Es gibt kaum Rennspiele mit guter KI und Karriere. Ich finde es traurig und bastelt mir letzteres in RaceRoom selbst.
Das verflixte Doppel-K des Rennspielgenres
Ich liebe Rennspiele. Ich liebe auch andere Genres und würde Spiele mit schnellen Karren nicht über alles andere stellen, aber das Schöne an ihnen ist, dass man sie immer wieder zocken kann. Es geht in ihnen nicht darum (zumindest meistens nicht), Geschichten zu erleben. Ich kann Tausende Rennen auf dem Nürburgring fahren, ohne dass es langweilig wird, wohingegen ich selbst in Rollenspielen, die Quests mit mehreren Lösungsmöglichkeiten bieten, spätestens nach dem fünften Mal dieselbe Aufgabe nicht mehr erfüllen möchte. Ich kenne sie dann ja in- und auswendig.
Gute KI + toller Karrieremodus = Großer Spaß
Rennspiele haben einen hohen Wiederspielwert. Mir reicht es allerdings nicht, immer nur Einzelrennen zu fahren und auf Multiplayer habe ich aufgrund des Risikos, ständig gegen irgendwelche Rowdys fahren zu müssen, wenig Lust. Was für mich unabdingbar ist, damit ich mit einem Rennspiel langfristig Spaß haben kann, ist ein guter Karrieremodus. Umfangreich und motivierend sollte er in erster Linie sein. Eine schöne Präsentation ist auch einiges wert, aber darauf kann ich noch am ehesten verzichten, wenn ich denn Abstriche machen muss. Hauptsache, ich habe beim Spielen wirklich das Gefühl, mich vom Rookie zum Profirennfahrer zu entwickeln.
Viel wichtiger als Zwischensequenzen oder ähnliches ist mir da, dass ich gegen eine fähige KI antrete. Sie muss mir eine Herausforderung bieten, aber sollte auch nicht zu perfekt fahren, denn jedem Profifahrer passieren mal Fehler auf der Strecke. Sonderlich aggressiv darf sie nicht sein, denn wenn ich mich ständig anrempeln lassen möchte, kann ich ja auch gleich online zocken. Vor allem sollten die Rennen dynamisch sein und nicht ständig nach dem gleichen Muster ablaufen. Ich will, dass sich die KI-Fahrer nicht nur mit mir Positionskämpfe liefern, sondern auch untereinander. Wenn sie einfach nur hintereinander stur auf der Ideallinie fahren, als ob sie Teil einer Perlenkette wären, macht's keinen Spaß.
Hach, Forza ...
Das große Problem des Rennspielgenres: Die meisten Titel haben entweder eine gute Karriere oder eine gute KI, aber nicht beides und im schlimmsten Fall versagen sie sogar auf jeder dieser Ebenen. Man nehme nur mal Forza Motorsport 7, einen der erfolgreichsten Vertreter des Genres der vergangenen Konsolengeneration. Das bietet mit dem Driver's Cup eine wirklich vielfältige und große Karriere, in der ich in zahlreichen Wettbewerben auf über 30 Strecken die Hunderten von Fahrzeugen fahren darf, die der Titel zu bieten hat. Ich habe eine klare Progression, aber auch gewisse Freiheiten und die Abwechslung ist dank der unterschiedlichen Autokategorien groß. Es macht Spaß, im Level aufzusteigen und das nötige Geld zu erspielen, um mir neue Wagen zu kaufen, was mir wiederum die Teilnahme an mehr Cups ermöglicht.
Das große Aber in diesem so viel gelobten Forza Motorsport 7, das viel zu wenig Kritiker bemängelt haben, ist die KI der sogenannten Drivatare. Angeblich sollen die das Fahrverhalten echter Spieler widerspiegeln. Aber sind wir mal ganz ehrlich: Das ist Quatsch. Die KI in Forza Motorsport 7 fährt in jedem Rennen absolut gleich. Dynamik ist für sie ein Fremdwort. Es gibt immer den einen Fahrer, der sich vom restlichen Feld deutlich absetzt. Und das ist in der Regel auch innerhalb eines Wettbewerbs in jedem Rennen derselbe, nämlich der, der auf der Startnummer 1 startet.
Da die Startreihenfolge immer identisch ist, muss ich in jedem Rennen vor jenem Gegner sein, um überhaupt eine Chance auf den Cup-Sieg zu haben. Zusätzlich ist das entweder auf den niedrigeren Schwierigkeitsgraden viel zu leicht oder auf den höheren kaum machbar. Je höher die Schwierigkeitsstufe ist, desto schneller fahren eure Kontrahenten. Sie fahren nicht besser, nicht schlauer, sie erhalten einfach nur einen Tempo-Boost. Man könnte auch sagen: Sie cheaten.
Auch du, Project CARS!
Als ich nach einigen Spielstunden erkannt hatte, wie mies die KI in Forza Motorsport 7 ist, war es aus mit dem Spielspaß. Es könnte ein so tolles Rennspiel sein, weil alle Anlagen dafür vorhanden sind, nur eben keine gute KI. An letzterer mangelt es auch den "Project CARS"-Spielen. Ich habe mehrfach probiert, mit dem zweiten Ableger der Reihe Spaß zu haben. Er bietet eine gute Grafik, sehr viel Umfang und einen Karrieremodus, der zwar sehr trocken präsentiert ist, mich aber vom Kart- zum Profifahrer aufsteigen lässt. Es gibt haufenweise Strecken und Fahrzeugklassen, ja sogar einen Tag-/Nachtwechsel und dynamisches Wetter.
Aber ach, wäre da nur nicht die kaputte KI, die je nach Strecke und Rennklasse unterschiedlich stark ist. Noch dazu habe ich es immer wieder erlebt, dass ich ihr im Qualifying hoffnungslos unterlegen bin, sie im Rennen dann aber dominiere. Und dann gelten für sie auch noch andere physikalische Gesetze als für mich. Bei Regen etwa ist sie deutlich schneller als ich, weil die nasse Strecke ihr gar nichts ausmacht, während ich arg damit zu kämpfen habe, überhaupt auf dem Asphalt zu bleiben.
Wenn F1 doch nur mehr hätte als … die Formel 1
Jetzt werden die Rennspiel-affinen Leute unter euch sagen: "Ja, aber Jens, was ist denn mit den F1-Spielen? Die haben fantastische Karrieremodi und eine gute KI!" Dem kann ich wirklich nicht widersprechen. Bei uns hat F1 2020 im Test nicht ohne Grund eine sehr hohe Wertung erhalten. Rein auf die Kombination aus guter Karriere und KI bezogen, ist der Codemasters-Titel die absolute Genrereferenz. Aber er ist eben auch ein reines Formel-1-Spiel (gut, die Formel 2 ist auch noch drin). Ich habe aber nicht immer Lust, nur mit Open-Wheel-Fahrzeugen über die Pisten zu brettern, sondern möchte auch mal mit GT- oder Tourenwagen Rennen bestreiten. Ich hatte gehofft, Codemasters würde mir mit GRID von 2019 das Spiel meiner Träume bescheren, aber leider ist daraus nichts geworden. Auch hier können sowohl Karriere als auch KI nicht überzeugen.
Was macht man also, wenn man so verzweifelt ist? Einfach auf die nächsten Hoffnungsträger warten und währenddessen nur Arcade-Racer wie die "Forza Horizon"-Teile zocken (die das mit der Drivatar-KI komischerweise spürbar besser hinkriegen als Forza Motorsport 7)? Sicherlich sehne ich Gran Turismo 7 und das nächste Forza Motorsport herbei und hoffe, dass sowohl Polyphony Digital als auch Turn 10 in Sachen KI-Programmierung dazugelernt haben. Aber GT7 wurde jüngst erst auf 2022 verschoben und wann der nächste Teil der Xbox-exklusiven Rennspielreihe erscheint, steht noch in den Sternen. Und ich bin ein ungeduldiger Typ, der jetzt(!) eine spannende virtuelle Rennfahrerkarriere erleben möchte.
Rettung ist gefunden
Gott sei Dank bin ich jüngst auf RaceRoom Racing Experience gestoßen. Das ist ein Free-to-Play-Titel des schwedischen Entwicklers Sector3 Studios (ehemals SimBin). Der hat früher Spiele wie GTR und GT Legends entwickelt, die vielfach gelobt wurden. 2013 veröffentlichte er RaceRoom Racing Experience für den PC und baut es auch heute noch regelmäßig mit neuen Inhalten aus. Warum ich nun darauf aufmerksam geworden bin, hat zwei Gründe: Auf der Suche nach einem geeigneten Rennspiel für mich erfuhr ich, dass es eine ziemlich gute KI haben soll, die sich sogar so einstellen lässt, dass sie sich adaptiv an mein Können anpasst. Zum anderen stieß ich auf diesen Beitrag im offiziellen Forum des Spiels.
Ein Spieler hat sich die Mühe gemacht, ein langes Textdokument und Grafiken zu erstellen, anhand derer ihr euch euren eigenen Karrieremodus für RaceRoom Racing Experience basteln könnt – nicht direkt im Spiel selbst, sondern quasi in eurem Kopf. Denn leider hat der Titel nicht von Haus aus eine Karriere. Ihr könnt lediglich selbst einzelne Meisterschaften erstellen, habt dabei aber jede Menge Optionen. Und weil es viele unterschiedliche lizenzierte Rennklassen und Strecken gibt, ist es recht einfach, euch selbst eure eigene Rennfahrerkarriere zusammenzubauen.
Selfmade-Karriere
Das Grundprinzip: Ihr sucht euch eine der niedrigeren Klassen aus, zum Beispiel die Formel Junior oder den BMW M235i Racing Cup (auf den meine Wahl gefallen ist), werft einen Blick in das Textdokument, in dem steht, auf welchen Rennstrecken in den offiziellen Wettbewerben für gewöhnlich gefahren wird, und erstellt euch anhand dessen eine Meisterschaft im Spiel. Die fahrt ihr und wenn sie für euch erfolgreich gelaufen ist, sucht ihr euch eine Rennklasse aus der nächsthöheren Kategorie aus und startet den nächsten Wettbewerb. Im Grunde habt ihr dadurch eine ähnliche Spielerfahrung wie im Karrieremodus von Project CARS 1 und 2, nur dass die eben nicht in den Menüs im Spiel aufgegriffen wird.
Zugegeben, das ist keine perfekte Lösung für mein Problem. Natürlich wäre es besser, RaceRoom Racing Experience hätte von Haus aus so eine Karriere. Es wäre auch schön, wenn ich ein moderneres Spiel auf diese Weise spielen könnte, denn technisch ist das Sector3-Spiel schon ein wenig eingerostet. Es basiert noch auf DirectX 9, hat kein dynamisches Wetter und auf den Zuschauertribünen befinden sich 2D-Sprites.
Allerdings ist es nun auch nicht hässlich. Beispielsweise sehen die Cockpits immer noch ziemlich gut aus. Zudem hat RaceRoom Racing Experience eine fantastische Fahrphysik (mit Lenkrad und Force Feedback macht es einfach verdammt viel Spaß) und der Sound ist 1A. Und dann wäre da eben die KI, die sich spannende Rennen mit mir liefert. Ja, sie ist nicht perfekt, weil sie gerne mal etwas zu dicht an mir vorbeirast. Aber ich würde nicht sagen, dass sie gar keine Rücksicht auf mich nimmt.
Teures Vergnügen
Falls ihr nun auch Interesse daran habt, es mir gleichzutun, möchte ich euch "warnen": Wenn ihr eure Rennfahrerkarriere in RaceRoom Racing Experiene starten wollt, solltet ihr im besten Fall auch alle Inhalte des Spiels besitzen. Ich habe ja schon erwähnt, dass Sector3 auf ein Free-to-Play-Modell setzt. Der Haken daran: Gratis ist gar nicht so viel spielbar. Knapp über zehn Wagen und vier Strecken stehen euch zur Verfügung, den Rest gibt es einzeln oder als Teil unterschiedlicher Pakete zu kaufen.
Das Gute ist: Es gibt ein Premium-Paket, das alle derzeit verfügbaren Inhalte umfasst. Jedoch kostet das mal eben knapp 100 Euro. Bezahlt habe ich knapp 80 Euro, weil ich dafür so viel von der hauseigenen Währung VRP benötigte, dass ich von einem Mengenrabatt profitiert habe. Und ja, für das Geld habe ich immerhin 173 Fahrzeuge, 47 Strecken mit insgesamt 113 verschiedenen Layouts und 1653 Lackierungen bekommen. Das ist viel Inhalt. Aber ein Forza Motorsport 7 oder Project CARS (egal welcher Teil) bietet mindestens genauso viel oder gar mehr und das zu einem geringeren Preis. Race Room Racing Experience ist zwar das bessere Spiel, aber es ist eben doch recht teuer. Und zukünftige Strecken und Autos müsst ihr extra bezahlen.
Für mich hat sich die Investition aber in jedem Fall gelohnt. Ich hab derzeit sehr viel Spaß mt Race Room Racing Experience und es wird mir die Wartezeit auf Gran Turismo 7, das nächste Forza oder das, was Codemasters nun als EA-Tochter neben F1 für die Zukunft geplant hat, versüßen. Und ansonsten kann ich eben nur hoffen, dass die genannten Spiele diesen Fluch, der scheinbar auf dem Rennspielgenre (oder besser gesagt seinen Fans) lastet, endlich brechen können und wir die Rundum-sorglos-Pakete bekommen, auf die ich nun schon so lange warte – mit einer guten Karriere und einer starken KI. Das ist doch nicht zu viel verlangt, oder?