Sonic hat eine bewegende Historie, die sowohl richtig gute als auch besonders schlechte Spiele umfasst.
Sonic the Hedgehog: Aufstieg und Fall eines Igels
Die Geschichte von Stars, die einen schnellen Aufstieg erleben, auf den irgendwann ein Absturz folgt, ist eine, die sich im Laufe der Jahrzehnte immer wiederholt hat. Man denke nur an Whitney Houston, Amy Winehouse oder Macaulay Culkin. Gut, Letzterer lebt im Vergleich zu den beiden Sängerinnen noch, aber nach seinem raschen Aufschwung als Kinderdarsteller in Hollywood ging es schnell bergab. Der Erfolg blieb aus, der Dogenkonsum nicht. Ob Sonics Privatleben ähnlich aussieht? Der blaue Igel hat es in den vergangenen Jahren sehr schwer gehabt. Kaum eines seiner jüngeren Spiele war ein Hit, das kann sich doch nicht gut auf seine Psyche auswirken. Könnte es nochmal mit ihm bergauf gehen?
Dürfen wir vorstellen: Mr. Needlemouse
Die Älteren werden sich noch daran erinnern, dass SEGA mal eine der größten Videospielfirmen der Welt war. In den Achtzigern und Neunzigern war das japanische Unternehmen der ärgste Konkurrent von Nintendo, speziell in der Zeit von NES und SNES beziehungsweise Master System und Mega Drive. Letztere war die erfolgreichste Konsole von SEGA und das hatte sie sicherlich auch dem ersten Sonic the Hedgehog von 1991 zu verdanken. Das Jump and Run sollte nicht nur ein System Seller werden, sondern auch das neue Firmenmaskottchen etablieren.
Heutzutage sind SEGA und Sonic in unseren Köpfen nicht voneinander zu trennen, genau wie Nintendo und Super Mario. Aber das war nicht immer so. In den Achtzigern war Alex Kidd das Maskottchen des Konsolen- und Videospielherstellers: ein kleiner außerirdischer Junge mit großen Ohren und einem rot-gelben Overall. Nein, wirklich cool war das sicherlich nicht. Und Nintendo hatte mit Mario einen so ikonischen Charakter, dem musste SEGA doch irgendwas Besseres entgegensetzen. Also machte sich der Designer Naoto Ōshima, der zuvor an Phantasy Star gearbeitet hatte, ans Werk und erschuf Sonic. Anfangs sollte der Charakter aber noch ganz anders heißen: Mr. Needlemouse war der ursprünglich vorgesehene Name für den blauen Igel mit roten Turnschuhen. Man stelle sich mal vor, SEGA wäre dabei geblieben. Ob die Figur dann so beliebt und die Spiele so erfolgreich geworden wären?
Die Schöpfer erkannten, dass Mr. Needlemouse zu lang, nicht einprägsam genug war (vielleicht auch, dass das einfach nicht cool klang). So kam es, dass der neue Star am Videospielhimmel auf den Namen Sonic getauft wurde. Sein Beiname erklärt sich schlicht anhand der Tierspezies, der er angehört: Auf Deutsch heißt Hedgehog schließlich Igel.
Früher war alles besser
Sonic war in seiner ersten Version relativ dick. Zumindest der Bauch hatte einen größeren Umfang als in späteren Epochen. Das sollte ihn aber nicht daran hindern, seine Spezialfähigkeit voll auszunutzen: Sonics Markenzeichen war und ist seine Geschwindigkeit. Im Vergleich dazu läuft und hüpft Mario fast schon so behäbig wie ein vollgefressener Panda durch die Gegend. Deshalb spielen sich die Sonic-Spiele so komplett anders als die Jump and Runs von Nintendo, obwohl sie demselben Genre angehören. Und das ist vielleicht auch der Grund, warum Sonic the Hedgehog, also das Debüt der Reihe, so ein durchschlagender Erfolg wurde.
Der Titel erschien zwar auch als 8-Bit-Version für das SEGA Master System, doch eigentlich war es ein Mega-Drive-Spiel, genau wie seine beiden Fortsetzungen. Bis heute zählt die Urtrilogie zu den besten Sonic-Spielen und wird von den Fans geradezu vergöttert. Das dürfte auch der Grund gewesen sein, dass SEGA 2010 mit Sonic the Hedgehog 4 eine direkte Weiterführung der Reihe veröffentlichte. Die erschien jedoch nicht als ein komplettes Spiel, sondern im Episodenformat. Und obwohl sich SEGA hierbei bemühte, nach einigen 3D-Totalausfällen wieder das klassische 2D-Gameplay zurückzubringen, stieß Sonic the Hedgehog 4 nur auf wenig Begeisterung. Mit mittelprächtigen Wertungen von Kritikern ging das Episodenspiel als eines der vielen Sonic-Abenteuer in die Geschichtsbücher ein, das man schnell wieder vergessen hat. Es war eben weder richtig gut noch richtig schlecht.
Tja, wäre es nach der glorreichen Mega-Drive-Zeit doch nur bei so mittelprächtigen Spielen geblieben, dann wäre den Fans immerhin so manche Vollkatastrophe erspart geblieben. Nun sollte man dazu sagen, dass es sehr, sehr viele Sonic-Spiele gab. Der flotte Igel hat sich seit dem Anfang der Neunziger nicht nur auf allen SEGA-Systemen herumgetrieben, sondern auch auf vielen anderen Plattformen. Nach dem Aus von SEGA als Konsolenersteller Anfang der 2000er rannte Sonic zum Beispiel über die Bildschirme der Nintendo-Fans. Die Konsolen des einst so großen Konkurrenten, mit dem sich SEGA im Fernsehen nahezu einen Werbekrieg geliefert hat (Stichwort: „Genesis does what Nintendon’t“), wurden plötzlich zum neuen Zuhause für die eigenen Spiele. Auf dem Game Boy Advance gelang dem Unternehmen mit Sonic Advance direkt bei der ersten Produktion ein großer Hit. Aber auch das war eben ein klassischer 2D-Teil.
Sonic und 3D: Eine Leidensgeschichte
Es zeigte sich, dass 3D und Sonic einfach nicht zusammengehören sollten. Sonic Adventure, der erste Hauptteil mit Polygon-Optik, kam bei Kritikern und Fans noch ziemlich gut an, auch wenn es da sicherlich schon Leute gab, die das 2D-Gameplay bevorzugten. Doch diese Form behielt die Reihe nicht bei. Bereits in der Ära von PS2, Xbox und GameCube gab es Spiele, die alles andere als gut gewesen sind, beispielsweise Shadow the Hedgehog von 2005. Klar, hier habt ihr nicht Sonic gespielt, sondern sein Antiheldenpendant Shadow, aber der Titel gehört ja trotzdem zur Reihe dazu. Er krankte an diversen Problemen wie monotonem Leveldesign, schlechter Steuerung und der seltsamen Entscheidung der Entwickler, ein weniger kindgerechtes Spiel zu entwickeln, weshalb Shadow zum Beispiel mit Schusswaffen hantierte – warum auch immer SEGA das für eine gute Idee hielt.
Zum richtigen Supergau kam es aber auf der Xbox 360 und PlayStation 3. Sonic the Hedgehog von 2006 war das erste Spiel des SEGA-Maskottchens für die siebte Konsolengeneration und der Titel, der zum 15-jährigen Jubiläum der Marke veröffentlicht wurde. Doch es entpuppte sich als ein Geburtstagsgeschenk, bei dem Kinder sofort anfangen würden zu heulen, weil sie sich doch etwas ganz anderes gewünscht haben. Einerseits war das Gameplay weit weg von dem, was die Fans von einem Sonic-Spiel haben wollen. Sie wollen Geschwindigkeit und kompakte Levels, die Ersteres perfekt unterstützen. Was servierte ihnen Sonic the Hedgehog (2006)? Offene Hub-Welten, Rollenspiel- und Action-Adventure-Elemente, Dialoge mit NPCs – nichts davon hat irgendein Fan jemals gewollt, zumindest nicht in einem der Hauptteile. Noch dazu offenbarte sich der Titel handwerklich wie technisch als großer Reinfall. Schwache Grafik, unpräzise Steuerung, Bugs, eine schlechte Kamera und eine unnötig komplizierte Geschichte raubten jeglichen Spielspaß. Sonic the Hedgehog von 2006 zählt nicht ohne Grund zu den schlechtesten Videospielen aller Zeiten. Das folgende Video vom Angry Video Game Nerd dürfte für sich sprechen:
Nicht alles war für den Müllhaufen
Gott sei Dank kamen nach diesem Totalausfall auch wieder brauchbarere Spiele auf den Markt. 2010 veröffentlichte SEGA Sonic Colours für die Nintendo Wii sowie den DS und lieferte damit ein durchaus gutes, wenn auch nicht überragendes Jump and Run ab. Die Besitzer der anderen damals aktuellen Konsolen beziehungsweise eines PCs schielten schon etwas neidisch auf die Nintendo-Jünger, bekamen 2011 aber ebenfalls ein sehr ordentliches Spiel.
Sonic Generations war der Titel zum 20. Jubiläum und nachdem es zum 15. Geburtstag eben einen Rohrkrepierer gab, machte das letzte Jump and Run der Marke auf PS3 und Xbox 360 eine wesentlich bessere Figur. Passenderweise war es auch als eine Zeitreise durch die Historie von Sonic konzipiert. Sowohl der alte, dicke als auch der moderne Sonic waren spielbar und jeden Level gab es in zwei Varianten: in klassischem 2D und modernem 3D, wobei die Grafik auch in ersterem Fall dreidimensional war, das Gameplay aber eben nicht. Zudem waren die Schauplätze an die Spiele der unterschiedlichen Ären angelehnt. Es gab also Levels, die an die alten „Sonic the Hedgehog“-Spiele erinnerten, sowie Abschnitte in Anlehnung an die Dreamcast-Zeit und alles, was danach kam.
Sonic Generations wurde nicht zu einem modernen Klassiker des Jump-and-Run-Genres. Dafür erlaubte es sich dann doch ein paar Fehler zu viel. Aber es ist sicherlich eines der besten 3D-Sonics und wäre auch fast der beste Ableger seit dem Beginn des HD-Zeitalters, wenn nicht 2017 Sonic Mania erschienen wäre. Jener Titel ist im Grunde das, was Sonic the Hedgehog 4 hätte sein sollen: ein Jump and Run mit dem Look and Feel der Mega-Drive-Spiele – und der gleichen inhaltlichen Qualität. Sonic Mania ist das am besten bewertete Sonic-Spiel seit… Nun ja, vermutlich seit der Dreamcast-Zeit. Das Interessante daran ist, dass es kein SEGA-Studio gewesen ist, dem dieser Coup geglückt ist. Entwickler von Sonic Mania ist ein Team, das aus Mitgliedern der Fangame- und ROM-Hacking-Community besteht. Tja, manchmal wissen es die Fans eben doch besser.
Außerhalb von Jump and Runs läuft‘s
Blöderweise lieferte Sonic Team, der Entwickler aller Hauptteile, im selben Jahr mit Sonic Forces mal wieder ein weniger gutes Spiel ab. Der Titel kassierte bestenfalls durchschnittliche Wertungen und ist wie viele Sonic-Abenteuer zuvor bereits wieder in Vergessenheit geraten. Sonic ist zwar nach wie vor eine erfolgreiche Marke, sonst würde SEGA nicht so viele Ableger produzieren. Aber der Glanz, den sie einst hatte, der ist verschwunden. Daran können auch einzelne Lichtblicke wie Sonic Mania nichts ändern.
Immerhin sind dem Igel hin und wieder mal noch Genreausflüge und Gastauftritte vergönnt, die ihn in positiverem Licht strahlen lassen. Da wäre die „Mario & Sonic“-Reihe, die auf Wii, Wii U, DS und 3DS erschienen ist. Ganz im Stil der Klassiker Winter Games und Summer Games messen sich das Nintendo- und SEGA-Maskottchen hier bei den Olympischen Sommer- und Winterspielen, was launige Minispielsammlungen ergibt. Noch positiver wurden Sonic & SEGA All-Stars Racing und dessen Nachfolger Sonic & All-Stars Racing Transformed besprochen. Im Kern sind das zwar bloß „Mario Kart“-Klone, die das Erfolgskonzept von Nintendo aber sehr gut kopieren. Und mit Team Sonic Racing ist für dieses Jahr ein dritter Teil für PC, PS4, Xbox One und Switch angekündigt. Nicht vergessen wollen wir auch, dass Sonic seit Super Smash Bros. Brawl fester Bestandteil der Kampfspiele von Nintendo ist.
Sonic rennt bald über Leinwände
Was das nächste Jump and Run mit dem kleinen Flitzer sein wird, ist noch nicht bekannt. Aber dafür können sich die Fans auf etwas anderes „freuen“. Wir verwenden an dieser Stelle Anführungszeichen, weil man bei Videospielverfilmungen ja immer vorsichtig sein sollte, was die Erwartungshaltung betrifft. Aber ja, es ist ein Sonic-Kinostreifen geplant. Der soll 2019 anlaufen und einen Mix aus Live-Action- und Animationsfilm bieten. Die titelgebende Rolle übernimmt der Comedian und Schauspieler Ben Schwartz, der als Synchronsprecher bereits viel Erfahrung gesammelt hat. Er spricht etwa Leonardo in der aktuellen „Teenage Mutant Ninja Turtles“-Serie von Nickelodeon sowie Trick im Reboot von „DuckTales“. Dr. Eggman beziehungsweise Ivo Robotnik, der Erzfeind von Sonic, wird von Jim Carrey verkörpert. Lassen wir uns mal überraschen, ob das gut gehen kann.
Letztendlich hoffen wir, dass Sonic vielleicht doch nochmal vollends die Kurve kriegt und die Zeit der mittelprächtig bis miesen Spiele aufhört. Der Charakter selbst hat nicht die Strahlkraft eines Super Marios, aber er ist für uns Videospielfans genauso ikonisch und wir mögen ihn nicht weniger als den italienischen Klempner. Aber SEGA muss damit aufhören, seelenlose, dahingeschluderte Titel zu veröffentlichen. Entweder legt man sich richtig ins Zeug oder lässt zumindest die Jump and Runs einfach ruhen und hört auf, Leichenfledderei zu betreiben. Zumindest würden wir uns das wünschen. Aber solange Leute jedes noch so schlechte Sonic-Spiel kaufen, hat SEGA logischerweise keinen Grund, die Reihe aufzugeben. Uns werden also sicherlich noch viele weitere Werke mit dem berühmtesten Igel der Welt bevorstehen. Doch die Zeiten, in denen wir noch irgendwelche Erwartungen an die Reihe hatten, die sind längst vorbei.