Ember Lab liefert mit seinem ersten Spiel Kena: Bridge of Spirits direkt einen Kracher für PC und PlayStation ab.
Kena – Bridge of Spirits im Test: Das süßeste Spiel des Jahres
„Süüüüüüß!“ So in etwa war unsere Reaktion auf den ersten Trailer zu Kena: Bridge of Spirits. Gut, wir waren auch von der Optik im Allgemeinen begeistert, zumal von Anfang an klar war, dass es sich hierbei um das erste Spiel eines Indie-Studios handelt. Aber die kleinen Rott haben es uns von der ersten Sekunde an, in der wir in ihre großen Äuglein blickten, angetan. Wenn man nicht wüsste, dass es sich um ein Videospiel handelt, könnte man Kena: Bridge of Spirits auch für einen neuen Pixar-Film halten. Das ist auch kein Wunder, schließlich kommt Entwickler Ember Lab aus der Animationsfilmbranche, hat zuvor etwa mit einem Kurzfilm auf Basis von The Legend of Zelda: Majora's Mask auf sich aufmerksam gemacht. Dass die Kalifornier aber nicht nur ein Händchen für tolle Optik haben, beweist ihr erstes interaktives Werk von der ersten bis zur letzten Minute.
Seicht, aber schön
Animationsfilme richten sich zumeist an ein jüngeres Publikum oder eben die ganze Familie. Daher sind die Streifen, die eine große inhaltliche Tiefe bieten, eher eine Ausnahme. Wäre Kena: Bridge of Spirits ein Film, würde es eher zur breiten Masse gehören. Die Geschichte rund um die namensgebende, junge Heldin ist recht simpel gestrickt. Sie ist eine Seelenführerin, die die Geister Verstorbener ins Jenseits überführt, und auf der Suche nach einem alten, heiligen Bergschrein. Ihr Weg führt sie in ein verlassenes Dorf. Dort erfährt sie, dass sich die Geister der Bewohner teilweise in gefährliche Monster verwandelt haben. Ein Fluch ist hier am Werk und Kena soll den Tag retten.
Besonders aufregend oder vielschichtig ist die Story nicht, aber Kena: Bridge of Spirits trifft die richtigen Töne auf der Klaviatur der Emotionen. Es gibt viele herzliche Momente, aber auch traurige. Und manchmal wird es sogar richtig düster, weshalb es zurecht eine Freigabe ab zwölf Jahren erhalten und die USK nicht den 6er-Stempel gezückt hat.
Solche Helfer will doch jeder haben
Kena: Bridge of Spirits ist ein ziemlich gewöhnliches Action-Adventure mit dem für das Genre altbekannten Mix aus Kämpfen, Kletterpassagen und kleinen Rätseleinlagen. Dazu gibt es eine Ladung Pikmin. Die kleinen Rott, auf die ihr innerhalb der ersten Minuten des Spiels trefft, sind das Pendant zu den gleichnamigen Pflanzenwesen aus der beliebten Nintendo-Serie. Sie begleiten Kena auf Schritt und Tritt und erweisen sich sowohl in den Kämpfen als auch den Rätseln als überaus nützlich.
So können sie Gegner für kurze Zeit wehrlos machen und beispielsweise Objekte durch die Gegend tragen. Wenn ihr eine leere Plattform seht, dann liegt garantiert irgendwo in der Nähe eine Statue, die die putzigen Geister gerne für euch an ihren eigentlichen Bestimmungsort zurückbringen. Die Rott sind jedoch nicht das Kernelement in Kena: Bridge of Spirits wie die Pikmin in deren Abenteuern. Es gibt auch nur eine Art von ihnen und die Heldin bekommt anders als Captain Olimar sehr viele Dinge alleine hin.
Mit Stab und Bogen das Böse vertreiben
Kämpfe spielen in Kena: Bridge of Spirits eine wichtige Rolle und sind keine Seltenheit. Das System dahinter ist alles andere als komplex und wir würden auch nicht sagen, dass es sich auf dem Genialitätsniveau eines Ghost of Tsushima oder God of War bewegt. Allerdings sind sowohl Treffer mit Kenas Stab als auch ihren magischen Pfeilen dank gelungener Animationen der Feinde und zusätzlichen Bildeffekten sehr befriedigend, sodass der Mix aus leichten und schweren Attacken, Fernkampfangriffen sowie einigen Spezialmanövern die gesamte Spielzeit über Spaß macht.
Hierbei spielt auch eine Rolle, dass Kena: Bridge of Spirits im Handlungsverlauf immer wieder neue Gegnertypen mit speziellen Eigenheiten auf die Bühne schickt und die Gefechte nie zu einfach oder zu schwer sind. Auch deshalb und nicht nur aufgrund der düsteren Abschnitte ist der Titel nichts für die ganz kleinen Zocker. Da Kena sich während der Kämpfe nur mithilfe bestimmter Pflanzen heilen kann, die die Rott für sie „ernten“ müssen, und das Zeug nie im Übermaß in der Gegend verteilt ist, könnt ihr recht leicht in Bedrängnis geraten – vor allem in den Auseinandersetzungen mit Bossen, die sehr solide designt sind und genug Abwechslung bieten.
Ein perfekt austarierter Mix
Abwechslung ist ein gutes Stichwort, denn Ember Labs hat es geschafft, ein Spiel mit großartigem Pacing zu entwerfen. Die Mischung aus Kämpfen, Geschicklickeitspassagen, Denkaufgaben und Erkundung funktioniert hervorragend, weil keines der Elemente klar dominiert. Alles ist schön ausgewogen. Ähnlich wie die Action gewinnen auch das Jump-&-Run-Gameplay und die Rätsel keinen Innovationspreis, aber beides ist sehr kompetent umgesetzt. Die Knobeleien sind nie sonderlich fordernd, doch stets logisch sowie eine gute Auflockerung und beim Springen und Klettern erweist sich die flüssige Steuerung als große Stärke.
Das Erkunden macht sehr viel Spaß. Rein technisch betrachtet, bietet Kena: Bridge of Spirits eine Open World. Die Welt, die mit ihren Wäldern, Höhlen, Bergen und dem Dorf ein sehr stimmiges Gesamtbild ergibt, hängt komplett zusammen, sodass ihr keine Ladezeiten ertragen müsst, sofern ihr nicht ins Gras beißt oder die Schnellreise benutzt. Ja, tatsächlich gibt es dann auch auf der PlayStation 5, auf der wir das Spiel gezockt haben, Ladebildschirme, die aber stets nur eine Sekunde lang zu sehen sind.
Ein richtiges Open-World-Spiel im eigentlichen Sinne ist Kena: Bridge of Spirits zwar nicht, da ihr sehr linear durch die Welt geführt werdet und viele Bereiche am Anfang auch noch nicht betreten könnt. Genug zu entdecken gibt es trotzdem. Überall sind Vasen, Körbe oder Kisten versteckt, aus denen ihr Edelsteine erhaltet, die ihr an in der Welt verteilten Marktkarren gegen Kopfbedeckungen für die Rott eintauschen könnt. Die haben spielerisch keinerlei Bewandtnis, aber da die kleinen Geister so niedlich aussehen, freut es trotzdem, wenn man ihnen etwa eine Fuchsmütze oder einen Dinohut aufsetzen kann.
Viel zum Sammeln
Karma, eine andere Währung, die ihr im Spielverlauf verdient, dient dazu, in einem nicht überbordenden Upgrade-System neue Fähigkeiten freizuschalten. Es gibt nicht viele davon, aber dafür ist jede einzelne Verbesserung sehr willkommen und erweitert eure Aktionsmöglichkeiten im Kampf. Auf Knopfdruck beim Zielen mit dem Bogen die Zeit zu verlangsamen oder für einen Angriff die Rott aus eurem Stab eine Art Hammer machen zu lassen, der allen Feinde im näheren Umkreis erheblichen Schaden zufügt, sind einfach sehr wertvolle Upgrades.
Um alle Verbesserungen freischalten zu können, müsst ihr übrigens mehr Rott finden und so den Rott-Level steigern. Insgesamt gibt es 100 der niedlichen Wesen, von denen euch auf der PS5 auch wirklich jeder einzelne hinterherläuft. Sie sind teilweise ganz gut versteckt, weshalb es sich lohnt, die Augen stets offen zu halten und die Umgebung genau zu erforschen. Darüber hinaus gibt es noch andere nette Collectibles. So findet ihr zum Beispiel am Ende von optionalen Kletterpassagen Geisterbriefe. Die bringt ihr anschließend zum jeweiligen Briefkasten im Dorf, um dort Gebäude betreten zu können, die euch vorher verschlossen waren.
Außerdem gibt es einige Erinnerungen von Verstorbenen, die euch Infos über deren Leben liefern, und Orte, an denen Kena meditierten kann, wodurch sich ihre maximale Lebensenergie erhöht. Verfluchte Truhen wiederum konfrontieren euch mit teilweise recht knackigen Kampfherausforderungen, die es zu meistern gilt, um neue Hüte freizuschalten und weitere Edelsteine zu verdienen. Wo ihr für die Story allein acht bis zehn Stunden benötigt, können Komplettisten bis zu 15 Stunden mit Kena: Bridge of Spirits verbringen, was angesichts des Preises von 40 Euro vollkommen in Ordnung geht.
Wer Animationsfilme kann, kann offenbar auch Videospielgrafik
Wir dürfen nicht vergessen, dass es sich hier um einen Indie-Titel, ja sogar das Erstlingswerk eines kleinen Studios handelt, das aber so aussieht, als hätte es ein erfahrener AAA-Entwickler gemacht. Visuell ist Kena: Bridge of Spirits sicherlich nicht auf dem Niveau von Ratchet & Clank: Rift Apart, aber im Gegensatz zum Insomniac-Titel auch noch für die PS4 erscheinen und es holt trotzdem so einiges aus der PlayStation 5 heraus. Im Performance-Modus tummeln sich die Rott bei 60 Bildern pro Sekunde auf dem Bildschirm. Hier müsst ihr zwar auf natives 4K verzichten, aber ihr habt eine flüssige Spielerfahrung. Könnt ihr mit 30 FPS leben, spielt ihr im Fidelity-Modus und genießt die volle 4K-Auflösung, in der die detailreichen Umgebungen nochmal ein bisschen besser zur Geltung kommen. Wir haben aber stets im Performance-Modus gespielt und das auch nicht bereut. Kena: Bridge of Spirits sieht auch dann absolut fantastisch aus. Gerade die sehr atmosphärische Beleuchtung und die großartig animierten Figuren sind ein Augenschmaus und lassen euch manchmal vergessen, dass ihr hier ja wirklich ein Spiel spielt und keinen Film schaut.
Apropos Film schauen: In vorgerenderten Zwischensequenzen zeigt Ember Lab nochmal deutlicher, wo seine Wurzeln liegen. Die Clips sind exzellent inszeniert und sehen schick aus, allerdings finden wir es schade, dass sie mit einer ziemlich niedrigen Bildrate laufen. Vielleicht ist das eine künstlerische Entscheidung, vielleicht wollte man aber auch schlicht Speicherplatz sparen. Animationsfilme, die fürs (Heim-)Kino produziert werden, wirken jedenfalls stets flüssiger.
Der Soundtrack von Kena: Bridge of Spirits ist absolut spitze. Die orchestralen Stücke, die einen sehr asiatischen Touch haben (was bestens zum Setting passt), würden auch jeden Kinofilm perfekt untermalen. Gerade die schönen Flötenklänge und die Stücke mit Gesang haben es uns angetan. Die englische Sprachausgabe ist ordentlich, sticht aber nicht sonderlich heraus. Eine deutsche Vertonung gibt es nicht, aber gut übersetzte Untertitel – na gut, meistens zumindest. In wenigen Ausnahmen waren die Texte bei uns auf Englisch. Und wo wir gerade beim Thema Fehler sind: Wir sind einmal durch einen Glitch im schwarzen Nichts gelandet und mussten dann den Spielstand neu laden. Da aber recht oft automatisch gespeichert wird (ihr könnt zudem jederzeit selbst euren Fortschritt sichern), starteten wir quasi an der exakt gleichen Stelle neu und hatten somit nichts verloren.
Fazit
Kena: Bridge of Spirits ist eines der herzlichsten Spiele, das wir jemals gespielt haben. Die kleinen Rott haben wir sofort in unser Herz geschlossen und nun warten wir eigentlich nur auf die entsprechenden Plüschfiguren. Sie sind aber nicht nur zuckersüß, sondern auch eine Bereicherung fürs Gameplay, auch wenn sie nicht so sehr im Mittelpunkt stehen, wie man das von den Pikmin aus deren Spielen gewohnt ist. Kena: Bridge of Spirits punktet ansonsten mit hervorragendem Pacing und sauberem Game Design. Das Spiel wagt nichts Neues, aber was es macht, macht es gut. Die überaus gelungene Präsentation und die zwar flache, aber schön erzählte Geschichte sorgen für den Rest. Wir können euch Ember Labs erstes Videospiel nur ans Herz legen und sind gespannt, was das Studio als nächstes in Angriff nimmt.
- Sehr gut ausbalancierter Gameplay-Mix
- Tolle Welt, die man gerne erkundet
- Sinnvolles Upgrade-System
- Spaßige, fordernde Kämpfe
- Spitzenoptik
- Wunderschöner Soundtrack
- Viel zum Sammeln
- Tadellose Steuerung
- Die Rott sind einfach Zucker!
- Alles nur bekannte Kost
- Story ist sehr seicht