Autor: Ahmet Iscitürk
Schon ewig versucht man uns Cloud Gaming als die ultimative Spielezukunft zu verkaufen, aber irgendwie will das Ganze nicht so recht klappen…
Autor: Ahmet Iscitürk
Schon ewig versucht man uns Cloud Gaming als die ultimative Spielezukunft zu verkaufen, aber irgendwie will das Ganze nicht so recht klappen…
Cloud Computing hat sich in den vergangenen Jahren zum Eckpfeiler unserer digitalen Existenz entwickelt. Wir arbeiten ganz selbstverständlich mit Dateien oder Programmen, die nicht auf unseren Geräten, sondern auf weit entfernten Servern lagern. Da ich nicht sehr intelligent bin, kommt mir das Ganze wie Magie vor. Ich verstehe das Konzept, habe aber keine Ahnung wie so etwas reibungslos funktionieren kann. Ohne Dropbox oder Office Online könnte ich jedenfalls nicht mehr leben und vielen anderen Menschen geht es genau so. Ganz anders sieht es aber beim Thema Cloud Gaming aus. Kein Schwein scheint sich dafür zu interessieren. In Deutschland könnte es damit zusammenhängen, dass wir im Internet vergleichsweise langsam unterwegs sind. Im weltweiten Ranking liegt Germany gerade mal auf Platz 26, mit durchschnittlich 13,7 Mbit/s. Um Spiele in angemessener Qualität und ohne Input-Lag zu streamen, reicht das nicht wirklich aus.
Weltweit sollte es aber genügend Gamer mit ordentlicher Breitbandverbindung geben und obwohl ich in Deutschland lebe, stehen mir 200 Mbit/s zur Verfügung. Ich kenne diverse Gamer mit ähnlich schnellen Leitungen, aber keiner von ihnen nutzt Cloud-Gaming-Dienste. Ich bin tatsächlich der Einzige in meinem Bekanntenkreis. Es hat also nicht nur mit mangelnder Geschwindigkeit zu tun. Apropos: Es gibt hier zu Lande tatsächlich ganze Ortschaften, die bisweilen keinen Bock auf schnelles Internet hatten und daher beim modernen Glasfaserausbau hinterherhinken, wie aktuell noch Zorneding in der Nähe von München, zum Beispiel. Vielleicht gilt ja beim Surfen und Downloaden auch die Devise: Der Weg ist das Ziel.
Zurück zum Thema: Das finnische Unternehmen G-cluster hat bereits 2005 einfach gestrickte Casual Games in die Haushalte gestreamt. Das ist jetzt 12 Jahre und diverse Evolutionsstufen her und trotzdem hat es Cloud Gaming nicht aus seiner Nische geschafft. Warum? Was ist schief gelaufen? Ich diskutiere häufig mit Kollegen darüber und dabei hat sich folgende Erkenntnis herauskristallisiert: Meine Kollegen sind genau so doof wie die Betreiber der Cloud-Gaming-Dienste.
Das Problem beginnt bereits damit, dass Cloud-Gaming-Gegner immer von „Entweder … oder“-Szenarien sprechen. Das war damals schon so, als Download-Shops wie Steam oder Gamesload geboren wurden. Offenbar können sich die Scheuklappenträger keine Koexistenz von stationärem Handel, Download-Shop und Cloud-Gaming-Dienst vorstellen. Ich will aber gar nicht abstreiten, dass es valide Argumente gibt, die gegen Cloud Gaming sprechen. Zum Beispiel existieren da draußen nicht wenige Menschen, die ihre Spiele „physisch besitzen“ möchten. Einen Stream kann man sich ja nicht ins Regal stellen.
Dieses Argument muss man genau so gelten lassen wie das Folgende: „Ich kann jederzeit ein 20 Jahre altes Spiel aus dem Regal ziehen und sofort zocken, ganz ohne Internet-Anbindung! Mit Cloud Gaming geht das nicht.“ Wobei es gar nicht so einfach ist, ein 20 Jahre altes Spiel aus dem Regal zu ziehen und sofort durchzustarten. Ein 20 Jahre alter PC-Titel ist höchstwahrscheinlich nicht mit der aktuellen Windows-Version kompatibel und ein Konsolenspiel setzt voraus, dass die entsprechende Uralt-Konsole mit dem TV verbunden ist. Gerade in so einem Fall wäre Streaming doch die einfachste Lösung. Stellt Euch vor, ihr hättet mal wieder Bock auf das N64-Spiel Blast Corps. Ich wäre viel zu faul, den alten Modultoaster wieder aufzubauen. Ok, Emulatoren sind eine bequeme Alternative, aber rechtlich nicht ganz unbedenklich. Ich würde eine Nintendo-App für den Smart TV bevorzugen, mit der sich N64-Klassiker streamen lassen. Und wenn die Internet-Verbindung abbricht? Tja, dann hat man tatsächlich Pech gehabt. Doch wann hattet Ihr zuletzt einen richtigen Internet-Ausfall?
Damit das nicht zu einer Textwüste ausartet, fasse ich alle Negativ-Punkte schnell mal zusammen: Cloud Gaming ist Scheiße, weil man dafür stets eine funktionierende Highspeed-Leitung braucht und die Spiele nicht ins Regal stellen kann. Außerdem ist Cloud Gaming doof, weil meine Spiele futsch sind, wenn der Cloud-Gaming-Service den Betrieb einstellt oder keine Lust mehr hat, mein Lieblingsspiel zu hosten. Ein weiteres Manko sind die Preise und das Angebot. Für seinen Streaming-Service Geforce Now verlangt Nvidia aktuell 9,99 € monatlich und obwohl das Spieleangebot sehr überschaubar ist, sind nicht mal alle Titel im Preis inbegriffen. Für die aktuelleren Titel muss man nochmal in die Tasche greifen und zwar sehr tief. Auch Anbieter GameFly hat keine aktuellen Blockbuster im Angebot und generell zu wenig Titel im Programm.
Die Cloud-Gaming-Dienste sind also zu teuer und nicht aktuell genug. Hardcore-Gamer wollen Spiele sofort ab Erscheinungsdatum zocken und nicht erst Monate warten. Warum ich es trotzdem geil finde? Ich versuche alle guten Games zu zocken, aber der Tag hat nur 24 Stunden und deshalb wurde mein Stapel der Schande immer größer. Also hab ich den Stapel einfach verkauft, denn dank Cloud Gaming gibt es für seine Existenz keinen Grund mehr. Was liegengeblieben ist, wird irgendwann über die Cloud gezockt. Mit Nvidia Shield TV und der Geforce-Now-App spiele ich aktuell The Witcher 3 in Top-Qualität auf dem TV meiner Freundin. Ganz ohne Gaming-Rechner oder Konsole und ich muss nicht jedes mal fünf Patches installieren, bevor ich ein Spiel starte.
Meine aktive Gaming-Ausstattung zu Hause besteht aus einem dicken Windows PC, einer PS4 Pro, Xbox One, Nintendo Wii U, diversen VR-Systemen und Handhelds. Alles frisst Strom, kostet Platz und zieht Staub magisch an. Außerdem liegen überall Eingabegeräte herum: Steam Controller, Xbox Elite Controller, PS4-Controller, Move-Controller, Oculus Touch, Vive-Controller und nun auch noch Nintendo Switch. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie viele Tonnen Elektroschrott pro Jahr nur für uns Gamer produziert werden. Cloud Gaming spart Strom und Ressourcen, ist besser für die Umwelt und sorgt für ein aufgeräumtes Zuhause.
Seid Ihr noch wach? Der Text klingt bisher doch ganz vernünftig und nett, oder? Die Bombe habe ich mir nämlich für den Schluss aufgehoben. Es wird keine friedliche Koexistenz geben, zumindest nicht auf lange Sicht. Aktuell laufen Playstation Now, Geforce Now und Co zwar auf Sparflamme, aber davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Sie lauern im Gebüsch wie Raubtiere, die auf den perfekten Moment für einen Angriff warten. Das war beim Thema Spiele-Download nicht anders. Sony und Microsoft verdienen deutlich mehr, wenn sie ihre Games direkt über PSN und Xbox Live verscherbeln. Media Markt und Gamestop wollen schließlich auch ein Stück vom Kuchen und von Werbekostenzuschüssen oder Point of Sale-Marketingkosten will ich gar nicht anfangen. Allerdings brauchen sie den stationären Handel heute noch, um ihre Hardware in Umlauf zu bringen.
Im Endeffekt geht es seit Jahren darum, den Zwischenhändler loszuwerden und Cloud Gaming ist quasi das letzte Puzzle-Stück. Wenn Sony, Microsoft und Co keine Konsolen mehr verkaufen müssen, weil ihre Cloud-Gaming-Dienste auf sämtlichen TVs, Tablets und Notebooks installiert werden können, wird der Zwischenhändler gekillt. Keine Hardware bedeutet übrigens auch, dass keine teure Hardware-Entwicklung mehr stattfinden muss. Cloud Gaming wird den Herstellern unglaublich viel Kohle sparen, aber ich wage zu bezweifeln, dass für uns deshalb ein Preisvorteil entsteht. Schließlich zahle ich heute bei Media Markt 57 € für die PS4-Version von Resident Evil 7, während im PSN-Store für den Download 69 € aufgerufen werden. Der Download kostet also mehr, obwohl eigentlich das Gegenteil der Fall sein sollte.
Ich spiele heute bereits in der Cloud, damit mir der erzwungene Wechsel später nicht so wehtut und Ihr solltet auch langsam damit anfangen, denn es lässt sich sowieso nicht mehr abwenden.
Ahmet Iscitürk schreibt seit 1998 über Spiele und vieles mehr. Seine Texte sind schlecht und er schämt sich dafür.
Web: www.texteatme.com
Twitter: @SchweinOfLove
Podcast:
Bildquellen: gamefly.com, nvidia.de, playstation.com, residentevil7.com