Last Epoch ist zwar noch nicht fertig, aber perfekt, um die Wartezeit auf Diablo 4 und Path of Exile 2 zu überbrücken.
Last Epoch angespielt: Vielversprechende Schnetzelkost
Na, habt ihr auch die BlizzConline vor wenigen Wochen verfolgt und beim Betrachten der neuen Szenen aus Diablo 4 Lust auf Hack-and-Slay-Action bekommen? Uns zumindest erging es so. Doch was soll man nur spielen, wenn das neue Diablo noch in weiter Ferne liegt und auch das Remaster des zweiten Teils ein paar Monate auf sich warten lässt? Teil 3? Klar, ist ein gutes Spiel, hat aber doch ein ziemlich simples Skill-System. Path of Exile? Auch super, aber schon sehr komplex und anspruchsvoll und noch dazu ist das Kampfgefühl hier eher mittelmäßig. Wolcen? Oh, nein, ganz bestimmt nicht! Glücklicherweise sind wir auf der Suche nach einer Alternative auf Last Epoch aufmerksam geworden. Das befindet sich zwar noch im Early Access, aber die Nutzerbewertungen auf Steam sind "Sehr positiv" – und das vollkommen zurecht!
Zurück in die Vergangenheit
Worum geht es in Last Epoch? Nun, ehrlich gesagt können wir euch das so genau gar nicht sagen, ähem. Als wir das Spiel gespielt haben, war uns noch gar nicht bewusst, dass wir zwei Wochen später einen Artikel dazu schreiben würden. Und es präsentiert seine Geschichte nun nicht gerade auf die attraktivste Art und Weise, speziell für ein Hack and Slay. Mit Ausnahme von spezifischen Intros für jede der fünf spielbaren Klassen, die jedoch nur aus Standbildern bestehen, gibt es keine Zwischensequenzen. Die Erzählung findet ausschließlich in Form von Textfenstern statt, wenn ihr euch mit NPCs unterhaltet. Und in einem Spiel dieser Art ist man eben gerne dazu geneigt, sämtliche Dialoge schnell wegzuklicken, weil man ja weiter Monster schnetzeln, Items looten und Erfahrungspunkte sammeln möchte.
Wir lehnen uns mal aus dem Fenster und behaupten, dass vermutlich eh so gut wie niemand Last Epoch wegen seiner Geschichte spielen wird. Aber eines müssen wir ihm zugutehalten: Die Prämisse ist wirklich gut. Und damit meinen wir nicht die Tatsache, dass es (wie in so vielen Fantasy-Spielen) darum geht, die Welt vor dem Untergang zu bewahren. Nein, wir beziehen uns hier auf die Zeitreisethematik. Um das Ende von Eterra – so heißt das Land, in dem Last Epoch spielt – zu verhindern, reist ihr in die Vergangenheit. Ihr besucht insgesamt vier Epochen, zwischen denen Hunderte bis Tausende Jahre liegen. Das Coole daran: Ihr erlebt diverse Orte zu unterschiedlichen Zeiten.
Im einen Moment seht ihr etwa noch, wie ein Gebiet in der Ära aussieht, in der die sogenannte Leere, also die dunkle Macht in der Welt von Last Epoch, sie schon vollkommen vereinnahmt hat. Dann reist ihr durch ein Portal Tausende Jahre zurück und stellt fest: Das hier war einst ein Urwald, in dem Dinosaurier-artige Kreaturen lebten. Man könnte Entwickler Eleventh Hour Games hier Levelrecycling vorwerfen, aber wir finden das ziemlich cool, zumal die unterschiedlichen Versionen eines Gebiets auch nie zu 100 Prozent gleich aufgebaut sind.
Der Umfang stimmt schon jetzt
Die Kampagne von Last Epoch ist noch nicht vollständig, von den geplanten neun Kapiteln sind aber bereits acht implementiert. Wer die einzelnen Gebiete, die teilweise stark verzweigt sind, stets in Gänze erkundet, um ja alle Schatzkisten zu finden, ist schon jetzt locker an die 15 Stunden beschäftigt. Danach geht es eigentlich erst richtig los, denn dann beginnt für euch das Endgame, das derzeit aus zwei Teilen besteht: dem sogenannten "Monolith of Fate", wobei ihr euch durch zufallsgenerierte Levels in verschiedenen Szenarien, die es auch erst mal nach und nach freizuschalten gilt, kämpft, und der Arena, in der ihr möglichst viele Gegnerwellen überstehen müsst. Ein Blick auf die Roadmap des Entwicklers verrät: Es sind noch zwei weitere Endgame-Systeme geplant. Wir haben uns bislang noch nicht mit diesem Bereich befasst, aber zumindest auf dem Papier klingt das alles schon mal sehr vielversprechend.
Eine Kampagne, die derzeit 15 und demnächst noch ein paar Stunden mehr beschäftigt, ist aber auch schon sehr ordentlich, zumal das Interesse groß ist, mehrere Charaktere zu erstellen. Denn dank der fünf Klassen und den vielen Spezialisierungsmöglichkeiten (dazu weiter unten mehr) ist der Wiederspielwert sehr hoch. Wir haben uns zu Beginn für den Sentinel, quasi den klassischen Krieger mit dicker Plattenrüstung entschieden und mit ihm einige Stunden gespielt. Aber recht schnell kam das Interesse auf, auch mal die anderen Charaktere wenigstens kurz auszuprobieren, die da wären Schurkin, Akolytin, Primalist und Magier.
Ein bisschen mehr Zufall hätt's sein dürfen
Die Kampagne von Last Epoch hat nur ein Problem: Sie ist komplett handgebaut. Das mag jetzt seltsam klingen, denn wieso sollte das denn ein Kritikpunkt sein? Nun ja, Last Epoch hat nicht wie Diablo 4 eine offene Spielwelt. Der Ablauf ist trotz einiger Nebenquests sehr linear, der rote Faden führt euch mit jedem Charakter auf gleichem Wege durch die vielen, wirklich sehr vielen Levels. Aber die sind halt in jedem Durchlauf komplett identisch. Nicht mal die Verteilung der Kisten oder Gegner ist zufällig.
Wer also mehrere Charaktere erstellt, wird die Gebiete irgendwann in- und auswendig kennen und das schmälert den an sich hohen Wiederspielwert ein wenig. Zudem fehlt in den ersten Stunden optische Abwechslung. Zwar seid ihr ganz zu Beginn noch in einer hübschen Waldregion unterwegs, aber dann kämpft ihr euch erst mal für eine lange Zeit durch sehr düstere Abschnitte, in denen manchmal Gegner nur schwer zu erkennen sind. Das wird irgendwann besser, aber es stellt anfangs eben doch eine Hürde dar und nicht jeder mag die Geduld haben, sie zu überwinden.
Das perfekte Skill-System
Letztendlich ist es aber doch höchst reizvoll, mehrere Charaktere zu erstellen, weil euch Last Epoch viele Möglichkeiten gibt, ganz individuelle Builds zu erstellen, ohne dabei so komplex wie Path of Exile zu sein. Erst mal die Grundlagen: Jede Klasse hat bis zu vier Talentbäume – im finalen Spiel werden es immer vier Stück sein, in der aktuellen Early-Access-Version fehlt bei Schurkin, Akolytin und Magier jeweils eine Spezialisierung. Anfangs steht euch nur der Baum eurer Grundklasse zur Verfügung. Nach ein paar Stunden kommt dann der Moment, an dem ihr euch für eine der Spezialisierungen entscheiden müsst. Auf die Talentbäume der anderen erhaltet ihr dann zwar auch Zugriff, jedoch nur jeweils auf deren untere Hälfte.
Wir haben aus unserem Sentinel einen Void Knight gemacht, der die Macht der Leere für seine eigenen Zwecke einsetzt. Als solcher macht er viel Schaden, entzieht sich mitunter aber auch selbst Lebensenergie. Die Alternativen sind der Paladin, der über Heilfähigkeiten verfügt, und der Forge Guard, der komplett in der Rolle des Tanks aufgeht. Allein schon, dass wir selbst als Void Knight auf Talente aus deren beiden Bäumen zugreifen können, erlaubt einiges an Variation.
"Ich mach' mir die Skills, widewide wie sie mir gefallen"
Es kommt aber noch besser: Ihr könnt maximal fünf aktive Skills ausrüsten. Das ist wenig, hat aber einen Grund. Last Epoch möchte, dass ihr euch eben auf fünf Fähigkeiten spezialisiert. Und deshalb hat jeder Zauber, jeder Spezialangriff, jeder Heilspruch und so weiter seinen eigenen Talentbaum. Genau wie in Path of Exile levelt ihr eure Skills auf, je öfter ihr sie einsetzt. Aber hier steigen nicht einfach deren Werte, sondern ihr bekommt jedes Mal einen Punkt, den ihr in passive Boni oder gar Modifikationen für die jeweilige Fähigkeit investiert. Ihr erhöht also nicht nur den Schaden oder das Angriffstempo, sondern verleiht den Skills auch neue Effekte, die teilweise auch an bestimmte Waffentypen gekoppelt sind.
Am Anfang könnt ihr nur eine Fähigkeit auf diese Weise verbessern und im Verlauf der Kampagne schaltet ihr im entsprechenden Menü die Slots für vier weitere frei. Neue Zauber und Co erlernt ihr übrigens recht linear: Die, die zu eurer Grundklasse gehören, bekommt ihr wie in Diablo 3 bei bestimmten Stufenaufstiegen, und für die, die einer Spezialisierung zugewiesen sind, müsst ihr bestimmte Mengen an Punkten in den jeweiligen Talentbaum investieren.
Wir finden das Skill-System von Last Epoch absolut großartig, weil es komplex ist und viele Optionen erlaubt, uns aber nicht so sehr erschlägt wie der riesige Talentbaum aus Path of Exile. Zudem ist es hier kein Problem, alles zurückzusetzen und Punkte neu zu verteilen beziehungsweise andere Skills zu wählen, auf die ihr euch fokussieren wollt. Im Hub-Level geht ihr einfach zu einem bestimmten NPC, zahlt ein Sümmchen (das immer weiter steigt, je öfter ihr eure Talentpunkte zurücksetzt) und dann bastelt ihr euch einfach einen neuen Build. Und dass ihr euch dabei eben nicht nur innerhalb der Klassentalentbäume, sondern auch auf bestimmte Fähigkeiten beziehungsweise Modifikationen von ihnen spezialisieren könnt, macht das Ganze noch genialer.
Kein Mangel an interessanter Beute
Eine fantastische Ergänzung zum Talent- und Fähigkeitensystem (wobei es natürlich so viel mehr als das ist), ist der Loot in Last Epoch. Klar, es ist ein Hack and Slay und als solches braucht es jede Menge Items, die ihr von besiegten Monstern erbeutet oder aus Schatztruhen herauszieht. Und ja, es gibt wirklich viele Gegenstände in den gewohnten Qualitäts- beziehungsweise Raritätsstufen, inklusive diverser einzigartiger Waffen und Rüstungsteile mit ganz besonderen Boni, die für unterschiedliche Builds geeignet sind und in angenehmem Rhythmus droppen (nicht zu häufig, aber auch nicht zu selten).
Zwar passiert es recht oft, dass ihr Objekte erhaltet, mit denen ihr nichts anfangen könnt, weil sie nicht zur Ausrichtung eures Charakters passen oder gar für eine andere Klasse bestimmt sind, aber wer eh mehrere Helden und Heldinnen spielt, freut sich dann eben über so manches gute Item, das er in seiner Lagerkiste für eine andere Figur aufbewahren kann.
Steuerung > Feeling
Selbst der beste Loot und die motivierendste Progression bringen am Ende nichts, wenn das Kern-Gameplay keinen Spaß macht. Last Epoch präsentiert sich hier aber von einer sehr ordentlichen, wenn auch nicht herausragenden Seite. Das Kampfgefühl ist längst nicht auf dem Niveau eines Diablo 3 oder Lost Ark (zu unserem Ersteindruck vom heiß erwarteten Action-MMORPG). Das Trefferfeedback ist den beiden Konkurrenten weit unterlegen – was aber nicht heißt, dass sich eure Angriffe nicht mächtig anfühlen. Wenn ihr etwa einen Feuerball auf einen Gegner schmeißt und der davon getötet wird, fliegt er ein paar Meter nach hinten. Zudem sind die Effekte von Zaubern ganz ansehnlich und wenn hohe Schadenszahlen, insbesondere die von kritischen Treffern aufpoppen, ist das schon befriedigend.
Viel wichtiger als das Gefühl ist aber eh, dass sich Last Epoch einfach fantastisch spielt. Die Steuerung mit der Maus ist ungemein flüssig, annähernd auf "Diablo 3"-Niveau und diesbezüglich etwa einem Path of Exile überlegen. Nichts fühlt sich hakelig an, weder die Bewegung noch der Kampf. Sehr schön ist auch, dass wie in Lost Ark Laufen und Angreifen nicht auf derselben Taste liegen: Die linke Maustaste ist zum Bewegen, die rechte für normale Attacken oder eben euren primären Angriffs-Skill. Auch die Benutzeroberfläche ist gelungen und glänzt mit Übersicht, wobei es hier alsbald umfassendere Änderungen geben wird. Speziell die Weltkarte soll gehörig überarbeitet werden, wobei die das auch gut vertragen kann, denn ihr mangelt es doch noch ein wenig an Übersichtlichkeit.
Solide Optik
Technisch ist Last Epoch solide. Die netten Effekte im Kampf haben wir schon erwähnt, zudem sehen die meisten Umgebungen ganz schick aus. Der Wald am Anfang der Kampagne etwa hat eine schöne Lichtstimmung und ist ziemlich detailliert, wobei jedoch auffällt, dass die Anzahl an Assets recht begrenzt ist. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass Last Epoch eben kein AAA-Produkt, sondern ein Indie-Projekt ist, das per Kickstarter finanziert wurde. Knapp 255.000 US-Dollar kamen dabei zusammen. Da ist es dann auch verschmerzbar, dass die Charaktermodelle und -animationen nicht auf der Höhe der Zeit sind. Immerhin gibt es aber eine beachtliche Anzahl an unterschiedlichen Gegnern – von Insekten über Bären, Riesenechsen bis hin zu allerlei Dämonenzeugs ist alles dabei, damit das Angebot an Feindtypen schön vielfältig ausfällt.
Auf der akustischen Ebene hinterlässt Last Epoch einen ebenso soliden Eindruck. Die Effekte im Kampf sind vielleicht nicht so gut gelungen, dass sie uns das Gefühl geben, mittendrin im Gemetzel zu sein, aber sie sind ok. Die orchestrale Musik gefällt uns sogar ziemlich gut und unterstreicht die Schnetzeltouren stets passend. Einzig und allein die Sprachausgabe ist ein Problem, denn … Nun ja, die gibt es quasi nicht. Sämtliche Dialoge in Last Epoch sind nicht vertont. Nun könnte man sagen: "Wenn ihr doch eh alles wegklickt, kann euch das doch egal sein." Andererseits würden wir vielleicht nicht jedes Gespräch durch wildes Geklicke abkürzen, wenn die Charaktere, zumindest die NPCs, wirklich sprechen würden und wir nicht so viel lesen müssten.
Einschätzung
Unseren Hunger nach Hack-and-Slay-Kost, den wir nach der BlizzConline verspürten, hat die Early-Access-Fassung von Last Epoch gestillt. Obwohl die Fertigstellung noch ein wenig auf sich warten lässt, ist es jetzt schon ein sehr rundes und umfangreiches Paket, mit dem ihr zahlreiche Stunden Spaß haben könnt. Es spielt sich geschmeidig, die Zeitreisethematik ist cool, die Klassen vielfältig, das Loot-System befriedigend und das Skill-System das Beste, was wir bislang in dem Genre erlebt haben. Ja wohl, es gefällt uns mehr als sein Pendant in Path of Exile!
Entscheidend wird sein, wie viel Langzeitmotivation und Abwechslung das Endgame in der finalen Fassung bieten und wie gut der Multiplayer funktionieren wird. Letzteres könnten wir derzeit nicht mal überprüfen, selbst wenn wir es wollten, denn Last Epoch hat noch keine Koop-Option. Die soll aber noch vor dem Ende der Early-Access-Phase ins Spiel kommen. Doch auch solo hatten wir bislang sehr viel Freude. Wer Action-RPGs mag und eben nach einem Mix aus der guten Spielbarkeit von Diablo 3 und dem Tiefgang von Path of Exile sucht, ohne erst ein Skill-System zwei Semester lang studieren zu müssen, wird schon jetzt sehr gut bedient.