Wir haben uns in die virtuelle Paartherapie namens It Takes Two begeben und dabei einiges gelernt.
It Takes Two im Test: So schön kann eine Scheidung sein!
Josef Fares ist Gamern besonders seit seinem Auftritt bei den Game Awards 2017 ein Begriff. Mit seiner Hasstirade gegen die Oscars ist regelrecht ein kleiner Kult um den kreativen Kopf hinter Spielen wie Brothers: A Tale of Two Sons und A Way Out entstanden. Ganz nebenbei hat der eigentlich aus der Filmbranche stammende Entwickler dabei auch zwei sehr gute Spiele abgeliefert. Mit It Takes Two nutzen sein Team und er nun die gesammelten Erfahrungen, um sich erneut an einem Koop-Titel der etwas anderen Art zu versuchen. Ob das geglückt ist, erfahrt ihr jetzt.
Bei einer Scheidung gibt es fast nur Verlierer
Einen gewissen Hang zur Melancholie muss sich Josef Fares vorwerfen lassen. Weder in Brothers noch A Way Out wurden durchweg fröhliche Geschichten erzählt. Stattdessen spielen ernstere Themen wie der Tod oder wichtige Lebensentscheidungen sowie die Familie stets eine zentrale Rolle in seinen Spielen. Da bildet auch It Takes Two trotz der farbenfrohen Präsentation keine Ausnahme. Im jüngsten Werk wird die Geschichte einer kleinen Familie erzählt. Die Eltern, May und Cody, haben die besten Jahre ihrer Beziehung hinter sich gelassen und überschütten den jeweils anderen bei allen möglichen Gelegenheiten mit Vorwürfen.
Das bleibt der Tochter Rose nicht verborgen und als sie mit anhören muss, dass sich beide scheiden lassen wollen, nimmt das Unheil seinen Lauf. In ihrem kleinen Versteck in der Scheune der Eltern hat sie sich einen sicheren Platz geschaffen. Dort liest sie regelmäßig im Ratgeber von Dr. Hakim über Paarprobleme, um ihren Eltern zu helfen. Zudem hat sie zwei Puppen gebastelt, die mit Hilfe ihrer Tränen eine erstaunliche Verwandlung durchmachen. Durch magische Kräfte wird das Bewusstsein beider Elternteile in die Puppen transferiert, die fortan in einer Mischung aus Traumwelt und realer Umgebungen zusammenarbeiten müssen, um wieder ihre menschliche Gestalt anzunehmen. Ob jedoch auch die Scheidung verhindert werden kann, verrate ich an dieser Stelle nicht.
It Takes Two - Koop-Trailer:
Eines vorweg: It Takes Two kann genau wie A Way Out nicht allein gespielt werden. Man benötigt zwingend einen Freund, mit dem man entweder gemeinsam auf der Couch oder online spielt. Mit Fremden ist kein Zusammenspiel möglich. Also schnappte ich mir einen befreundeten Redakteur und wir haben gemeinsam die virtuelle Paartherapie begonnen. Die ersten Schritte laufen dabei noch recht gemächlich ab. Wir haben uns mit der Steuerung vertraut gemacht und erst einmal ein wenig die Umgebung erforscht. Aber es dauerte nicht lange, bis Dr. Hakim als sprechendes Buch zum ersten Mal auftauchte. Der kleine Kerl scheint nicht nur in einen Topf voll Liebe geplumpst zu sein, er erinnert uns stets daran, dass eine Beziehung auch Arbeit, Kompromissbereitschaft und Kooperation bedeutet. Im ersten Augenblick mag das sehr klischeehaft klingen, aber im Kern der Sache hat der wandelnde Ratgeber Recht. Außerdem nimmt Dr. Hakim die Rolle eines Fremdenführers ein und taucht immer dann auf, wenn es etwas Neues gibt oder andere wichtige Dinge bevorstehen.
Wo bin ich hier denn gelandet?
Das Gameplay des Spiels lässt sich in keine Schublade stopfen. Zwar ist es vor allem ein Action-Plattformer, aber diese Beschreibung wird dem Spiel nicht einmal ansatzweise gerecht. Um durch die verschiedenen Umgebungen zu kommen, ist oft mehr notwendig, als ein paar Sprungpassagen zu absolvieren. Wir gleiten auf Schienen umher, müssen in Kooperation die richtigen Schalter drücken oder Hebel umlegen, um dem jeweils anderen Charakter einen neuen Weg zu ebnen, oder eignen uns ganz neue Fähigkeiten an. Je nachdem, wo wir uns im Spiel befinden, erhalten wir verschiedene Fähigkeiten, um Rätsel zu lösen und andere Hindernisse zu überwinden.
Noch relativ am Anfang müssen Cody und May beispielsweise alten und teils zerstörten Werkzeugen helfen, um den großen bösen Werkzeugkoffer zu besiegen. Während Cody nach und nach drei magische Nägel einsammeln und verschießen kann, schnappt sich May einen Hammerkopf, um damit kräftig auf die verschiedensten Dinge draufzuhauen. Beide Fähigkeiten müssen dann wiederum eingesetzt werden, um bis zum Boss des Kapitels, einem übergroßen Staubsauger, zu gelangen. So kann May an den von Cody verschossenen Nägeln entlangschwingen und letzterer wiederum profitiert davon, dass seine Frau mit dem Hammerkopf Hindernisse zerstören kann. Apropos Bosse, die sind allesamt sehr unterschiedlich ausgefallen und erfordern, wie könnt es anders sein, ebenfalls die Zusammenarbeit beider Spielfiguren.
Zusammenarbeit und Vertrauen sind die Schlüssel zum Erfolg
Die Kooperationen zwischen den beiden Protagonisten ziehen sich wie ein roter Faden durch das gesamte Spiel und die Situationen, in die die beiden Elternteile stolpern, werden von Sekunde zu Sekunde absurder und abgedrehter. Mal wird das Ehepaar in einen Konflikt zwischen Eichhörnchen und Wespen hineingezogen, wodurch It Takes Two kurzzeitig zu einem waschechten Shooter wird, ein anderes Mal müssen Rätsel innerhalb eine Kaleidoskops gelöst werden, um dann von verschiedenen Physikrätseln abgelöst zu werden. Danach geht es in Windeseile über eine Holzeisenbahn, durch ein Kissenparadies und bis hin zu einer wilden Froschjagd. Ach so, habe ich bereits Zeitmanipulationen und das Klonen erwähnt? Das ist ebenfalls in einem Abschnitt möglich. Während andere Spiele jedoch schon daran scheitern, wenn zwei Gameplay-Mechaniken kombiniert werden, funktioniert bei It Takes Two nahezu alles angsteinflößend gut. Die Steuerung ist zu keinem Zeitpunkt misslungen. Das Gegenteil ist der Fall. Trotz der großen Variation im Gameplay lässt sich das Spiel fast immer exzellent steuern. Lediglich die Kamera muss in einigen Situationen nachjustiert werden.
So muss eine Spielwelt entworfen werden
Einen großen Anteil an der hohen Spielbarkeit hat auch das fantastische Leveldesign. Obwohl wir nur gemeinsam ans Ziel gelangen, sind beide Charaktere streckenweise allein unterwegs und eben genau diese Passagen sind perfekt auf die jeweiligen, zu diesem Zeitpunkt vorherrschenden Eigenschaften zugeschnitten. Wenn May zum Beispiel mit Anti-Gravitations-Schuhen um, über und unter Cody ihre Aufgaben verrichtet, kann sich der etwas füllige Ehemann wie Ant-Man auf Erbsengröße schrumpfen oder riesig werden und ebenfalls seinen Teil dazu beitragen, Rätsel zu lösen. Und das war nur ein Beispiel aus dem ersten Drittel des Spiels. Die Entwickler haben ihrer Kreativität absolut freien Lauf gelassen und das spürt man. Überraschungen sind bis zum Ende garantiert. Zudem lassen sich in den Levels immer wieder Minispiele entdecken, die wir natürlich sofort ausprobieren mussten. Während ich bei Whack-a-Mole noch deutlich im Vorteil war, hat mich mein Kollege beim Tauziehen oder Schalterumdrehen richtig abgezogen. Auch hier funktioniert die Steuerung tadellos. Insgesamt gibt es 25 Minispiele, die, sobald sie entdeckt wurden, auch abseits der Kampagne gezockt werden können.
Ein Fest für die Augen und Ohren
Technisch fackeln die Entwickler von Hazelight Studios ebenfalls ein Feuerwerk der allerersten Güte ab. Egal, welchen Teilbereich der Grafik ich betrachte, es stimmt nahezu alles. Die Umgebungen sind weitläufig, extrem detailliert und in ihren Stilen teilweise so grundverschieden, dass ich mich manchmal gefragt habe, ob ich jetzt ein ganz anderes Spiel zocke. Ab und an werden die Augen mit realistischen Umgebungen verwöhnt, um direkt im Anschluss wieder in eine Fantasiewelt abzutauchen. Das Highlight sind aber ohne Frage die Charaktere und damit meine ich nicht nur Cody und May, die erstklassig animiert sind. Die verschiedene Bosse und anderen Figuren sind mit extrem viel Liebe zum Detail gestaltet worden.
Dazu kommt, dass sämtliche Charaktere anständig vertont wurden. Die Sprecher von Cody und May hätten durchaus etwas emotionaler sein können, aber der Glaubwürdigkeit tut das keinen Abbruch. Ich kann mit beiden Personen mitfühlen, aber nur ansatzweise erahnen, welcher Kraftakt dahintersteckt, zusammen zu arbeiten, auch wenn das Vertrauensverhältnis nachhaltig gestört ist. Wenn eine Beziehung in die Brüche geht, ist das für niemanden schön und das können beide Sprecher glaubhaft vermitteln. Immer wieder gibt es herrliche Sticheleien zwischen den beiden. Zwar gibt es keine deutsche Sprachausgabe, aber die englischen Dialoge sind nicht sonderlich anspruchsvoll und zur Not gibt es auch noch Untertitel.
It Takes Two - Gameplay-Trailer:
Fazit
It Takes Two ist der neue Gold-Standard für Koop-Spiele Wer in den nächsten Jahren in die gleiche Kerbe schlagen will, muss sich an diesem Werk messen lassen. Sowohl in Bezug auf die Variation des Gameplays, die Steuerung als auch die cineastische Präsentation gibt It Takes Two aktuell den Ton an. Im Gegensatz zu anderen Spieledesignern hat Josef Fares nicht zu viel versprochen. Das gesamte Abenteuer weiß vom Beginn bis zum Ende zu gefallen und überrascht auch noch im späteren Spielverlauf mit kreativen Ideen.
Ich war in den letzten Monaten selten von einem Spiel so fasziniert wie von It Takes Two. Lediglich, dass man einen Spielpartner braucht und sich auf einen Termin zum Zocken einigen muss, steht dem grandiosen Spielspaß manchmal im Weg. Aber es ist wie bei einem Candlelight-Dinner. Das macht man auch nicht allein und wenn Brothers in diesem Fall das Amuse-Gueule war und A Way Out die schmackhafte Vorspeise, dann ist It Takes Two der formidable Hauptgang. Was wir wohl als Dessert in ein paar Jahren erwarten dürfen?
- Sehr abwechslungsreiches Gameplay
- Streckenweise geniales Leveldesign
- Teamwork funktioniert großartig
- Eine unvergleichliche Erfahrung
- Man kann nur mit Freunden spielen