Kirby und das vergessene Land sprudelt nicht nur so vor Niedlichkeit, es glänzt auch mit starkem Leveldesign.
Kirby und das vergessene Land im Test: Der pure Zuckerschock
Kirby hat die dritte Dimension für sich entdeckt – das wurde ja auch mal Zeit! Seit 30 Jahren läuft, hüpft und fliegt der kugelrunde Traumlandbewohner über kleine und große Bildschirme. Während sein Genrekollege Mario schon 1996 erstmals 3D-Welten erkunden durfte, blieb Kirby bislang fast immer darauf limitiert, sich von links nach rechts durch die Levels zu futtern. Damit ist nun Schluss. In Kirby und das vergesse Land lernt der Saugweltmeister aus Japan, dass es mehr als nur zwei Laufrichtungen gibt. Zusätzlich eignet er sich neue Tricks an, die nicht nur für Lacher sorgen, sondern auch ihren Teil zum ideen- und abwechslungsreichen Leveldesign beitragen. Und obwohl das Spiel nicht, wie es manch einer anfangs erwartet hat, eine Sandbox-Erfahrung à la Super Mario Odyssey bietet, macht das Erkunden der Umgebungen mehr Spaß als in so manchem Open-World-Epos.
Ihr habt doch wohl keine große Geschichte erwartet, oder?
Die Story von Kirby und das vergessene Land passt auf einen Bierdeckel. Der Held wird in eine fremde Dimension gesogen und muss dort die Waddle Dees befreien, die von Tierwesen gefangen genommen wurden. Das ist genauso unspannend, wie es klingt. Wir haben uns irgendwie daran gewöhnt, dass Jump and Runs von Nintendo auf erzählerischer Ebene eher zu den Lite-Produkten der Videospielbranche zählen. Es wäre doch trotzdem nett, wenn so ein Titel mal etwas mehr anzubieten hätte.
Dem Spielspaß tut das dennoch keinen Abbruch. Sobald man sich damit abgefunden hat, dass Kirby und das vergessene Land mal wieder das Gameplay in den Vordergrund stellt (was in unserem Fall sehr schnell geschehen ist), sitzt man die vollen zehn Stunden mit einem breiten Grinsen vor dem Bildschirm. HAL beweist einen großen Ideenreichtum, wenn es um die Gestaltung der zahlreichen Levels geht, die sich auf diverse Welten verteilen. Die decken mit einer Schnee- und einer Lava-Region Genrestandards ab, es gibt aber auch untypischere Szenarien. Das Abenteuer beginnt in der Naturebene. Hier seid ihr auf den Straßen einer verlassenen, überwucherten und damit an Endzeit-Settings à la The Last of Us erinnernden Stadt unterwegs und erkundet außerdem ein Einkaufszentrum. Später geht es in einen Freizeitpark inklusive Achterbahnfahrt und Besuch in einem Horrorhaus.
Manches ist schwer zu schlucken
Optisch bietet jede Welt etwas Neues und die spielerische Varianz ist ebenfalls groß. Neben den typischen Plattforming-Passagen und kurzen Auseinandersetzungen mit vielen unterschiedlichen Gegnertypen erwarten euch hier und da auch mal ganz simple Rätsel oder Momente, in denen die Spielmechanik für einen kurzen Augenblick komplett vom typischen Jump-and-Run-Alltag abweicht. Meistens steht das in Verbindung mit dem neuen Vollstopf-Modus. Kirby kann nicht mehr nur Gegner einsaugen, um deren Fähigkeiten zu übernehmen, sondern auch Objekte wie Verkehrshütchen, Autos und sogar ganze Treppen! Die sind zwar zu groß für den Verdauungstrakt, aber der Mundinnenraum von Kirby ist so dehnbar, dass er auf diese Weise einfach die Form des jeweiligen Gegenstands annimmt. So fahrt ihr zum Beispiel als Kirby-Auto Rennen gegen die Zeit oder feuert als wandelnder Getränkeautomat Dosen auf eure Feinde.
Der Vollstopf-Modus sorgt für viele ulkige Momente, weil die "Verwandlungen" allesamt brüllend komisch aussehen. Man ist bei jedem neuen Level gespannt darauf, welche Varianten einen diesmal erwarten werden und welche Herausforderungen die Entwickler um sie herum designt haben. Es gibt zwar hier und da Wiederholungen, aber selbst in den späten Abschnitten präsentiert HAL noch neue Ideen, sodass niemals Langeweile aufkommt.
Viel zu tun
Das größte Kunststück, dass Kirby und das vergessene Land gelingt, ist aber die motivierende Erkundung, die es trotz seiner Linearität bietet. In jedem Level folgt ihr einem klar vordefinierten Pfad. Ihr dürft nicht mal die Kamera komplett frei drehen, sondern nur den Winkel leicht anpassen. In dieser Hinsicht erinnert Kirby und das vergessene Land stark an Super Mario 3D World. Trotzdem sind wir stets motiviert gewesen, uns genau umzusehen und unserer Neugierde zu folgen.
In den Umgebungen sind viele Geheimnisse verborgen. Immer wieder könnt ihr durch den Einsatz von Fähigkeiten versteckte Bereiche freilegen. Außerdem erwarten euch in jedem Level mehrere Nebenaufgaben. Der Clou dabei: Das Spiel verrät euch anfangs nicht, was ihr tun sollt. Einzige Ausnahme ist stets die Mission, alle versteckten gefangenen Waddle Dees zu retten. Den Rest müsst ihr euch selbst erschließen, wobei die Aufgabenstellungen in den meisten Fällen nach dem ersten Durchspielen eines Levels enthüllt werden (auch wenn ihr die entsprechenden Quests nicht abgeschlossen habt).
Ein sehr süßes Beispiel: Vor dem Eingang zu Wundaria, dem oben erwähnten Freizeitpark, findet ihr kleine Entenküken. Kommt ihr ihnen sehr nahe, laufen sie euch fortan hinterher. Ihr müsst sie dann zu ihrer Mutter führen, um die Aufgabe zu erfüllen. Und nein, diese Mission wiederholt sich nicht dutzende Male. HAL hat sich für jeden Level in Kirby und das vergessene Land eigene Bonusaufträge ausgedacht. Oftmals ist es nicht schwer herauszufinden, was ihr zu erledigen habt Manchmal hatten wir aber doch einen Überraschungsmoment der Sorte: „Wie, da hätten wir noch was machen müssen?“ Diese Zusatzaufgaben sorgen für einen hohen Wiederspielwert. Wer gerne alles erledigen und das Spiel zu 100 Prozent durchspielen möchte, kann auf die Spielzeit fürs reine Durchspielen der Kampagne noch mal ein paar Stunden obendrauf rechnen.
Home Sweet Home
Das Ganze ist deshalb so motivierend, weil jede bestandene Aufgabe mehr befreite Waddle Dees bedeutet. Und das heißt wiederum, dass sich deren als Hub dienende Stadt schneller erweitert. Je mehr der freundlichen Kreaturen ihr rettet, desto größer wird die Siedlung. Dort entstehen neue Gebäude und dadurch schaltet ihr Features frei. Dazu gehören einerseits kurzweilige Minispiele. Ihr könnt unter anderem Aushilfsjobs im Waddle-Dee-Café übernehmen. Dabei müsst ihr unter Zeitdruck möglichst viele Kunden bedienen und ihnen ja immer das gewünschte Produkt geben. Außerdem dürft ihr euer Angeltalent unter Beweis stellen und in einer Arena gegen bekannte Bosse aus alten Kirby-Spielen antreten, zum Beispiel Meta Knight.
Eines der ersten Gebäude, das ihr freischaltet, ist der Waffenladen. Hier kauft ihr Upgrades für die Spezialfähigkeiten, die ihr von Gegnern übernehmt. Dazu müsst ihr aber zunächst die passenden Blaupausen in den Levels finden und für die Freischaltung benötigt ihr „seltene Steine“, die ihr nur für den Abschluss von optionalen Herausforderungslevels erhaltet. Letztere schaltet ihr teilweise dadurch frei, dass ihr einfach die Hauptlevels meistert, manche von ihnen sind aber auch auf der Oberwelt versteckt. Es lohnt sich daher, dort ein bisschen mit dem Stern herumzufliegen und jeden verdächtig aussehenden Ort zu überprüfen. Manchmal ergattert ihr dabei auch einfach nur einige Münzen.
Verbesserungen, die man unbedingt haben möchte
Die Upgrades erhöhen nicht einfach nur den Schaden der Fähigkeiten, sondern verändern stark deren Funktionsweise. Aus den normalen Bomben macht ihr so zum Beispiel Sprengsätze, die sich automatisch miteinander verketten, was für noch größere Explosionen sorgt. Das Schwert wiederum wird zu einem "kolossalen Schwert", mit dem ihr langsamer zuschlagt, dafür aber einen größeren Wirkungsbereich abdeckt. Gefällt euch ein Upgrade mal nicht, ist das kein Problem. Die Standardversionen der Fähigkeiten lassen sich im Waffenladen als Favoriten festlegen, sodass ihr sie erlangt, wenn ihr in einem Level den jeweiligen Gegnertyp einsaugt.
Der Einsatz der Fähigkeiten macht großen Spaß, weil sich jede einzelne von ihnen gut anfühlt. Kein Witz: Das Trefferfeedback in Kirby und das vergessene Land, wohlgemerkt einem Jump and Run mit sehr simplen Kämpfen, ist besser als im rein auf Gefechte ausgerichteten Stranger of Paradise: Final Fantasy Origin. Mit dem Hammer Gegner zu plätten oder sie als feuerspeiender Kirby zu grillen, fühlt sich stets mächtig an. Allein der gute alte Effekt, wenn besiegte Feinde kurz durch die Gegend fliegen und dann einfach verpuffen, gibt uns ein gutes Gefühl.
Herausforderungen bieten andere Spiele
Auch sonst gibt sich Kirby und das vergessene Land in Sachen Gameplay keine Blöße. Die Steuerung flutscht richtig gut. Bis auf wenige Momente, in denen sich Kirby mal hinter einem größeren Objekt befindet, fängt die Kamera das Geschehen gut ein, so dass ihr die volle Übersicht habt. Einzig diejenigen, die sich gewünscht haben, von einem Kirby-Spiel mal etwas mehr gefordert zu werden, werden nicht ganz zufrieden sein. Es gibt zwar mit dem "Wilden Modus" einen höheren Schwierigkeitsgrad, aber auch auf dem bieten die Hauptlevels kaum Anspruch. Gerade das Plattforming verkommt fast zum Witz, da Kirby ziemlich lange fliegen kann. Obendrein sind sogar die Bosskämpfe sind sehr einfach.
Das bedeutet aber nicht, dass Kirby und das vergessene Land erfahrenen Jump-and-Run-Spielern keinen Spaß machen kann. Ganz im Gegenteil: Wenn man sich darauf einlässt, ein einfaches Spiel zu spielen, das in erster Linie gute Laune verbreiten möchte, fällt der niedrige Schwierigkeitsgrad kaum ins Gewicht. Nichtsdestotrotz hätte HAL den "Wilden Modus" anspruchsvoller gestalten müssen, wenn man ihn denn schon als schwierigere Alternative anbietet. Wir erwarten ja kein "Elden Ring"-Level, aber wenn wir höchstens mal in einer der Bonusherausforderungen in Bedrängnis geraten, weil sich der Countdown seinem Ende neigt, ist das doch zu wenig.
Enttäuschende Technik
"Zu wenig" ist ein gutes Stichwort, denn Kirby und das vergessene Land dürfte gerne mit einer höheren Bildrate laufen. Klar, das gilt für jedes Spiel, das nur mit 30 Bilder pro Sekunde spielbar ist. In diesem Fall hat es uns aber besonders enttäuscht. Der Titel ist grafisch kein Highlight. Das tritt schnell in den Hintergrund, weil die Umgebungen sehr verspielt und die Charaktere allesamt so simpel gezeichnet sind, dass sie gar nicht viele Polygone benötigen, um ordentlich auszusehen. Eine bessere Kantenglättung hätte es aber schon geben dürfen. Gerade deshalb ist es unverständlich, warum Kirby und das vergessene Land nicht mit 60 FPS läuft, wo ein Super Mario Odyssey das mit seinen viel größeren Levels hinkriegt. Das Spiel läuft zwar stets flüssig, aber das heißt ja nicht, dass die doppelte Anzahl Frames pro Sekunde nicht doch besser wäre.
Der Ärger darüber legt sich allerdings schnell, wenn man einmal in die vergessene Welt abgetaucht ist und sich all die niedlichen Figuren ansieht, die liebevoll animiert sind. Bei manchen Gegnern dachten wir uns immer wieder: "Ach, Mann! Warum müsst ihr unsere Widersacher sein? Ihr seid doch so knuffig!" Wenn Kirby und das vergessene Land eine Süßigkeit wäre, wäre sein Nutri-Score aufgrund extrem hohen Zuckergehalts im roten Bereich. Als Videospiel ist es – gerade in der aktuellen Zeit – viel gesünder, weil es mit seinen bunten Welten, viel Charme und einem fantastischen, beschwingten Soundtrack von der ersten bis zur letzten Minuten gute Stimmung verbreitet. Im Idealfall saugt ihr die auch nicht alleine auf, sondern gemeinsam mit einem Mitspieler: Kirby und das vergessene Land könnt ihr komplett im lokalen 2-Spieler-Koop-Modus genießen. Eine Online-Option gibt es leider nicht.
Fazit
Kirby und das vergessene Land ist kein Spiel, das euch fordert. Es ist keines, das durch seine Erzählung besticht. Und es zählt auch nicht zu den technisch besten Switch-Titeln. Dem gegenüber stehen ein fantastisches Leveldesign, das vor allem stark vom neuen Vollstopf-Modus profitiert, die tadellose Steuerung, eine motivierende Progression und ganz viel Niedlichkeit. Wenn ihr auf der Suche nach einem Gute-Laune-Spiel seid, das euch die aktuellen Schrecken dieser Welt vergessen lässt, ist Kirby und das vergessene Land genau das Richtige für euch.
- Sehr starkes Leveldesign
- Erkundungsanreize dank Nebenaufgaben
- Genialer Vollstopf-Modus
- Simple, aber befriedigende Kämpfe
- Tolles Upgrade-System
- Waddle-Dee-Stadt als erweiterbarer Hub ...
- ... mit netten Minispielen
- Musik lädt zum Mitsummen ein
- Extraportion Charme und Niedlichkeit
- Leider nur 30 FPS
- "Wilder Modus" kaum herausfordernd
- Vergessenswerte Story