Assassin's Creed Odyssey ist ein gutes Spiel, aber eine Sache stinkt ganz gewaltig: die Checklisten!
Assassin’s Creed Odyssey und das Checklisten-Problem
Es begab sich am vergangenen Wochenende, dass dem Autor dieser Zeilen langweilig war. Neue Spiele, die er interessant fand, gab es gerade nicht, die große Masse an frischen Blockbustern rollt erst in den kommenden Wochen wie eine Lawine über uns drüber. Also beschloss er, einen Titel aus dem vergangenen Jahr weiterzuspielen, den er noch längst nicht beendet hat: Assassin’s Creed Odyssey. Ist ja ein gutes Spiel, in dem er noch so viel zu erledigen hat, warum also nicht? Er setzte sich an seinen Rechner, schmiss Uplay an, startete das Open-World-Epos, lud seinen jüngsten Spielstand, vergewisserte sich erst einmal, wo im Handlungsverlauf er nun war, und überlegte, welche der unzähligen Aufgaben im Questlog er als nächstes angehen sollte.
Die Entscheidung war schnell gefallen. Es galt, einen NPC aus einem Lager zu befreien. Zugegeben, nicht gerade die einfallsreichste Form von Missionsdesign, zumal in den beiden jüngsten "Assassin’s Creed"-Teilen sehr häufig irgendwelche Gefangenen gerettet werden wollen. Aber der Autor nahm das erstmal so hin, schließlich könnte die Befreiungsaktion ja der Beginn einer spannenden Geschichte sein, von denen es in Assassin’s Creed Odyssey durchaus einige gibt. Also ritt er geschwind dorthin, wo ihn die Markierung auf der Weltkarte führte.
Am Ziel angekommen, tauchte unten links im Bild das Fenster auf, das Infos darüber enthält, wie viele Hauptmänner es auszuschalten, Schätze zu finden und generische Gefangene zu befreien gilt. Die Lust darauf, Assassin’s Creed Odyssey nach einer längeren Pause endlich weiterzuspielen, war auf einmal schneller verflogen, als Usain Bolt die 100 Meter rennt. Nur wenige Minuten nach dem Start wurde das Spiel wieder beendet.
Spiel A nimmt den Spaß an Spiel B
Wie konnte es passieren, dass in erster Linie ein Tooltip dazu geführt hat, dass der Spaß an einem Spiel in Sekundenschnelle vergangen war? Und wir reden hier von einem Titel, den der Verfasser dieser Zeilen im Herbst vergangenen Jahres rund 50 Stunden lang mit durchaus viel Freude gezockt hat. Es ist nicht so, als seien ihm diese Checklisten für die gegnerischen Lager da nicht schon negativ aufgefallen. Aber sie haben es damals nicht geschafft, ihm die Lust daran zu nehmen, das Abenteuer im virtuellen Griechenland der Antike immer weiter voranzutreiben.
Irgendwas musste in der Zwischenzeit also geschehen sein, dass dem Kerl Assassin’s Creed Odyssey plötzlich keinen Spaß mehr bereitete. Die Antwort kam ihm schnell in den Kopf: Red Dead Redemption 2 war erschienen. Genau wie Ubisofts Ausflug in die Antike ist auch das Westernepos von Rockstar Games ein Open-World-Spiel. Doch die Philosophie der Entwickler war hier eine ganz andere als bei Odyssey. Während Ubisoft eine gigantische Spielwelt gebaut hat und die mit vielen gleichförmigen gegnerischen Lagern und Tierhorten vollgestopft hat, gibt es in Red Dead Redemption 2 eine kleinere, aber immer noch sehr weitläufige Open World (die größte, die Rockstar je gemacht hat), in der sich viele einzigartige Dinge entdecken lassen.
In dem Westernspiel macht es richtig Spaß, die Welt zu erkunden, nach Auftraggebern Ausschau zu halten und Tiere zu jagen. In Assassin’s Creed Odyssey ist das nicht der Fall. Questgeber müsst ihr nicht suchen, sie werden direkt auf der Karte markiert. Und die Jagd auf Tiere gestaltet sich längst nicht so glaubhaft wie in Red Dead Redemption 2. Hier werden keine Spuren verfolgt. Stattdessen entpuppen sich Fragezeichen auf der Karte als Tierhorte. Und wenn ihr euch denen nähert, kommt was? Genau, eine Checkliste darüber, wie viele Alphatiere es zu erlegen und Schätze zu finden gilt. Kurz gesagt: Red Dead Redemption 2 hat dem Schreiberling wieder gezeigt, wie eine richtig gute Open World auszusehen hat – und das das Griechenland aus Odyssey mindestens eine Qualitätsstufe darunter einzuordnen ist.
Ubisoft ist besser geworden, aber noch nicht gut genug
Ja, Ubisoft hat sich in den vergangenen Jahren stark gesteigert. Mit Watch Dogs 2 ging es los, dass man die Spielwelten nicht mehr mit generischen Nebenmissionen vollstopfte, die vielleicht in eine Handvoll Kategorien unterteilt waren, sich innerhalb dieser Gattungen aber stets gleichspielten und keinerlei Story-Kontext hatten. In Far Cry 5, Assassin’s Creed Origins und Odyssey hat Ubisoft das in noch besserer Form fortgeführt. Gerade letzterer Titel hat mit die besten Nebenquests, die wir je in einem Ubisoft-Spiel erlebt haben.
Doch wo die Entwickler noch einiges zu lernen haben, ist eben zum einen, wie man eine Spielwelt baut, die wir Spieler gerne erkunden. Zum anderen, und das ist mit dem Erstgenannten verbunden, gilt es für Ubisoft, sich von den gleichförmigen Beschäftigungsmöglichkeiten loszusagen, die sich offen als solche zu erkennen geben. Mit anderen Worten: Schafft die Checklisten ab!
Vergleich mit der "Konkurrenz"
Als der Autor dieses Textes am Wochenende in Assassin’s Creed Odyssey jenes Lager betrat und ihm angezeigt wurde, was es dort alles zu erledigen gilt, damit der Ort als "abgeschlossen" gewertet wird, machte er das Spiel vor allem aus einem Grund aus: Es ermüdete ihn sofort. Denn ihm wurde klar, dass er gerade nicht die erste Quest spielte, die ihn in so eine Basis führte, und dass es nicht die letzte sein würde, die genau das macht.
Der Witz ist: Andere Open-World-Spiele machen es gar nicht großartig anders. In einem The Elder Scrolls 5: Skyrim oder The Legend of Zelda: Breath of the Wild führen euch Aufgaben oder schlicht eure Neugierde oft genug in Feindeslager. Und natürlich unterscheidet sich nicht jedes einzelne großartig von den anderen. Hier und da macht ihr Bekanntschaft mit anderen Gegnertypen oder kleineren Besonderheiten, aber die meisten dieser Camps fallen in die Kategorie "Nicht erinnerungswürdig", genau wie in Assassin’s Creed Odyssey.
Wenn etwas als wichtiger dargestellt wird, als es eigentlich ist
Der Unterschied ist, dass weder Breath of the Wild noch Skyrim den Lagern einen so hohen spielerischen Stellenwert zuschreiben, wie es beim Ubisoft-Blockbuster der Fall zu sein scheint. In Assassin’s Creed Odyssey wirken die feindlichen Basen mit ihren Checklisten wie eine Nebenaktivität, so wie es etwa die Autorennen in einem GTA sind. Die Entwickler haben sich zwar sichtlich Mühe gegeben, sie so in die Welt einzubauen, dass ein glaubwürdiges Gesamtbild entsteht, dennoch wirken sie wie ein reines Gameplay-Element und nicht wie etwas, das die Welt lebendiger wirken lassen soll.
Ihr werdet dank der Fragezeichen auf der Weltkarte direkt auf sie aufmerksam gemacht. Habt ihr sie einmal "entdeckt" (von Entdecken kann ja gar nicht mehr die Rede sein, wenn sie von vornherein auf der Map markiert sind), will euch das Spiel dazu animieren, sie nicht links liegen zu lassen, in dem es euch mitteilt, wie viel Schätze es dort zu holen gibt. Und dann kommt noch hinzu, dass ihr jede Basis "abschließen" müsst, um in Assassin’s Creed Odyssey 100 Prozent Spielfortschritt zu erreichen.
Unwissenheit ist gut
Skyrim und The Legend of Zelda: Breath of the Wild, um bei den Beispielen zu bleiben, verzichten auf all diese Dinge. Feindeslager werden nicht vorab auf der Karte markiert. Im fünften The Elder Scrolls werden sie euch maximal auf dem Kompass angezeigt, wenn ihr in ihre Nähe kommt, im Fall des Nintendo-Titels gibt es gar keine automatischen Anzeigen, die euch auf jene Orte hinweisen. Hier müsst ihr die Camps selbst markieren, sogar nachdem ihr sie bereits entdeckt habt.
Außerdem verraten euch beide Spiele nicht vorab, was euch in einem Lager erwartet. Klar, bei Zelda gibt es in der Regel immer eine Kiste, die sich öffnen lässt, sobald ihr alle Gegner besiegt habt. Aber ihr bekommt eben keine Checkliste angezeigt. In Skyrim ist es nicht großartig anders. Hier sind Banditenlager und Co sogar noch mehr ein atmosphärisches Element. Ihr könnt dort alle Gegner töten, um an Loot zu gelangen. Dennoch wirken sie eher so, als hätten die Designer sie in erster Linie gebaut, weil sie zur Welt dazugehören und nicht die Gier nach Action und Loot befriedigen sollen.
Hinzu kommt, dass das Spiel euch nicht sagt: "Hey, schau mal, da sind Banditen! Und die haben drei Schatzkisten in ihrem Lager! Und zwei von den Halunken sind besonders stark. Nur, wenn du die umhaust, kannst du das Lager von deiner Liste der 'Muss ich noch abschließen'-Orte streichen." Skyrim und Breath of the Wild sind im Gegensatz zu Assassin’s Creed Odyssey wahrlich subtil, was dieses Thema betrifft. Sie kauen euch nicht vor, wo euch was erwartet. Die damit verbundene Ungewissheit, was hinter der nächsten Abzweigung, hinter dem nächsten Felsen auf euch wartet, ist ein Segen für den Erkundungsdrang und den Spielspaß.
Checklisten sind Immersionskiller
Ihr merkt es sicherlich schon beim Lesen dieser Zeilen: Letztendlich ist das Ganze ein psychologisches Problem. Also mit dem Autor dieses Textes ist geistig alles in Ordnung (hofft er zumindest). Es geht darum, wie ein Spiel dem Zocker vorm Bildschirm seine Spielwelt präsentiert. Skyrim und Breath of the Wild geben ihr Bestes, um glaubwürdige Welten darzustellen. Natürlich sind deren einzelne Bestandteile dazu da, den Spieler bei Laune zu halten, ihm etwas zu tun zu geben. Aber sie bemühen sich darum, es nicht so wirken zu lassen. Ein Banditenlager im Wald in Skyrim ist halt da, weil die Halunken irgendwo hausen müssen. Und die Moblins in Hyrule brauchen ebenfalls einen Platz zum Schlafen.
In Assassin’s Creed Odyssey wirkt jedes gegnerische Lager wie ein reines Gameplay-System. Klar ergibt es Sinn, dass vor einer belagerten Stadt eine ganze Reihe an Lagern steht. Aber sobald die typische Checkliste eingeblendet wird, ist jegliche Immersion verflogen. Die Camps sind nicht gebaut, um die Welt lebendiger zu machen, sondern um euch zu beschäftigen – und Assassin’s Creed Odyssey geht ganz offen damit um. Die anderen genannten Spiele kaschieren das viel besser.
Versteckt den Kram wenigstens!
Die Ermüdung, die der Autor in Assassin’s Creed Odyssey gespürt hat, nachdem er die großartige Open World von Red Dead Redemption 2 erlebt hat, ist eine sehr subjektive Empfindung, keine Frage. Vermutlich würde sie sich sogar vermeiden oder zumindest reduzieren lassen, wenn sich die Checklisten einfach ausblenden ließen. Oder wenn Ubisoft sie in irgendein Menü verfrachtet hätte – so wie Red Ded Redemption 2.
Es gibt in dem Wild-West-Epos ein Untermenü, indem ihr euren Spielfortschritt überprüfen könnt. Dort wird euch alles angezeigt, was dazu beiträgt, die 100 Prozent zu erreichen, nach denen "Completionists" lechzen. Dazu müsst ihr zum Beispiel eine bestimmte Menge an Hütten entdeckt und Fremden-Missionen absolviert haben. Doch jene Informationen bekommt ihr eben nur in diesem Menü, nicht während des eigentlichen Spielens. Zudem ist jede Nebenmission und jede Hütte einzigartig und mit einem witzigen oder spannenden Erlebnis verbunden.
In Assassin’s Creed Odyssey hingegen spielen sich die interessanten Teile der Quests in der Regel außerhalb von ihnen ab. Solange ihr euch aber innerhalb einer Basis befindet, werdet ihr stets das Gleiche tun und erleben wie in allen anderen zuvor und danach.
Es wäre schön, wenn Ubisoft anfangen würde, mit seinen Spielwelten das Niveau zu erreichen, das wir von Rockstar-Spielen, Skyrim, Breath of the Wild und noch einigen anderen kennen. Wenn Assassin’s Creed Odyssey wirklich Hunderte einzigartige Orte hätte, die vielleicht sogar mit ihrem Design Geschichten erzählen, ohne dass dafür Quests nötig sind (Stichwort Environmental Storytelling), wäre das großartig. Das nächste Assassin’s Creed hätte dann die Chance, eines der besten Open-World-Spiele aller Zeiten zu werden. Aber der Autor, der gerade diese letzten Zeilen in die Tastatur hämmert und hofft, zu einem vernünftigen Abschluss zu kommen, wäre schon froh, wenn er in Zukunft einfach nur keine Checklisten mehr angezeigt bekommen würde.