Die Kampagne von Halo Infinite spielt sich genauso hervorragend wie der Multiplayer, aber das allein reicht halt nicht.
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Die Kampagne im Test: Gameplay top, der Rest ein Flop
Lange mussten Fans warten, nun ist es endlich da: Halo Infinite setzt sechs Jahre nach Halo 5: Guardians dessen Geschichte fort, will aber zugleich auch eine Art Neustart der Reihe sein und das vor allem auf spielerischer Ebene. Statt linearer Levels präsentiert 343 Industries im sechsten Hauptteil der Serie eine Open World inklusive allerlei optionaler Aktivitäten. Was prinzipiell eine coole Ergänzung sein kann, entpuppt sich jedoch als eine der schlechtesten Spielwelten in einem AAA-Blockbuster. Zum Glück hat Halo Infinite eine große Stärke, die die Kampagne davor bewahrt, im Sumpf der Durchschnittsspiele zu versinken.
„Völlig losgelöst ...“
Halo Infinite spielt einige Monate nach dem Ende des Vorgängers. Das Intro zeigt, wie der Master Chief an Bord eines Raumschiffs ist, das angegriffen wird, und in Folge dessen einfach ins All geworfen wird. Dort treibt er ein halbes Jahr lang, bis ihn ein Pilot rettet, dessen Namen ihr nicht erfahrt. Anschließend geht es auf Zeta Halo, eine zum Teil zerstörte Ringwelt, auf der sich die Verbannten breitgemacht und die Soldaten der UNSC geschlagen haben. In den folgenden Stunden sagt ihr den bulligen Aliens den Kampf an. Dabei erhaltet ihr von einer neuen KI Unterstützung, die einfach nur „Die Waffe“ genannt wird.
Nun, wie eine Waffe sieht sie allerdings nicht aus. Sie ist Cortana optisch enorm ähnlich, und wird im englischen Original sogar von derselben Schauspielerin, Jen Taylor, gesprochen. Was aus kreativer Sicht äußerst schwach ist, zahlt sich akustisch aus, denn Taylor macht erneut einen hervorragenden Job. Auch die restliche Besetzung überzeugt. Bevor ihr nun aber wieder denkt, dass nur die Originalfassung überzeugen kann: Die deutsche Sprachausgabe kann sich ebenfalls hören lassen. Der Master Chief wird hier erneut von Tobias Kluckert gesprochen, der sonst zum Beispiel Tom Hardy, Seth Rogen und Jason Bateman synchronisiert. Er überzeugt auch diesmal in der Rolle des wortkargen Supersoldaten, der immer wieder einen trockenen Spruch auf den (natürlich nie sichtbaren) Lippen hat.
War hier J. J. Abrams am Werk?
Die Dialoge zwischen dem Master Chief und der Waffe sind auch das Highlight von Halo Infinite auf erzählerischer Ebene. Hier haben die Entwickler eine ordentliche Prise Humor verbaut, der ein wenig an die Marvel-Filme erinnert. Das mag nicht jedem gefallen, hat uns aber gut unterhalten und immer wieder zum Schmunzeln gebracht. Davon abgesehen ist die Story von Halo Infinite recht durchwachsen. Der Hauptbösewicht Escharum, der Anführer der Verbannten, wirkt wie der Schurke aus einem Samstagmorgen-Cartoon und im Austausch für so manches neue, durchaus interessante Mysterium, das Halo Infinite aufwirft, wird der Plot aus Halo 5: Guardians einfach in wenigen Minuten weggewischt und zu den Akten gelegt. Das erinnert ein wenig an „Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers“: Viele Fans mochten nicht, was Rian Johnson im vorherigen Film gemacht hat, also hat J .J. Abrams das einfach wieder zu Großteilen über Bord geworfen. Das Ergebnis: ein unfassbar schlechtes Finale der neuen "Star Wars"-Trilogie.
Ja, die Fans waren mit Halo 5: Guardians echt nicht glücklich. Aber deshalb gleich alles, was an dessen Ende passiert, mit einem „Ach, ist ja nicht so wichtig, erzählen wir einfach was Neues“ beiseite zu packen, kann auch keine Lösung sein. Hinzu kommt, dass sich die Kampagne von Halo Infinite wie schon Teil 5 nun auch wieder nur wie der Auftakt zu etwas Größerem anfühlt. Ein befriedigendes Ende gibt es nicht. Hinzu kommt, dass viele Fragen, die lange Zeit über offengelassen werden, nur für uns als Spieler unbeantwortet sind. Wie es zu der Ausgangslage von Halo Infinite gekommen ist, das erfahren wir erst im späteren Spielverlauf, doch der Master Chief weiß über alles Bescheid. Hier gilt nicht: „Der Hauptcharakter hat seine Erinnerung verloren und muss herausfinden, was passiert ist“, sondern eher: „Wir lassen den Spieler im Unklaren, ums spannend zu machen, obwohl der Charakter, den man spielt, auch einfach alles am Anfang erzählen könnte“. Ja, es gibt in der Literatur das Modell des unzuverlässigen Erzählers, aber das funktioniert in so einem Videospiel nicht, wo wir kein stiller „Beobachter“ sind, sondern selbst die Hauptfigur verkörpern. Das raubt den „großen Enthüllungen“ schlicht viel von dem Effekt, den sie eigentlich haben sollen.
Ganz schön viel Grün hier
343 wirft erzählerisch vieles aus dem direkten Vorgänger über Bord, spielerisch hingegen sogar die Struktur aller vorherigen Halo-Teile. Die Kampagne von Infinite präsentiert sich in den ersten beiden Missionen noch ganz klassisch: Hier kämpft ihr euch durch lineare Passagen, die zwar nicht herausragend, aber sehr solide designt sind. Danach seid ihr auf der Oberfläche von Zeta Halo unterwegs und werdet zum ersten Mal mit der Open World konfrontiert. Und ja, wir nutzen den Begriff hier nicht nur zu SEO-Zwecken: Halo Infinite ist ein Open-World-Spiel, auch wenn manche Leute was anderes behaupten. Die Welt ist nach heutigen Maßstäben nicht sonderlich riesig und auch nicht von vornherein komplett frei begehbar, aber das trifft genauso auf die GTAs der PS2-Ärä zu und auch in The Witcher 3: Wild Hunt könnt ihr nicht von Anfang an überall hin.
Pluspunkte bekommt Halo Infinite aber sicherlich nicht dafür, nur weil wir es als richtiges Open-World-Spiel bezeichnen. Diese offene Welt ist nämlich der größte Schwachpunkt. Nicht nur das, sie ist angesichts dessen, was wir heutzutage von einer Open World erwarten, eine Katastrophe, weil sie die Vorteile, wegen denen man das Konzept nutzt, schlicht nicht ausspielt. Einerseits ist sie optisch schlicht langweilig. Klar, die Umgebung sieht mit ihren Wäldern, Wiesen und Bergen idyllisch aus, aber viel mehr als eben Wälder, Wiesen und Berge hat sie auch nicht zu bieten. Optische Abwechslung ist für Halo Infinite ein Fremdwort. Nun könnte man argumentieren, dass Halo-Ringe nun mal so aussehen. Aber dann hätten wir eine Gegenfrage parat: Warum entscheidet sich 343 dann dafür, ein Open-World-Spiel auf einer Ringwelt und nicht irgendeinem Planeten mit mehreren Biomen spielen zu lassen? Wenn ein Halo optisch per Lore-Gesetz eintönig sein muss, dann ist er ebne kein geeignetes Setting für diese Art Spiel.
Hey, 2012 hat angerufen und will seine Open World zurück!
Problem Nummer 2 der Spielwelt von Halo Infinite: Es gibt so gut wie nichts in ihr zu entdecken. Während andere Pressevertreter die Kampagne gerne mit der „Batman: Arkham“-Reihe vergleichen, sehe ich hier eher die Ubisoft-Formel – und zwar die von 2012. Statt Zeta Halo mit allerlei einzigartigen Orten und abwechslungsreichen Nebenmissionen zu füllen, erwartet euch hier das klassische Abarbeiten von Icons auf einer Map, hinter denen sich die immer gleichen Aktivitäten verbergen: hier eine Basis erobern, da einen UNSC-Trupp retten, dort einen hochrangigen Gegner ausschalten. Das alles wird so gut wie gar nicht mit Hintergrundgeschichte unterfüttert und schon nach wenigen Stunden hat man das Gefühl, bereits alles gesehen zu haben. So sehr immer auf Ubisoft-Spiele eingehauen wird: Ein Far Cry 6 und Assassin's Creed Valhalla haben die mit weitem Abstand besseren, vielfältigeren Open Worlds.
Nun fragt ihr euch vielleicht, warum ihr den ganzen optionalen Kram machen solltet und ob ihr ihn nicht vielleicht auch ignorieren könnt. 1. Ihr erfüllt die Ziele, um Punkte zu bekommen, mit denen ihr Battle-Pass-artig immer mehr Waffen, Fahrzeuge und UNSC-Trupps freischaltet, die ihr per Terminals in eroberten Stützpunkten anfordert. Zudem findet ihr in der Spielwelt verteilte Spartan-Kerne, mit denen ihr eure Gadgets (dazu kommen wir noch) aufwertet, und – kein Scheiß – Skins für den Multiplayer-Modus. Nun mögen wir den ja sehr, aber in der Kampagne wollen wir dann halt doch Belohnungen für eben die haben. Wen der PvP-Teil von Halo Infinite nicht interessiert, für den ist diese Form von Goodie, das es in der Spielwelt zu finden gibt, vollkommen irrelevant.
2. Ihr könnt all den Open-World-Kram auch ignorieren, ohne in den Hauptmissionen Probleme zu bekommen. Waffen und Fahrzeuge findet ihr auch so zu Genüge und ihr kommt ebenso an genug Spartan-Kerne, wenn ihr bloß strikt der Story folgt. Doch das entlastet Halo Infinite nur geringfügig. Wenn 343 Industries all die optionalen Inhalte einbaut, müssen sie auch in die Bewertung einfließen. Wir testen hier nun mal die Kampagne im Ganzen und nicht nur den Teil, den man konsumieren muss, möchte man den Abspann sehen. Zudem wird die Erfahrung gar nicht mal so viel besser, wenn ihr die Open World ignoriert, weil die linearen Abschnitte ähnlich abwechslungsarm sind. Gefühlt lauft ihr ständig durch die gleichen Korridore. Auch hier könnten Lore-Experten wieder ankommen mit: „Ja, aber das muss ja so! So sehen Halos halt von innen aus.“ Und wieder würde unsere Gegenfrage folgen: „Ist es dann eine gute Idee, das gesamte Spiel auf diesem einen Ring stattfinden zu lassen?“
Gesegnet sei das Gameplay
Die Kampagne von Halo Infinite hat also erzählerisch große Probleme, bietet wenig Abwechslung in Sachen Leveldesign und Open-World-Aktivitäten der Marke „Copy & Paste“. Sieht wohl so aus, als sei es eines der schlechte... Oh, Moment, das Gameplay ist fantastisch! Ganz ehrlich, in vielen Bereichen hat 343 Industries hier echt schlechte Arbeit geleistet, aber den spielerische Kern eines Ego-Shooters kann das Team, was es mit Halo Infinite voll und ganz beweist. Das herausragende Gunplay und Waffenarsenal haben wir schon im Multiplayer-Test gelobt und was wir da dazu geschrieben haben, lässt sich exakt so auf die Kampagne übertragen. Das Ballern fühlt sich wahnsinnig gut an. In der Kampagne ist es sogar nochmal ein Stückchen besser, weil nicht jeder Gegner einen Schild trägt und alle Feindvarianten anders auf Treffer reagieren.
Es ist so befriedigend, einem Brute erst den Helm vom Kopf zu schießen und ihm dann den finalen Treffer direkt in den Schädel zu verpassen. Das Verhalten der Kontrahenten rundet die fantastischen Gefechte ab. Halo Infinite ist eines dieser wenigen Actionspiele, die alle Jubeljahre mal erscheinen, die eine wirklich gute Gegner-KI haben. Dadurch ist die Kampagne selbst auf dem normalen Schwierigkeitsgrad durchaus anspruchsvoll, weil euch die Widersacher sehr schön in die Mangel nehmen. Allein dafür, dass Brutes gerne auf unser Fahrzeug springen und uns vom Steuer wegreißen wollen, hat 343 schon jedes Lob verdient. Und so komisch es klingen mag, aber sogar das Fluchtverhalten der kleinen Grunts, wenn sie merken, dass sie uns nicht gewachsen sind, steht als Beispiel für die gute KI. Sie sind halt das Kanonenfutter. Da ist es ganz logisch, dass sie mit hochgehaltenen Armen Reißaus nehmen.
Veredelt wird die Action vom Sandbox-Charakter von Halo Infinite (für den es übrigens keine Open World gebraucht hätte). Nicht nur die vielen verschiedenen Waffen geben euch ein großes Spektrum an Möglichkeiten, sondern auch die ganzen Fahrzeuge und vor allem der neue Greifhaken. Im Multiplayer spielt der nur vereinzelt eine Rolle, weil er dort ein Verbrauchsgegenstand ist und nur zwei Aufladungen hat. Aber der Master Chief kann ihn unendlich oft einsetzen. Es gibt lediglich eine Abklingzeit, die sich per Upgrades aber noch verkürzen lässt. Und so habt ihr ein Werkzeug, das euch a) eine große Bewegungsfreiheit verleiht, weil ihr damit fast überall hinkommt, und b) die Dynamik der Kämpfe noch weiter steigert. Ihr könnt mit dem Greifhaken Waffen zu euch ziehen oder explosive Objekte, um sie dann auf eure Feinde zu werfen. Oder ihr zieht euch zu einem Gegner heran, um ihm dann eins auf die Mützr zu geben. Kurzum: Der Greifhaken ist die beste Neuerung in Halo Infinite. Die anderen Gadgets, etwa ein Ortungssensor, der Gegner in seinem Umkreis optisch hervorhebt (auch durch Wände hindurch), können da nicht im Ansatz mithalten.
Optisch kein Highlight
Technisch präsentiert sich die Kampagne von Halo Infinite auf dem gleichen Niveau wie der Multiplayer: Das Spiel sieht gut aus, der Look ist stimmig, aber man merkt ihm eben stark an, dass es auch noch für die Xbox One entwickelt wurde. Klar, in der Open World kommt noch eine ordentliche Weitsicht hinzu, doch wenn nicht gerade eine schöne Lichtstimmung herrscht, etwa bei Sonnenauf- und -untergang, wirkt das Bild fad. Next-Gen-Gefühl kommt jedenfalls nicht auf, dafür ist Halo Infinite eben super performant.
Was auf den Boxen schallt, ist tadellos. Die gute Sprachausgabe haben wir ja schon gelobt, aber die Soundeffekte und Musik sind auf dem gleichen hohen Niveau. Das Halo-Hauptthema bleibt ein Meisterwerk und auch der Rest des Soundtracks ist wahrlich gelungen. Die Waffensounds haben wir ja auch schon im Multiplayer-Test besonders hervorgehoben. Hier spielt Halo Infinite in der obersten Liga.
Fazit
Bei all der Kritik dürfen wir nicht vergessen, dass ein wichtiges Element der Kampagne von Halo Infinite derzeit ja noch fehlt: der Koop-Modus. Im Vorfeld dachten wir noch: „Na gut, die Alternative wäre gewesen, das ganze Spiel nochmal zu verschieben. Da ist es doch besser, man muss nur auf die Koop-Funktion warten.“ Tja, da dachten wir aber noch, die Kampagne würde deutlich besser werden. Was 343 hier abliefert, ist bezüglich der Open World und des Leveldesigns schon ziemlich schlecht, zumindest für ein AAA-Studio.
Zusammen mit Freunden würde es deutlich mehr Spaß machen, den Verbannten in der offenen Welt in den Hintern zu treten. Aber das geht ja wohl frühestens erst ab Mai 2022. Als Singleplayer-Spiel ist Halo Infinite angesichts dessen, dass ihr hier 60 Euro nur für die Kampagne bezahlt, weil der Multiplayer kostenlos ist, nicht zum Vollpreis zu empfehlen, so genial das Gameplay auch sein mag. Ihm allein ist es zu verdanken, dass wir hier noch Wertung im positiven Bereich zücken. Wenn die Kernmechaniken eines Shooter so fantastisch sind, bleibt uns ja auch keine andere Wahl. Davon abgesehen erinnert uns Halo Infinite aber sehr an Rage 2 – und das hätten wir vorher niemals erwartet. Daher unser Tipp: Wartet auf den Koop-Modus, spielt die Kampagne dann über den Game Pass mit Freunden und erfreut euch an der Action. Alles darüber hinaus ist bestenfalls Durchschnitt.
- Fantastisches Gunplay
- Großes, tolles Waffenarsenal
- Gute KI
- Angenehm fordernd auf "Normal"
- Der Greifhaken ist super
- Großartige Vertonung
- Abwechslungsarme Umgebungen
- Generische Nebenaktivitäten
- Story mit diversen Schwächen
- Nichts Interessantes zu entdecken