Ausgeprägte Minispiele als Nebenbeschäftigung sind keine Seltenheit in Videospielen, aber nicht oft sind sie so genial wie Gwint aus The Witcher 3: Wild Hunt.
Die besten Features: Gwint aus The Witcher 3: Wild Hunt
Wir sind uns wohl alle einig, dass The Witcher 3: Wild Hunt ein moderner Klassiker ist, oder? Mit dem Abschluss der Rollenspieltrilogie hat sich der Entwickler CD Projekt RED 2015 einen Platz in der Riege der AAA-Studios gesichert. Wo das erste The Witcher noch ein ziemlich durchwachsenes Werk und Teil 2 ein beachtliches AA-Spiel gewesen ist, haben die Polen mit dem dritten Abenteuer rund um Hexer Geralt ganz große Ambitionen verfolgt und dabei einen Volltreffer gelandet. The Witcher 3 sah zum Release fantastisch aus (und ist auch heute noch sehr ansehnlich), es bietet eine wunderschöne Open World, erzählt eine spannende Geschichte und enthält einige der besten Nebenquests, die wir jemals absolviert haben.
Tja, und dann gibt es da noch Gwint (oder Gwent, wie es im Englischen heißt) – jenes Sammelkartenspiel, mit dem vermutlich jeder "The Witcher 3"-Spieler mehr Zeit verbracht hat, als es angesichts der Dringlichkeit, die Geralts eigentliche Mission hat (seine Ziehtochter Ciri finden, die von den bösen Geistern der Wilden Jagd verfolgt wird), angemessen wäre. Tja, was fällt CD Projekt RED auch ein, ein Minispiel einzubauen, das so fantastisch designt und so gut ins restliche Werk integriert ist, dass man völlig freiwillig jeden NPC zu einem Duell herausfordert, der einem die Möglichkeit dazu bietet?
Minispiele nehmen wir immer gerne, aber Gwint ist der König
CD Projekt RED ist längst nicht das erste Entwicklerteam gewesen, das ein solches Minigame (wobei der Begriff angesichts des Umfangs von Gwint gar nicht mal so passend ist) als Nebenaktivität in einem großen Spiel auserkoren hat. Schon die alten "Final Fantasy"-Teile haben mit es so etwas gepunktet. In Final Fantasy VII gibt es mit dem Gold Saucer einen Vergnügungspark, in dem ihr allerlei Minispiele zocken könnt, wobei die wahrlich nur kleine Spielchen für zwischendurch sind, sei es nun Basketball oder Armwrestling. Anders verhält es sich mit Triple Triad aus Final Fantasy VIII, das wie Gwint ein ausgeprägtes Kartenspiel ist.
Ansonsten erinnern wir uns noch gut daran, wie wir in Red Dead Redemption viel Zeit beim Pokern verbracht haben. Und wenn es um Minigames in Spielen geht, darf die Yakuza-Reihe nicht unerwähnt bleiben, von der jeder Teil eine gigantische Menge an unterhaltsamen Nebenbeschäftigungen wie Bowling, Billard und noch vieles mehr bietet. Gwint in The Witcher 3: Wild Hunt kann also nicht als Innovation bezeichnet werden. Trotzdem widmen wir ihm eine Ausgabe unserer Artikelreihe zu den besten Features aller Zeiten und nicht einem der anderen genannten Beispiele. Der offensichtlichste Grund dafür: Gwint ist schlicht eines der, wenn nicht sogar das genialste Minispiel, das uns jemals begegnet ist.
Perfekt austariert und toll ins restliche Spiel eingebettet
Das Spielprinzip ist schnell erklärt: Zwei Spieler treten mit eigenen Decks, die jeweils eine Armee darstellen, gegeneinander an. Jedes Match besteht aus mindestens zwei, maximal drei Runden. Wer zuerst zwei Siege erringt, gewinnt. Ziel in jeder Runde ist es, genug Einheitenkarten aufs Feld zu legen, um einen höheren Punktewert zu erreichen als der Kontrahent. Die Einheiten haben unterschiedliche Werte und teilweise auch noch Spezialfähigkeiten. Außerdem sind sie in drei Kategorien unterteilt: Nah- und Fernkämpfer sowie Belagerungswaffen. Zusätzlich gibt es noch Wetterkarten, die alle Einheiten einer bestimmten Kategorie schwächen, sowie Sonderkarten mit verschiedenen Effekten.
Die Regeln von Gwint hat man schnell verinnerlicht. Das Spiel ist leicht zu erlernen, aber schwierig zu meistern und befindet sich auf der Komplexitätsskala in der goldenen Mitte zwischen "Viel zu seicht" und "Holla die Waldfee, besser du studierst erst mal stundenlang das Regelwerk, bevor du auch nur gedenkst, eine Runde zu zocken". Für eine Nebenaktivität in einem epischen Rollenspiel, in dem man sich primär mit ganz anderen Dingen beschäftigt, ist das perfekt. Eine Partie Gwint dauert auch nie sonderlich lange, sondern nur wenige Minuten. Das verleitet umso mehr dazu, zwischen all den Kämpfen gegen wilde Monster und der Detektivarbeit eines Hexers hin und wieder beim Kartenspielen zu entspannen. Die Krönung des Ganzen: Gwint ist so vollkommen eigen. Es ist keines der unzähligen Kartenspiele, die irgendwie auf der Grundidee von Magic: The Gathering basieren, sondern spielt sich erfrischend anders.
CD Projekt RED hat sich aber nicht nur ein tolles Spielprinzip ausgedacht, sondern Gwint auch wundervoll in das Gesamtkonstrukt von The Witcher 3: Wild Hunt integriert. Zwar könnt ihr nicht alle NPCs in der Spielwelt zu Duellen herausfordern, aber es ist eben nicht so, dass es in jeder Siedlung bloß den einen Gwint-Spieler gibt, der auch noch mit einem Extra-Icon auf der Karte markiert ist. Stattdessen stolpert ihr immer wieder über Questgeber und Händler, bei denen euch auffällt, dass es auch die Dialogoption gibt, sie zu einer Partie einzuladen. Obendrein findet ihr manchmal beim Erkunden der Welt neue Karten für euer Deck und es gibt sogar richtige Quests, die sich rund um Gwint drehen.
Vom Bei- zum Hauptwerk – und das dreifach!
The Witcher 3: Wild Hunt ist allgemein sehr gut bei den Spielern weltweit angekommen, aber dass insbesondere Gwint es ihnen angetan hat, beweist der weitere Umgang CD Projekts mit dem Kartenspiel. Denn heutzutage könnt ihr Gwint längst nicht nur in The Witcher 3 zocken. Mittlerweile gibt es drei Titel, die es in den Mittelpunkt rücken, allen voran natürlich Gwent: The Witcher Card Game. Das Free-to-Play-Spiel ist seit fast vier Jahren auf dem Markt und auch wenn es sicherlich längst nicht so ein durchschlagender Erfolg wie Blizzards Hearthstone ist, scheint es eine treue Community zu haben. Es wird schließlich immer noch aktiv weiterentwickelt.
2018 hat es CD Projekt RED aber nicht nur ermöglicht, Gwint online gegen andere zu zocken, sondern auch ein Singleplayer-Abenteuer rund um das Kartenspiel veröffentlicht. Thronebreaker: The Witcher Tales sollte ursprünglich mal eine kostenpflichtige Erweiterung für Gwent: The Witcher Card Game werden, wurde dann aber doch zu einem komplett eigenständigen Rollenspiel, in dem ihr in die Haut von Königin Meve schlüpft und eine spannende Kriegsgeschichte erlebt. Hier erkundet ihr die Welt jedoch nicht aus der Third-Person-Perspektive, sondern blickt aus der Luft auf die schön gezeichnete Spielwelt. Gwint ist nicht Teil der Story, stattdessen dient sein Prinzip als Kampfsystem und das funktioniert hervorragend. Wer Thronebreaker noch nicht gespielt hat, sollte das unbedingt nachholen. Das circa 30 Stunden lange Abenteuer ist wirklich fantastisch – und kostet gerade mal 20 Euro.
Weniger gut gelungen ist leider das erst im vergangenen Juli erschienene Gwent: Rogue Mage, das das Kartenspiel in ein Rogue-like-Gewand hüllt. Sowohl bei den Steam-Nutzern (nur 57 Prozent positive Reviews) als auch den professionellen Kritikern (der Metascore liegt bei gerade mal 72) kommt es eher mittelprächtig an. Tja, scheinbar ist nicht alles Gold, was Gwint enthält. Das ändert aber nichts daran, dass das Kartenspiel selbst hervorragend ist – und es auch gerne in The Witcher 4 wieder mit von der Partie sein darf.