In Vampyr sind NPCs lebende Blutkonserven und eine EP-Quelle. Sie zu töten, hat aber teils weitreichende Konsequenzen.
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Vampyr: Guter Doktor oder starker Vampir?
Das Rollenspiel Vampyr von Dontnod Entertainment (Life is Strange) hat eine interessante Ausgangslage und ein nicht weniger spannendes Konzept. Ihr verkörpert den Arzt Dr. Jonathan Reid, der in einen Blutsauger verwandelt wird und deshalb in einem großen Dilemma steckt: Folgt er dem Eid, Menschen zu helfen, den er geschworen hat, oder gibt er seinem Durst nach roter Körperflüssigkeit nach und saugt andere bis auf den letzten Tropfen aus? Ihr als Spieler werdet in Vampyr immer wieder vor moralische Entscheidungen gestellt. Jeder der 64 Bürger der vier erkundbaren Londoner Bezirke lässt sich töten und aussaugen. Das ist die effektivste Methode, um an Erfahrungspunkte zu gelangen. Doch haben eure Nachtmahle auch großen Einfluss auf den Zustand in jedem einzelnen Bezirk.
Lebenssaft putscht auf
Vampyr ist kein Spiel für jedermann. Was wir damit meinen: Wenn ihr euch Videos angeschaut habt, die viele Kämpfe zeigen, und nun denkt, es handele sich hierbei um ein Hack and Slay, dann lasst euch gesagt sein, dass dieser Eindruck täuscht. Zwar wird relativ viel gekämpft, die meiste Zeit seid ihr in Vampyr aber damit beschäftigt, mit den NPCs zu reden. In dem jüngsten Spiel der „Life is Strange“-Macher stehen die Geschichte und die Charaktere im Mittelpunkt, werden aber clever mit dem Gameplay, genauer gesagt dem Charaktersystem verknüpft.
Als Jonathan Reid sammelt ihr wie jeder andere Rollenspielheld Erfahrungspunkte. Die gibt es für erfolgreich bestandene Kämpfe und abgeschlossene Quests. Die auf diese Weise verdienten Summen sind aber nichts im Vergleich zu dem, was ihr bekommt, wenn ihr andere Charaktere aussaugt. Und das ist der Knackpunkt: Während ihr beliebig viele Vampirjäger oder auch andere Blutsauger in den Gefechten umbringen könnt, ohne dass das irgendwelche Konsequenzen hätte, hat es spürbare Auswirkungen, wenn ihr eine der Story-relevanten Figuren um die Ecke bringt.
Vier Problembezirke
Jeder der vier Bezirke, in die es euch im Verlauf von Vampyr verschlägt, hat einen allgemeinen Gesundheitswert. Der reicht von „Desinfiziert“ über „Gesund“, „Stabil“, „Ernst“ und „Kritisch“ bis hin zu „Gefährlich“. Wie es einem Stadtteil geht, hängt nicht nur davon ab, wie viele Leute ihr ausgesaugt habt. Vampyr spielt im Jahr 1918, wo die Spanische Grippe in London wütet und die Bevölkerung dahinrafft. Als Arzt sollte es also eigentlich eure Aufgabe sein, den Kranken zu helfen und ihnen Medikamente zu besorgen.
Geht ihr eurer „Pflicht“ nicht nach und bedient euch zusätzlich noch am offenen Blutbuffet, wird sich der Zustand eines Bezirks immer weiter verschlechtern. Dann treiben sich in den Gassen mehr Gegner herum, so dass die Gebiete für euch gefährlicher werden. Irgendwann wird es so schlimm, dass eine Quarantäne verhängt wird und ihr einen Bereich der Spielwelt gar nicht mehr betreten könnt. Das ist nur einer von mehreren Gründen, warum ihr euch immer genau überlegen solltet, ob ihr jemanden seines Blutes und damit Lebens beraubt oder ihn verschont.
Der Arzt, der alles über seine Patienten weiß
Wie viele Erfahrungspunkte ein NPC euch liefert, hängt von zwei Faktoren ab: seinem Gesundheitszustand und eurem Wissen über die Person. Charaktere können krank werden. Wenn ihr meint, ihnen viel Leid ersparen zu können, indem ihr sie einfach aussaugt, solltet ihr bedenken, dass sie euch dann weniger Erfahrung einbringen. Selbst wenn ihr also schon wisst, dass ihr Figur XY umbringen wollt, solltet ihr ihr vorher Medizin verabreichen. Das Blut eines Gesunden ist eben hochwertiger als das eines Kranken. Die Medikamente stellt ihr selber per Crafting her. Das macht ihr am Handwerkstisch in einem eurer Unterschlüpfe. Die nötigen Ressourcen lassen sich in der Spielwelt finden oder von besiegten Feinden erbeuten.
Wissen über NPCs erhaltet ihr zum einen logischerweise, indem ihr euch mit ihnen unterhaltet. Das System erinnert stark an die Dialoge aus den „Mass Effect“-Spielen. Natürlich sind die Charaktere keine offenen Bücher, die all ihre (schmutzigen) Geheimnisse sofort preisgeben, nur weil Jonathan der gute Herr Doktor ist. Entweder verraten euch andere Personen etwas über ihre Mitmenschen oder ihr findet Dokumente, die euch Hinweise geben. Das schaltet neue Dialogoptionen frei. Ihr findet heraus, dass ein NPC Dreck am Stecken hat? Dann könnt ihr ihn damit konfrontieren.
Eigentlich hat jeder Charakter in Vampyr etwas zu verbergen. Eine anfangs freundlich wirkende Dame hat vielleicht etwas Unrechtes getan oder Ansichten, die euch ganz und gar nicht gefallen. Habt ihr solches Wissen erlangt, steigert das die Menge an Erfahrungspunkten, die euch das Blut einer Person gewährt. Außerdem geben euch die dunklen Geheimnisse der Figuren vielleicht ja den Anlass dazu, ihnen das Licht auszuknipsen. Doch selbst wenn ihr ganz zu Beginn des Spiels einem offensichtlichen Verbrecher begegnet, der vor euren Augen jemanden tötet, empfiehlt es sich, ihn vorerst am Leben zu lassen – auch wenn euch das Tutorial in dem Fall dazu anregt, dem Mörder eure Fangzähne in den Hals zu stecken. Es gibt schließlich noch einiges, das ihr über den Gauner erfahren könnt.
Wer Leben verschont, macht es sich selbst schwer
Saugt ihr in Vampyr wenige oder gar keine Menschen aus, geht es den Bezirken tendenziell besser, Jonathan Reid bewahrt sich so seine Menschlichkeit und ihr verpasst keine Nebenquests. Denn das gilt es auch zu bedenken: Eine getötete Person kann euch später logischerweise keine Aufträge mehr erteilen. Allerdings macht ihr es euch durch eine friedliche Vorgehensweise in den Kämpfen schwieriger. Nur wer reichlich Erfahrungspunkte sammelt und damit beim Schlaf im Unterschlupf neue Vampirfähigkeiten freischaltet beziehungsweise verbessert, kommt in den Auseinandersetzungen mit Vampirjägern und monströsen Kreaturen nicht ständig ins Schwitzen. Zwar lassen sich auch eure Waffen per Crafting verbessern, aber die Skills sind schon ein wichtiges Mittel, um in den Kämpfen die Oberhand zu gewinnen.
Es ist möglich, Vampyr durchzuspielen, ohne einen einzigen der 64 NPCs zu eliminieren, aber beileibe nicht einfach. Zudem sind manche der Vampirfähigkeiten richtig cool. Die Verlockung, den einen oder anderen Londoner zu hypnotisieren, in eine dunkle Ecke zu bringen und ihn dort von seinem Leben zu befreien, ist also groß. Das wird dadurch, dass manche NPCs Schlüssel bei sich tragen, die euch Zugang zu deren privatem Besitz gewähren, nur noch weiter verstärkt.
Wie die Schlange Kaa
Apropos Hypnose: Die Charaktere in Vampyr lassen sich weder freiwillig umbringen, noch empfiehlt es sich, das vor den Augen anderer Personen zu tun. Man sagt, so was hinterlasse keinen guten Eindruck - erst recht nicht, wenn der Arzt der Mörder ist. Also bezirzt ihr eure Opfer und lockt sie irgendwo hin, wo euch niemand stört. Dieser Vorgang alleine hat keinen Einfluss auf das weitere Spielgeschehen und es juckt auch niemand anderen, wenn ihr jemanden hypnotisiert. Wohin ihr die jeweilige Figur bringen müsst, wird euch auf der Karte markiert.
Doch nicht alle NPCs können von vornherein in euren Bann verfallen. Für jeden Bürger Londons gibt es eine Levelvoraussetzung. Eure Hypnosestufe muss über der eines Charakters liegen oder auf dem gleichen Niveau sein, damit das Ganze funktioniert. Eure Fähigkeit, andere Personen zu bezirzen, könnt ihr nicht aktiv leveln. Sie verbessert sich im Verlauf der Hauptgeschichte an bestimmten Stellen. Sobald ihr zum Beispiel das Pembroke Hospital erreicht (das ist nach dem Tutorial der Fall), steigt euer Hypnoselevel auf 2.