Über mangelnde Inhalte kann sich in Sea of Thieves kaum einer beschwerden. Aber stimmt die Qualität auch?
Wenn zu viel gemessen und erfasst wird!
Wir kennen es alle, ob ihr noch zur Schule geht, euch in einer Ausbildung befindet oder einer Arbeit nachgeht: Leistungen werden in unserer Gesellschaft auf die unterschiedlichste Art und Weise erfasst. Sind es in der Schule und der Universität noch Noten, ändert sich das im Berufsleben ein wenig. In vielen Berufen spricht man von KPIs, sogenannten Key-Performance-Indikatoren. Was nichts anderes ist, als ein Nachweis über erbrachte Arbeit. Das mag bis zu einem gewissen Maß sinnvoll sein, solange man sich nicht im Micromanagement verliert und den Menschen als solches degradiert, bis er nur noch eine x-beliebige Zahl ist. Genau diese Befürchtung habe ich mittlerweile auch in Sea of Thieves.
Mit dem Start der achten Saison sind noch einmal zahlreiche Tätigkeiten hinzugekommen, die bis ins kleinste Detail erfasst werden. Zum Launch des Spiels waren es gerade einmal vier übergeordnete Statistiken oder anders ausgedrückt: Zu Beginn gab es vier Fraktionen in Form der Goldsammler, des Seelenordens, des Handelsbundes und der Piratenlegenden. So weit, so gut. Das ist auch in anderen Spielen üblich. In den vergangenen fünf Jahren hat Entwickler Rare das Spiel aber immer mehr aufgebohrt und erweitert, dass man mittlerweile fast den Überblick verlieren kann. Bereits nach kurzer Zeit kamen die Abenteuer der Schiffsratten hinzu, die bis zur Einführung der Saisons auch meist mit einem inhaltlichen Update daherkamen. Diesen Job haben im Wesentlichen die Spielzeiten übernommen. Natürlich ist jedes Inhalts-Update auch mit den entsprechenden Aufgaben versehen, die es teilweise abzuarbeiten gilt, um weitere Dinge freizuschalten.
Dann hat Rare die “Tall Tales”, also größere Geschichten, ins Piratenspiel integriert. Die Folge: weitere messbare Daten und erforderliche Aufgaben. Es folgten mit dem Ruf des Jägers und den Schnitterknochen weitere Fraktionen. Wer sich in der Arena betätigt hat, konnte zudem bei den Säbelrasslern aufsteigen und Streamer haben mit der Creator Crew sogar noch eine zusätzliche Fraktion. Bis dato ist das schon ein extrem umfangreiches Unterfangen. Dann haben die Entwickler das Botschaftersystem enthüllt. Dabei handelt es sich zwar nicht um eigenständige Fraktionen, aber dennoch sind damit neue Aufgaben und KPIs verbunden. Damit aber immer noch nicht genug. In diesem Jahr kam noch das Kapitänsamt hinzu. Seitdem werden die Statistiken auch auf das eigene Schiff und die Crew, sofern eine vorhanden ist, erweitert.
Jüngst folgte die nächste Stufe der Grind-Eskalation. Mit den Wächtern des Glücks und den Dienern der Flamme gibt es abermals zwei weitere Fraktionen und damit verbunden, ihr könnt es euch schon denken, weitere Möglichkeiten, irgendwelche Zielvorgaben zu erreichen. Macht summa summarum 10 Fraktionen, 17 “Tall Tales”, 18 Schiffsrattenabenteuer plus Botschafterränge, Kapitänsamt, temporäre Abenteuer sowie Seasons. Für langjährige Spieler kamen diese Änderungen und Erweiterungen relativ organisch hinzu und man hatte immer gut zu tun bis zum nächsten Update.
Doch wie mag sich ein Spieler fühlen, der jetzt erst seine Piratenkarriere startet? Wenn ich heutzutage Sea of Thieves beginnen würde, wäre ich nach spätestens 30 Minuten komplett abgeschreckt oder von vornherein erschlagen. Wie soll man das alles schaffen? Wo fängt man am besten an? Ein weiteres Problem ist: Wer schon das Meiste erspielt hat, der hat nicht unbedingt Lust, die ganzen Aufgaben noch einmal zu machen, um neuen Spielern zu helfen. Findet derzeit mal jemanden, der Lust hat, die Inseln nach Thronen abzuklappern, um darauf zu sitzen. Für viele Aufgaben werden nämlich andere Crews benötigt und die sind leider nur selten freundlich gesinnt.
Es ist zwar schön, dass Rare so viele Updates nachschiebt, aber in den letzten Wochen und Monaten haben diese nur im Ausnahmefall das Gameplay erweitert. Was war zum Beispiel wirklich mal eine neue Spielmechanik oder ein neuer Inhalt? Das waren die Seefestungen, die Schreine der Sirenen und die Möglichkeit, selbst Schätze zu verbuddeln. Was dagegen komplett fehlt, ist zum Beispiel mal ein gänzlich neues Gebiet. Seit 2018 schippern wir durch drei mehr oder weniger unterschiedliche Bereiche sowie ein Vulkangebiet. Die Umgebungen der „Fluch der Karibik“-Erweiterung lasse ich bewusst außen vor, da hier andere Spieler kaum eine Rolle spielen. Möglicherweise ändert sich das bald durch die Wiederkehr von Captain Flameheart.
Allerdings muss Rare jetzt aufpassen, dass das Spiel nicht zu einem Grind-Fest verkommt, ohne substanziell etwas Neues zu bieten. Das neue Update mit den Fraktionen ist im Prinzip nichts weiter als ein neues Gesicht für den Arena-Modus. Hier und da gibt es Änderungen, aber im Kern sind nun Arena-Scharmützel ohne Schatzsuche ins Hauptspiel integriert. Mir ist durchaus bewusst, dass es zwar simpel klingt, aber eine Menge Programmierarbeit dahintersteckt. Ich würde es aber begrüßen, wenn Rare den Fokus vom stumpfen Abarbeiten irgendwelcher Sisyphos-Arbeiten wieder hin zu starken und überraschenden Inhalten verschiebt. Ich denke, ich bin da nicht der einzige, der so denkt.