Horrorspiele sind nichts für jedermann. Die Gründe dafür machen aber genau die Faszination des Genres aus.
Der Reiz von Horrorspielen: Warum fürchten wir uns so gern?
Wir sind an Bord der USG Ishimura: einem großen Bergbauschiff, das ein Notrufsignal gesendet hat. Als Kommunikationsingenieur Isaac Clarke sollen wir eigentlich nur die Anlagen des Raumschiffs reparieren, zu dem der Kontakt abgebrochen ist. Doch recht schnell wird klar, dass das hier kein normaler Job wie jeder andere wird. Kaum auf der Ishimura angekommen, müssen wir dabei zusehen, wie einige unserer Begleiter von einem grauenerregenden Monster zerfleischt werden. Von da an ist klar: Dieses Abenteuer wird ein Höllenritt – und wir haben richtig Bock drauf.
So lassen sich die ersten Minuten im Horrorspiel Dead Space von Electronic Arts zusammenfassen. 2008 zeigte sich der Publisher nicht nur erstaunlich experimentierfreudig (dieses Vorgehen gab der Konzern leider sehr schnell wieder auf), er wollte uns auch so richtig das Fürchten lehren. Und wir haben Dead Space dankend angenommen. Das düstere Sci-Fi-Abenteuer heimste eine hohe Wertung nach der anderen ein und war eines der besten Spiele jenes Jahres.
Und es ist bei weitem nicht das älteste Beispiel dafür, wie gut Horrorspiele beim Publikum ankommen – auch dann noch, wenn sie wie Dead Space extremst brutal sind. Der Titel entkam damals nur knapp der Indizierung. Da wären noch die ganzen „Resident Evil“-Teile zuvor, die ersten drei „Silent Hills“-Spiele, die Ego-Shooter F.E.A.R. und Doom 3 sowie Aliens vs. Predator 2.
Die Frühphase des virtuellen Horrors
Horrorspiele gibt es aber nicht erst seit den Neunzigern. Die Liste reicht bis in die Anfangstage der Videospiele. Das Magnavox Odyssey, die erste Spielkonsole der Welt, erschien 1972 in einem Paket mit mehreren Spielen, darunter Haunted House – das erste Horrorspiel. Zwei Spieler treten dabei gegeneinander an. Einer muss als Detektiv alle Hinweiskarten auf dem Spielfeld einsammeln, ohne dabei vom Geist, den der Gegenspieler gesteuert hat, gefangen zu werden.
Zugegeben, Haunted House war bereits damals nicht wirklich gruselig – nicht mal so sehr aufgrund der sehr simplen Grafik, sondern viel mehr wegen des Multiplayer-Aspekts. Jenes Spielprinzip könnte heutzutage für ein Minigame in einem Mario Party herhalten. Wirklich schaurig wurde es erst Anfang der Achtziger, beispielsweise in Nostromo für den Commodore PET und den PC-6001. Darin muss der Spieler aus einem Raumschiff entkommen, ohne dabei von Aliens erwischt zu werden. Der Haken: Die gefährlichen Außerirdischen werden nur dann sichtbar, wenn sie vor dem Spieler stehen. Eine Möglichkeit, sich gegen die Monster zu wehren, gibt es nicht.
Der Survival-Horror wird geboren
In den Achtzigern waren Entwickler von Horrorspielen recht aktiv. Vor allem Lizenzumsetzungen erfolgreicher Horrorfilme wie „Texas Chainsaw Massacre“, „Halloween“ oder „Alien“ gab es in hoher Stückzahl. Der klassische Survival-Horror, wie wir ihn heute kennen, kam jedoch erst im Nachfolgejahrzehnt auf. 1992 machte Alone in the Dark den Anfang. Als Privatdetektiv Edward Carnby (oder Emily Hartwood) erkundet der Spieler das Herrenhaus eines berühmten Künstlers, der sich im Jahr 1923 erhängt hat. Angeblich lastet ein übler Fluch auf der Villa und das gilt es zu ergründen.
Alone in the Dark war ein Verkaufserfolg und startete eine Welle von Survival-Horror-Spielen, auch wenn jener Begriff erst vier Jahre später von Resident Evil etabliert wurde. Das Werk des französischen Entwicklers Infogrames legte aber eben den Grundstein für Capcoms erfolgreiche Marke sowie für Parasite Eve, Dino Crisis und den größten Resi-Konkurrenten: Silent Hill.
Der erste Teil erschien 1999 und schaffte es dank eines Grafikkniffs besonders viel Grusel aufkeimen zu lassen: Die Entwickler bei Konami setzten einen Nebeleffekt ein, um die technischen Limitierungen auf der PlayStation zu kaschieren (niedrige Weitsicht, nachladende Texturen und Objekte). Sowohl Kritiker als auch Fans waren der Meinung, dass das dem Spiel nur guttat. Der Nebel verstärkte die düstere Atmosphäre und ist heutzutage sowohl das Markenzeichen der Reihe als auch der namensgebenden Kleinstadt selbst.
Das neue Jahrtausend steckt bis dato ebenfalls voller großartiger Erlebnisse für Horrorfans. Ein paar Spiele wie Dead Space und F.E.A.R. haben wir bereits erwähnt, aber auch weniger bekannte Titel wie Eternal Darkness für den GameCube und die „Projet Zero“-Reihe (Fatal Frame in den USA) sicherten sich Plätze in der ewigen Horrorspielbestenliste. Im aktuellen Jahrzehnt bekamen wir Highlights wie Amnesia, Layers of Fear, Until Dawn und Alien: Isolation serviert. Und natürlich hat uns auch Naughty Dogs The Last of Us so manchen Schauer über den Rücken gejagt.
Faszination Horror
Die spannende Frage ist: Warum bereiten uns diese Horrorspiele eigentlich so viel Spaß? Immerhin lässt sich nicht behaupten, dass das, was diese Titel für gewöhnlich zeigen, etwas Schönes ist. Horrorspiele sind wie Horrorfilme oftmals unangenehm, setzen uns unter Druck, können psychisch belasten und sind obendrein häufig brutal. Daher spalten sie das Publikum wie kaum ein anderes Genre.
Auch wenn man nicht meinen würde, dass Horrorspiele Mainstream-tauglich seien, so verkauften sich insbesondere die „Resident Evil“-Spiele jeweils millionenfach. Woran liegt das? Warum sind diese Gruselerlebnisse so reizvoll für uns? Man könnte sich mit dem Thema nun auf wissenschaftlicher Ebene befassen und über so Dinge wie Katharsis sprechen (das Ausleben innerer Konflikte und verdrängter Emotionen, um sie zu reduzieren), aber machen wir euch nichts vor: Wir sind keine Wissenschaftler und mussten jenen genannten Begriff selbst googlen.
Spannung dank Unvorhersehbarkeit
Der Spaß an Horrorspielen lässt sich vor allem an einem Begriff festmachen: Nervenkitzel. Klar, den spüren wir auch in so manchem normalen, nicht gruseligen Actionspiel. Man denke nur an die berühmte Tschernobyl-Mission aus Call of Duty 4: Modern Warfare, die hat unsere Nerven ganz schön doll gekitzelt. Aber Horrorspiele machen es auf eine besondere Art und Weise. In reinen Actiontiteln entsteht die Spannung hauptsächlich durch die spielerische Herausforderung. In einem typischen „Call of Duty“-Level (besagter Tschernobyl-Abschnitt ist nicht so einer) schießen ganz viele Gegner auf euch und ihr versucht, sie alle zu töten, ohne selbst ins Gras zu beißen.
In einem Horrorspiel entsteht die Spannung nicht nur daraus, dass ihr versucht, am Leben zu bleiben. Eine sehr wichtige Rolle spielt dabei die Unvorhersehbarkeit in manchen Situationen. Ein gutes Horrorspiel schafft es immer wieder, euch zu überraschen. Und damit meinen wir nicht irgendwelche billigen Jumpscares, die euch zwar erschrecken, aber in etwa so viel Angst erzeugen wie die Geisterbahn auf einer Dorfkirmes. Das eingangs erwähnte Dead Space zum Beispiel spielt sehr stark mit seiner Soundkulisse und legt euch immer wieder rein. Es gibt oft genug Momente, in denen euch suggeriert wird: „Achtung, gleich kommt ein Necromorph!“ Und dann taucht aber doch keines der abscheulichen Monster auf. Dadurch wirken die Szenen, wenn ihr dann doch angegriffen werdet, umso effektiver.
Eine KI auf dem Regiestuhl
Ein anderes Beispiel, zufälligerweise aus demselben Erscheinungsjahr wie Dead Space, ist Left 4 Dead. Der Zombie-Koop-Shooter mag vielleicht nicht gruselig sein, ein Horrorspiel ist es aber ohne jeden Zweifel. Großen Anteil daran hat der sogenannte AI-Director: eine KI, die dafür sorgt, dass die Untoten stets an unterschiedlichen Stellen auftauchen, die Gegnermengen immer verschieden sind und ihr ständig von den Spezialzombies wie dem Boomer oder der Witch überrascht werdet. Das erhöht nicht nur den Wiederspielwert, sondern sorgt in jeder Partie für neue spannende Situationen, auf die ihr euch nicht exakt vorbereiten könnt. In einem Spiel, wo feste Scripts das Sagen haben, kennt ihr die Levels irgendwann auswendig. In Left 4 Dead kann euch das nicht passieren, weshalb ihr euch auch nie so wirklich sicher fühlen könnt.
Nun ist Left 4 Dead aber auch ein Sonderfall. In Resident Evil zum Beispiel kommen viele feste Scripts zum Einsatz. Erinnert euch nur an den ersten Teil und die Szene, in der die Hunde durch die Fensterscheibe springen! Diese Sequenz bekommt jeder Spieler zu sehen, der Resident Evil bis dahin spielt. Sobald ihr einen bestimmten Punkt im Level erreicht, wird der „Schalter“ umgelegt und die Köter jagen euch einen großen Schrecken ein (zumindest beim ersten Mal). Dennoch ist es ja nicht so, als hätte irgendwer diese Situation vorhergesehen.
Die Dosis macht’s aus
Ja, in schlechten Horrorspielen ist es wie in schlechten Gruselfilmen: Da sieht man die Jumpscares sich schon von weitem anschleichen, weil sie die ganze Zeit auf jeden metaphorischen Zweig treten, den sie erwischen können. Im Verlauf der Zeit haben sich eben Muster herausgebildet, die auch heute noch immer wieder abgespult werden. Irgendwann war der Spiegeltrick (einmal hineinschauen, nichts sehen, kurz wegschauen, dann wieder hinsehen und sich vor irgendwem oder irgendwas erschrecken) eben durchgenudelt.
Gute Horrorspiele spielen mit unserer Angst, so wie es ein Dead Space macht. Purer Terror, wie ihn manche Spiele verbreiten, zum Beispiel Outlast 2, mag bei manchen Personen funktionieren, ist aber eigentlich ziemlich billig. Uns hinter jeder Ecke mit einem Monster, einem durchgeknallten Psychopathen mit Kettensäge oder was auch immer zu erschrecken, das kann jeder. Die große Kunst ist es eben, den Horror gut dosiert einzusetzen und vielleicht auch mal etwas subtiler vorzugehen. Wir lassen uns gerne schocken, aber es muss nicht immer ein lauter Knall oder eine Kreatur sein, die aus einem Schrank herausgesprungen kommt. Manchmal reicht allein schon die Geschichte eines Spiels aus, um in uns ein Unwohlsein hervorzurufen. Und oftmals ist das Kopfkino, das sich in unserem Hirn abspielt, schauriger als irgendwelche expliziten Szenen auf dem Bildschirm.
Manchmal braucht man eben eine Pause
Ein weiterer wichtiger Punkt, der für Horrorspiele spricht: das erlösende Gefühl, wenn wir es dann doch mal an einen sicheren Ort schaffen. Resident Evil gelingt das zum Beispiel sowohl in den älteren Teilen als auch dem siebten richtig gut. Da werdet ihr von Daddy Baker verfolgt, der euch nur zu gern aufschlitzen würde. Ihr wisst ganz genau, dass ihr ihn nicht besiegen könnt. Entweder schleicht ihr euch durch das schaurige Haus der Familie und hofft, nicht gesehen zu werden, oder ihr rennt die ganze Zeit über vor dem Kannibalen weg.
Wenn ihr es dann schafft, die Passage lebend zu überstehen und in eines der Speicherzimmer zu gelangen, weicht der ganze vorherige Druck der puren Erleichterung. Denn nun könnt ihr nicht nur euren Spielstand sichern und vielleicht sogar noch etwas Munition und ein paar Heilkräuter einsammeln, ihr dürft auch erst mal durchatmen. Denn ihr habt die Gewissheit, dass euch in diesem Raum nichts passieren kann.
Alan Wake von Remedy Entertainment hat es ähnlich gut gemacht: Hier lauft ihr oftmals (leider zu oft) durch den dunklen Wald und werdet die ganze Zeit über von Schattenwesen verfolgt, die euch ans Leder wollen. Umso schöner sind die Momente, wenn ihr in der Nähe einer Straßenlaterne oder einer anderen Lichtquelle seht. Wir erinnern uns nur zu gerne daran, wie wir schnell in Richtung einer Lampe sprinteten, von einer Handvoll Gegnern verfolgt, dem Tode nahe waren und dann noch rechtzeitig im beleuchteten Bereich standen, wo uns die Schattenwesen nicht erwischen konnten. Und im Idealfall fanden wir dort auch direkt neue Munition oder Batterien für unsere Taschenlampe, die in Alan Wake essenziell ist, um Gegner zu bekämpfen.
Gewalt ja, aber nicht zum Selbstzweck, bitte
Ja, wir geben es zu: Manchmal ist auch der hohe Gewaltgrad ein Anreiz dafür, ein Horrorspiel zu spielen. Nicht, weil wir es per se geil finden, wenn Gliedmaßen durch die Gegend fliegen und Gedärme die für sie vorgesehenen Positionen verlassen, während der rote Körpersaft den Boden überschwemmt. Es ist es eben dieses Gefühl, etwas Verbotenes, Tabubrechendes zu sehen, auch wenn selbst die brutalsten Spiele heutzutage in Deutschland kaum noch indiziert werden (und eine Indizierung hat ja auch nichts mit dem Verbot eines Werks an sich zu tun).
Darüber hinaus unterstreicht drastische Gewaltdarstellung eben, wie unangenehm die Situationen in Horrorspielen für deren Protagonisten sind. Wenn ein Serienmörder einen Charakter abstechen würde und dabei nicht mal Blut zu sehen wäre, würde das der Atmosphäre schaden. Der Tod jener Figur sähe zu harmlos aus und hätte somit eine geringere Auswirkung auf uns, als wenn sie am Ende blutüberströmt, vielleicht sogar mit heraushängenden Gedärmen auf dem Boden liegen würde.
Klar, mit solch heftigen Bildern verschreckt ein Entwickler einen Großteil des Publikums. Aber wer ein Horrorspiel entwickelt, visiert eh von vornherein nicht den Massenmarkt an. Und dann sollte man auch keine Kompromisse eingehen, solange dabei am Ende ein stimmiges Gesamtwerk herauskommt, bei dem die Gewalt immer in einem passenden Kontext passiert. Denn natürlich soll sie nicht zum Selbstzweck verkommen, sondern immer sinnvoll in die Geschichte eingebunden sein und deren Dramatik unterstreichen. Es ist eben genau wie mit Antikriegsfilmen: Die funktionieren auch nicht, wenn der Tod von Soldaten auf die möglichst harmloseste Art dargestellt wird.
Spaß am Unangenehmen
Horrorspiele sind einfach etwas Besonderes. Die meisten anderen Genres rufen in uns in der Regel vermehrt positive Gefühle hervor. Sie sind teilweise lustig, entführen uns in wunderschöne Welten, überschütten uns mit Erfolgsmomenten. Horrorspiele hingegen machen uns Angst, versetzen uns in Panik, konfrontieren uns am laufenden Band mit unangenehmen Situationen. Und es ist verdammt seltsam, dass wir sie genau für die Dinge lieben, die wir im realen Leben niemals erfahren wollen. In der Virtualität können sie aber eben sehr viel Spaß machen – genau wie Kriegs-Shooter, die alten Need for Speeds mit ihren illegalen Straßenrennen oder Survival-Spiele. Oder sind die darin behandelten Themen etwa Sachen, die ihr im echten Leben unbedingt mal erleben wollt?