Lara Croft war ein Sexsymbol, ist heute eine geerdete Heldin und nach wie vor eine Vorreiterin in der Videospielwelt.
Lara Croft: Sexsymbol, Powerfrau, Videospielikone
Frauen kämpfen seit gefühlten Ewigkeiten für Gleichberechtigung in allen Bereichen des Lebens. Auch mit Computer- und Videospielen haben sich Feministinnen schon mehrfach auseinandergesetzt – nicht zu Unrecht. Es ist ja was Wahres dran, dass weibliche Figuren in der Vergangenheit oftmals entweder durch knappe Kleidung beziehungsweise ihr Verhalten sexualisiert oder als wehrlose „Jungfrauen in Nöten“ dargestellt wurden. Manchmal traf sogar beides zu. Und auch heutzutage gibt es immer wieder noch Spiele, die auf so etwas nicht verzichten.
Der Grund dafür ist aber nicht unbedingt, dass die meisten Entwickler genau dieses Frauenbild haben, auch wenn wir nicht ausschließen wollen, dass sich unter den Tausenden von Designern das eine oder andere schwarze Schaf befindet. Nein, vielmehr dürfte das damit zusammenhängen, dass der Großteil der Videospielfans nach wie vor männlich ist beziehungsweise sich die Vertreter der Genres, die sich den oben genannten Darstellungen von Frauen bedienen, tendenziell eher an eine männliche Zielgruppe richten. Gemeint sind Shooter und andere Formen von Actionspielen. Und zumindest für eine lange Zeit hat auch die „Tomb Raider“-Reihe dazugehört.
Das „größte“ Versehen der Videospielgeschichte
Diese Woche erscheint mit Shadow of the Tomb Raider der dritte Teil der Reboot-Trilogie und das insgesamt zwölfte Spiel der Hauptserie (wenn man das Remake des ersten Teils mitzählt). Die Lara Croft, die in dem Action-Adventure alles tun muss, um den Untergang der Welt zu verhindern, ist eine ganz andere Frau als die, die 1996 zum ersten Mal über die Bildschirme der Zocker turnte. Wer alt genug ist, um die ersten „Tomb Raider“-Teile von Core Design miterlebt zu haben, wird das Bild der alten Lara immer noch vor Augen haben: eine gut gebaute Dame mit braunen Haaren, türkisem Tanktop, knappen Shorts und Stiefeln sowie zwei Pistolen. Ja, und dann wäre da noch die große Oberweite der Archäologin.
Die Geschichte besagt, dass es gar nicht geplant war, dass die Brüste von Lara solchen Ausmaßes sein sollten. Doch ein Rechenfehler im Programmcode, ein Bug, führte dazu, dass die junge Britin locker mit jedem echten Busenwunder mithalten konnte. Entwickler Core Design bemerkte das Ergebnis und dachte sich: „Och, dann lassen wir das halt so.“ Dass der arg kantige Vorbau gerade aus heutiger Sicht sehr albern aussieht, konnte das Team damals vielleicht gar nicht erahnen.
Sexy und tough
Große Brüste und knappe Klamotten, die für das, was Miss Croft in ihrem Alltag so machte (durch Höhlen klettern, Ruinen erforschen, gegen Raubkatzen und einen T-Rex kämpfen) eigentlich überhaupt nicht geeignet waren – Lara Croft wurde dadurch zu einem digitalen Sexsymbol. Sicherlich hat die Darstellung der Heldin viel dazu beigetragen, dass sie zur ersten Videospielfigur wurde, die für einige Jahre fester Bestandteil der Popkultur war. Selbst diejenigen, die mit der Zockerei so gar nichts am Hut hatten, kannten Lara Croft – und wenn es nur aus dem Musikvideo der Band Die Ärzte zu „Männer sind Schweine“ war. Darin machte die Polygondame Jagd auf Farin Urlaub, Bela B und Rodrigo González. Das unterstrich, dass Lara Croft nicht einfach nur eine hübsche, stets leicht bekleidete Brünette war, sondern eben auch eine Powerfrau, die sich in der von Männern dominierten Welt nicht unterkriegen ließ.
Lara Croft war tough. Sie war geschult im Umgang mit Waffen, nahm jede noch so große Herausforderung an, um ihr Ziel zu erreichen. Statt sich Sorgen darüber zu machen, dass ihr Mascara verlaufen oder Fingernägel abbrechen könnten, kletterte sie durch unwirtliche Höhlen, kämpfte unter Wasser gegen Haie oder legte sich mit gefährlichen Verbrechern an. Noch dazu war sie intelligent und hatte ein großes historisches Wissen, was man als Archäologin selbstverständlich gut gebrauchen kann.
Die Lara Croft der Neunziger und frühen 2000er als reines Sexsymbol abzustempeln und aufgrund dessen nur kritisch zu beäugen, wäre ein Fehler. Ihr Schöpfer Toby Guard hat selbst einmal gesagt, dass es seine Absicht gewesen sei, Miss Croft nur aufgrund ihrer Stärke sexy wirken zu lassen. Nun ja, dann hätte er sich vielleicht in seinem Team für Klamotten mit mehr Stoff stärker machen sollen. So kam es dann eben doch, dass die Videospielheldin oftmals auf ihr Aussehen reduziert und somit komplett sexualisiert wurde. Das offizielle PlayStation Magazin kürte Lara Croft 2005 zum „Game Babe of the Year“, immer wieder wurden ihre Brüste in den Mittelpunkt gestellt. Auf Magazin-Covern wurde die Britin gerne in sexy Posen abgebildet und für die Spiele entwickelten Fans Nackt-Patches.
Der Reboot: Düsterer, brutaler, menschlicher
Über mehr als zehn Spiele hinweg blieb Lara Croft die sexy Archäologin. Ihre Brüste wurden zwar im Laufe der Zeit immer kleiner, aber auch in den ersten Spielen von Entwickler Crystal Dynamics, der nach dem großen Flop Tomb Raider: The Angel of Darkness das Ruder übernahm, war Lara immer noch recht freizügig unterwegs. Man denke nur an das knappe Abendkleid, das sie in einem Level von Tomb Raider: Legend trug. Doch je älter die „Tomb Raider“-Reihe wurde, desto mehr Kritik an der Darstellung ihrer Protagonistin kam auf. Zugleich machten sich Ermüdungserscheinungen breit: Nachdem Legend und das Remake des ersten Teils noch sehr gut ankamen, wirkte Tomb Raider: Underworld von 2008 eher wie ein lauwarmer Aufguss. Es war ein durchweg gutes Spiel, lieferte aber nichts Neues und verkaufte sich auch nicht mehr so überragend, wie es sich Publisher Eidos gewünscht hatte.
Nachdem jener britische Konzern 2009 von Square Enix übernommen wurde, sollte sich für Tomb Raider einiges ändern. Ein Reboot musste her. Der sollte aber nicht nur spielerisch neue Wege beschreiten, sondern Lara Croft von einer anderen, moderneren, menschlicheren Seite zeigen. 2011 folgte die weltweite Enthüllung von Tomb Raider durch Game Informer. Da wurde deutlich, dass Crystal Dynamics ganz andere Töne anschlagen wollte, als es bei den Vorgängern der Fall war. Das Actionspiel sollte nicht bloß ein Reboot sein, sondern als eine Art Prequel fungieren und die Geschichte erzählen, wie aus der jungen, noch unerfahrenen Lara die toughe Frau wird, als die wir sie kennen.
Zugleich legte Crystal Dynamics das Spiel deutlich düsterer an als die alten Teile. Zuvor war Tomb Raider immer eine Reihe gewesen, die man auch Kindern ab einem gewissen Alter (wir meinen natürlich keine Sechsjährigen) vorsetzen konnte. Der Reboot hingegen wurde zu einem reinen Erwachsenenspiel mit USK-18-Stempel in Deutschland. Das war ein interessanter Ansatz, im Nachhinein mussten wir aber feststellen, dass die Entwickler es doch ein wenig damit übertrieben haben, auf wie viele unterschiedliche brutale Arten Lara hier umkommen kann.
Neuausrichtung mit Schönheitsfehlern
Lobend gilt es aber die „neue“ Charakterisierung der Hauptfigur zu erwähnen. Mit dem einstigen Sexsymbol mit übertrieben großen Brüsten und knappen Klamotten hat die Lara aus dem Reboot (und den beiden Fortsetzungen) nichts mehr zu tun. Die junge Version der Abenteurerin hat eine ganz natürliche Figur und ist stets dem Anlass angemessen gekleidet. Klar, sie ist nach wie vor eine hübsche Frau, aber seit dem Serienteil von 2013 steht ihr Äußeres nicht mehr im Mittelpunkt. Lara mag zwar in jener Trilogie auch nicht mehr die starke Powerfrau sein, die sie in den alten Spielen war, aber das gehört eben zum Konzept. Die Reihe will eben zeigen, wie sie zu dieser Person wird.
Das ist zumindest im ersten Teil nicht so wirklich geglückt, da wir es hier mit einer extremen Form von ludonarativer Dissonanz zu tun haben, also einem starken Widerspruch zwischen dem, was in der Geschichte passiert und dem, was wir als Spieler machen. In einem Moment weint Lara, weil sie einen Hirsch töten muss, um sein Fleisch essen zu können, im nächsten knallt sie wie ein Profi zig menschliche Gegner ab. Dabei geht es in dem Titel doch darum, dass seine Protagonistin zum ersten Mal in solche Situationen geschmissen wird. Glaubwürdig ist was Anderes. Trotz dieser Fehler war die Neuausrichtung von Tomb Raider die absolut richtige Entscheidung – sowohl in spielerischer Hinsicht als auch mit Blick darauf, wie Lara dargestellt wird. Das Bild der alten Miss Croft wirkt in der heutigen Zeit einfach nicht mehr zeitgemäß.
Lara Croft ist keine Ausnahme
Es braucht starke Frauenfiguren in Videospielen. Sie funktionieren dann gut, wenn sie nicht auch noch mit der Absicht, dem männlichen Publikum optische Anreize zu bieten, zeitgleich sexualisiert werden. Paradebeispiele dafür sind etwa Aloy aus Horizon Zero Dawn oder Chloe Frazer und Nadine Ross aus Uncharted: The Lost Legacy. In allen drei Fällen handelt es sich um glaubwürdige, starke Frauen, die aber auch nicht davor zurückschrecken, ihre Gefühle zu offenbaren – und genau dadurch sowohl menschlich wirken als auch perfekte Identifikationsfiguren für weibliche Zocker sind.
In der Videospielwelt dominieren nach wie vor die männlichen Protagonisten. Wenn man Spieler nach den coolsten Hauptcharakteren fragt, werden die meisten wohl mit Solid Snake, Nathan Drake, Sam Fisher, Kratos, dem Master Chief oder auch Geralt von Riva antworten. Die Chance, dass eine weibliche Figur mit dabei ist, ist verhältnismäßig gering. Das wird sich hoffentlich in den nächsten Jahren ändern und Charaktere wie Aloy, Chloe und eben auch die neue Lara tragen bereits ihren Teil dazu bei. Und wenn Entwickler schon nicht den Mumm haben, sich auf eine Heldin festzulegen, dann lassen sie den Spielern zumindest die Wahl zwischen Mann und Frau. So ist es im bald erscheinenden Assassin’s Creed Odyssey oder CD Projekts nächster Rollenspielhoffnung Cyberpunk 2077 der Fall.
Die Zeiten, in denen Frauen in Videospielen rein zur Fleischbeschau oder dem Zweck, dass wir als männlicher Held sie retten konnten, dienten, sind zum Glück vorbei. Ja, es gibt auch heute noch immer wieder Spiele, die dem positiven Trend nicht folgen. Wir blicken da vor allem nach Japan, denn sowohl in J-RPGs als auch Prügelspielen aus Fernost (oder deren, ähem, sportlicheren Ablegern) scheint es immer noch dazuzugehören, dass weibliche Figuren unter einer Textilallergie leiden. Westliche Entwickler gehen aber seit Jahren als gutes Beispiel voran und da gehört Crystal Dynamics mit dem „Tomb Raider“-Reboot definitiv dazu. Wir sind nur gespannt, wie es nach Shadow of the Tomb Raider mit Miss Croft weitergehen wird. Denn wenn dieser Teil der Abschluss der Trilogie ist und Lara danach die Frau ist, als die wir sie kennengelernt haben… Nun gut, sie wird wohl kaum am Ende des Spiels ihre Vorliebe für Hot Pants entdecken. Ehe das passiert, geht in dem Titel dann doch die Welt unter.