass Zoink Games den Fokus bei Lost in Random ganz deutlich auf die Erzählung und die Gestaltung der Welt gelegt hat. In den sechs Welten könnt ihr euch zwar einigermaßen frei bewegen, die Level dienen aber sonst nur als sehr aufwändige Kulissen. Abseits der Hauptgeschichte warten zwar hier und da ein paar Nebenhandlungsstränge, ausufernde Geschichten aber nicht. Beim Thema Charaktervielfalt fallen leider schnell fehlende Ressourcen auf. Zwar wirken alle NPCs schaurig und finster und passen auf den ersten Blick hervorragend in die Welt von Lost in Random, allerdings wiederholen sich die einzelnen Modelle vom Schlapphut tragenden Fischwesen oder schick gekleideten Wolf doch schnell. In den Kämpfen verhält es sich mit dem Gegner-Design ähnlich.
Frisches aber problematisches Kampfsystem
Die Kämpfe finden in Lost in Random in abgetrennten Arenen statt. Wenn hinter und vor euch die Türen zufallen, sind böse Roboter in Form von Rittern, Vögeln oder Hunden in der Regel nicht fern. Jetzt wird es spannend! In den Auseinandersetzungen präsentiert Zoink Games ein Kampfsystem, das sich angenehm von den Genre-Konventionen abhebt. Evens Arsenal besteht lediglich aus einer Zwille, mit der sie ihren Gegnern nur Kristalle vom Körper trennen kann. Die benötigt sie, um ihr Kartendeck aufzuladen, in dem sich die tatsächlichen Spezialfähigkeiten befinden. Pro vollständiger Aufladung zieht ihr eine weitere Karte. Ihr könnt insgesamt fünf davon auf eurer Hand halten.
Im Kartendeck findet ihr unterschiedliche Waffen wie einen Bogen oder ein Kurzschwert, aber auch Zaubersprüche, die euch heilen oder eure Widersacher negativ beeinflussen. Im gesamten Königreich Random sind 35 dieser Karten versteckt. Alternativ führen viele Händler welche in ihrem Sortiment. Um eine der Karten einzusetzen, die alle mit einem Wert zwischen 0 und 3 versehen sind, müssen die passenden Augenzahlen mit Dicey gewürfelt werden. Würfelt ihr eine Vier, habt ihr vier Punkte, die ihr auf eure Karten verteilen könnt. Die Kämpfe spielen sich in Lost in Random tatsächlich ein wenig wie in einem Deckbuilding-Spiel.
Das Problem mit den Karten
Das mag auf dem Papier nach viel Spaß und einem frischen Ansatz klingen. Im Grunde ist es das auch. Allerdings seid ihr nie wirklich dazu gezwungen, euch neue Strategien gegen eure Gegner zu überlegen, da ihr abseits der wenigen Bosskämpfe auf die immer gleichen Widersacher trefft. Gepaart mit dem geringen Schwierigkeitsgrad nerven die Kämpfe leider irgendwann mehr, als das sie Spaß machen oder gar eine Herausforderung bieten. Ab einem gewissen Punkt in Lost in Random kristallisiert sich ein Kartendeck heraus, mit dem es sich ganz gut Leben lässt. Um die aufkommende Monotonie etwas zu entschärfen, haben wir dennoch immer wieder neue Deckzusammenstellungen ausprobiert. Das löst zwar das grundlegende Problem nicht, hielt uns aber länger bei der Stange, bevor das „Och nö, nicht schon wieder kämpfen“-Gefühl einsetzte.
Fazit
Um keinen falschen Eindruck aufkommen zu lassen: Das Kampfsystem ist zwar auf Dauer öde, der gesamte Rest von Lost in Random aber keinesfalls. Eine derart kreativ gestaltete und vor allem lebendige Welt sieht man selten. Zoink Games ist es definitiv gelungen, ein einzigartiges Erlebnis in einem ganz besonderen Look zu erschaffen. Die Welt ist voll mit Kleinigkeiten wie Charakteren, die sich über ihre Angst vor der Königin unterhalten, einem NPC, der gedankenversunken eine traumhafte Melodie auf seiner Gitarre spielt, oder der geerdeten Protagonistin, deren Abenteuer zwar keinen Preis für Originalität gewinnt, aber aufgrund von nachvollziehbaren Motiven und dem liebevollen Zusammenspiel mit Dicey zum Weiterspielen motiviert. Genau wegen solcher Details und der bildhübschen Spielwelt können wir Zoink Games das nicht gelungene Kampfsystem verzeihen. Und wir raten euch, das auch zu tun, denn der Rest sitzt.
- Geniale, skurrile Optik
- Lebendige Welt
- Hervorragende Vertonung
- Nahbare Protagonistin
- Dicey ist ein toller Begleiter
- Kleinere Nebengeschichten
- Kompetent erzählt
- Märchenhafter Erzähler
- Interessantes Kampfsystem, ...
- ... dem schnell die Puste ausgeht
- 0815-Geschichte
- Levels mit oft ähnlichem Aufbau
- Etwas zu einfach