God of War beweist, dass große Veränderungen einer Reihe gut tun können, aber auch nicht jeden zufriedenstellen.
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Wenn Spielereihen sich stark verändern
Ein Junge spielt mit seinen Figuren. Er trägt altertümliche Kleidung mit vielen Lederriemen und einem Pelzoberteil. Viel von der Umgebung ist nicht zu sehen, aber auf dem Boden liegt Schnee. Recht schnell kommt uns in den Sinn: Die Szene scheint irgendwo hoch oben im Norden zu spielen. Der Junge bricht recht schnell sein Spiel ab, weil eine tiefe Stimme mehrfach nach ihm ruft. „Junge!“, schallt es dem Knirps entgegen. Er steht widerwillig auf, geht in das hinter ihm stehende Haus und wird dort von dem Mann, der ihn zu sich gerufen hat, dazu aufgefordert, sich das Messer seiner Mutter zu schnappen. „Wozu?“, fragt der Knabe. „Einen Test“, antwortet die andere Person, die zunächst im Schatten steht. Dann tritt sie aus selbigem hervor und wir erkennen: Der Mann ist niemand Geringeres als Kratos.
Jubel und Beifall brachen aus, als diese Szene bei der Sony-Pressekonferenz auf der E3 2016 gezeigt wurde. Denn sie bestätigte die Rückkehr von God of War, einer der größten Marken des japanischen Konsolen- und Videospielherstellers. Drei Jahre zuvor war der bis dahin jüngste Teil Ascension für die PlayStation 3 erschienen. Der war eher ein mittelprächtiges Anhängsel an God of War 3, das 2010 die Geschichte rund um Kratos im Grunde genommen abgeschlossen hat. Doch natürlich lässt Sony eine so erfolgreiche Reihe nicht einfach ruhen. Nach Ascension war klar, dass sie eine Frischzellenkur nötig hatte. Ein neues Szenario musste her, denn in der griechischen Mythologie war kein Gott mehr übrig, den Kratos noch hätte umbringen können. Also verfrachtete man den Spartaner für sein erstes PS4-Abenteuer in die nordische Mythologie und damit in die Welt von Odin, Thor und Co. Und das sollte nicht die einzige Veränderung sein.
Plötzlich ist alles anders
Sony sah davon ab, den neuen Serienteil God of War 4 zu nennen oder ihm irgendeinen Untertitel zu verpassen. Dadurch wirkte das Actionspiel bei der Ankündigung so, als würde es einen Reboot der Reihe darstellen. Die ersten Gameplay-Szenen unterstrichen diesen Eindruck. Denn alles war anders: Kratos hatte nun nicht nur einen Bart, er kämpfte auch nicht mehr mit seinen berühmten Chaosklingen. Stattdessen setzte er eine Axt ein, die er sowohl im Nahkampf schwang als auch auf Gegner warf und per Tastendruck wieder zurück zu sich rief. Darüber hinaus war die Perspektive eine ganz andere: Statt festen Kameras, die von weitem auf das Geschehen blicken, gab es eine gewöhnliche Third-Person-Perspektive mit frei drehbarer Kamera. Und dann wirkte das Kampfgeschehen auch noch deutlich langsamer als in den alten Spielen, von ewig langen Combos war nichts mehr zu sehen.
Ja, God of War sollte sich stark verändern, frischen Wind erhalten. Die Inszenierung des Spiels, die ganze Stimmung, das erinnerte weniger an die martialischen, comichaft überzogenen Vorgänger, sondern viel mehr an moderne Action-Adventures wie The Last of Us. Was wir auf der E3 2016 zu sehen bekamen, haute viele Fans vom Hocker. Das Spiel sah fantastisch aus und es war bereits zu erkennen, wie viel Spaß die Kämpfe machen würden. Manch einer war aber auch skeptisch und fragte sich, ob er es denn wirklich gut findet, dass der neue Teil so stark von seinen Vorgängern abweicht.
Mittlerweile ist God of War für die PlayStation 4 erschienen. Das Spiel wurde mit Lob geradezu überhäuft. Die Wertungen der Presse fielen durchweg hoch aus, es regnete Noten im Bereich 90+. God of War ist auf Metacritic das PS4-Exklusivspiel mit der höchsten Durchschnittswertung von 94. Nur die Remastered-Version von The Last of Us und GTA 5 haben noch mehr Punkte. Auch die Fans sind begeistert, geben dem Titel eine Durchschnittswertung von 9,2. Diese positive Resonanz hat sicherlich mehrere Gründe. Manch einer hat sich in die spektakulären Kämpfe verliebt, die sich wuchtig anfühlen und nicht zur anspruchslosen Schnetzelei verkommen. Andere mögen das Spiel vor allem für seine Geschichte, die mehrere überraschende Wendungen bietet und Kratos von einer viel menschlicheren Seite zeigt. Außerdem wären da noch die überragende Inszenierung ohne Kameraschnitte, die spektakuläre Grafik und die grandios gestaltete Spielwelt.
Vaterschaft als größte Neuerung
Es gibt aber auch einen Aspekt, der vieles zusammenfasst, und zeigt, dass Entwickler SIE Santa Monica Studio nahezu alles richtig gemacht hat: God of War ist nämlich kein Reboot, wie es jeder 2016 vermutet hatte. Es ist eine direkte Fortsetzung der alten Teile, bloß haben sich die Schöpfer eben sehr viele Neuerungen einfallen lassen, so dass man höchstens von einem Soft-Reboot sprechen kann. Doch das, was die alten „God of War“-Spiele ausgemacht hat, ist in dem jüngsten Ableger (zumindest teilweise) immer noch vertreten. Ja, die Perspektive ist eine andere. Ja, Combos sind kein so essenzieller Bestandteil der Kämpfe. Ja, Kratos ist nicht mehr der dauerhaft wütende Spartaner. Jedoch ist er nach wie vor ein eher miesgelaunter Geselle, der anderen Leuten nur deswegen hilft, weil er eine Belohnung erhält, die ihm auf seinem Weg weiterhilft – und weil sein Sohn das komplette Gegenteil zu ihm darstellt und jeder halbwegs freundlichen Person seine Hilfe anbietet. Denn ja, Kratos ist mittlerweile (wieder) Vater. Auch das ist eine große Veränderung, sowohl hinsichtlich des Storytellings als auch des Gameplays.
In God of War werdet ihr stets von Atreus, so heißt der Sprössling, begleitet und er unterstützt euch im Kampf. Beispielsweise feuert er auf Knopfdruck Pfeile auf Gegner, um sie abzulenken oder zu betäuben. In den Vorgängern war Kratos immer ein Alleingänger. Und es gab für ihn stets einen fest vorgegebenen Pfad. Das jüngste God of War hingegen ist kein streng lineares Spiel. Von einer Open World würden wir zwar nicht reden wollen, da die einzelnen Gebiete größtenteils doch eher schlauchig aufgebaut sind. Aber zum einen gibt es immer wieder Abzweigungen, zum anderen sind viele der Areale zusammenhängend, es gibt diverse Nebenquests, versteckte Schatztruhen und optionale Bossgegner.
God of War ist immer noch God of War, nur anders
All das kennen wir so aus den Vorgängern nicht. Was uns aus denen in Erinnerung geblieben ist, sind die epischen Momente, etwa wenn wir zu Beginn von Teil 3 auf Gaia herumklettern und kämpfen. Solch beeindruckende Szenen gibt es auch im neuen God of War zur Genüge, zum Beispiel wenn wir uns mit einem Drachen messen oder der Weltenschlange begegnen. Ein weiteres Merkmal von God of War war schon immer der hohe Gewaltgrad, speziell die Finishing-Moves waren in den alten Teilen sehr brutal. Das jüngste Spiel mag sich im Vergleich dazu etwas zurückhalten, hier fliegen nicht mehr ganz so viele Körperteile durch die Gegend, dennoch ist God of War weit davon entfernt, für Kinder geeignet zu sein. Es ist immer noch ein brutales Spiel und gerade die Finisher sind sehr blutig. Wir hatten nie das Gefühl, etwas zu spielen, was nichts mehr mit den vorherigen Titeln zu tun hat. Kratos hat sich weiterentwickelt, er hat mehr Charaktertiefe erhalten, aber er ist immer noch Kratos. Und dass er nun einen Sohn hat, der nichts von seiner Vergangenheit weiß, macht die Beziehung zu den beiden zu einem äußerst spannenden Element der Geschichte, das wir nicht missen wollen.
Klar, es gibt ein paar Fans da draußen, die sich verraten fühlen. Sie wollten God of War, wie sie es von der PS2, PS3 und PSP kennen. Das neue Szenario lassen sie sich vielleicht noch gefallen. Was hätte Kratos auch in Griechenland noch tun sollen? Aber sie mögen die spielerischen Änderungen nicht, sie sind mit dem neuen Fokus auf die Geschichte, auf die Beziehungen zwischen Charakteren, unzufrieden. Sie erwarten von God of War einfach nur schnelle, harte Action, die durch simple Rätsel und Geschicklichkeitspassagen (die fehlen im neuen Teil komplett) hin und wieder aufgelockert wird. Sie wollen aber keine halboffene Welt erkunden und Crafting-Materialien sammeln.
Ein Spiel für die Masse
Tatsächlich können wir diese Kritik auch nachvollziehen, zumindest in Teilen. Denn eine Sache müssen sich die Entwickler gefallen lassen: Sie haben mit God of War trotz all der Qualität, die es bietet, ein gewöhnlicheres Spiel geschaffen. Was wir damit meinen: Kratos Abenteuer in der nordischen Mythologie orientiert sich stark an den modernen Action-Adventures der vergangenen Jahre. Den Vergleich zu The Last of Us hinsichtlich der Stimmung haben wir schon eingangs erwähnt. In vielerlei Hinsicht erinnert God of War aber auch an die jüngsten „Tomb Raider“-Spiele. Das ist nicht mal verwunderlich, denn Game Director Cory Barlog arbeitete vorher, wenn auch nicht sonderlich lange, an dem Reboot der Reihe rund um die Archäologin Lara Croft. Das, was God of War so besonders macht, ist die herausragende handwerkliche Qualität. Das Spiel macht so vieles deutlich besser als andere Genrevertreter. Jeder Kampf macht Spaß, der Erkundungsdrang ist hoch, die Progressionssysteme sind motivierend und die Story sowie Charaktere sind toll geschrieben.
Aber God of War macht auch nichts wirklich Neues. Okay, das würde es vermutlich auch dann nicht tun, wenn die Entwickler der alten Formel treu geblieben wären. Allerdings wäre es eine Art von Actionspiel gewesen, die es heutzutage kaum noch gibt. Die einzigen anderen größeren Reihen, die solch schnelle Action mit Fokus auf Combos bieten, sind Devil May Cry, Bayonetta und Ninja Gaiden. Gut, ein drittes Bayonetta ist in Arbeit und ein Devil May Cry 5 wird Gerüchten zufolge auf der E3 angekündigt. Aber was wir damit sagen wollen: Diese Art von Spiel ist längst nicht so verbreitet wie das normale Action-Adventure mit Third-Person-Perspektive. God of War hat sich dem Massenmarkt angebiedert, so hart das auch klingen mag. Ist das schlimm? Nein, denn dabei ist ein fantastisches Spiel herausgekommen. Die Änderungen haben der Reihe gut getan, was nicht nur die positive Resonanz, sondern auch die Verkaufszahlen beweisen. Trotzdem muss sich SIE Santa Monica Studio diesen Vorwurf gefallen lassen.
Nicht jede Frischzellenkur ist gesund
Letztendlich ist der Weg, den die Entwickler gegangen sind, vielleicht das Beste, was God of War hätte passieren können. Ein paar Hardcore-Fans sind unzufrieden, der Massenmarkt spricht aber eine andere Sprache. Das ist für einen Hersteller am Ende am wichtigsten. Und wenn dabei so ein großartiges Spielerlebnis herauskommt, wollen auch wir nicht meckern. Dass solch große Veränderungen aber auch nach hinten losgehen können, haben andere Serien bereits bewiesen.
Wir haben in diesem Artikel bereits Devil May Cry erwähnt: Nach dem vierten Teil entschied sich Capcom dazu, der Reihe einen Reboot zu verpassen. Das fünfte Spiel, DmC: Devil May Cry, wurde nicht mehr in Japan, sondern vom britischen Studio Ninja Theory entwickelt. Die Handlung spielte in einer alternativen Realität, in der Protagonist Dante jünger war und kurze schwarze statt etwas längere weiße Haare hatte. Der Humor war ein anderer, Dante war ein anderer Charakter und das gefiel den Fans überhaupt nicht. DmC erntete deshalb schon vor Release viel Kritik. Am Ende war es zwar spielerisch richtig gut und unterschied sich diesbezüglich auch kaum von den Vorgängern, doch erzählerisch war es schwach und so richtig anfreunden konnte sich kaum einer mit der neuen Version des Helden. Der Titel wurde kein großer Erfolg, Ninja Theory durfte keine Fortsetzung machen (und entwickelte dafür das hervorragende Hellblade: Senua’s Sacrifice) und nun scheint eben ein klassisches Devil May Cry 5 kurz vor der Enthüllung zu stehen.
Es gibt noch diverse andere Beispiele dafür, dass es nicht immer klug ist, eine Serie zu stark zu verändern. Man denke nur an Command & Conquer 4: Tiberian Twilight, bei dem die Entwickler auf den Basisbau verzichteten – und damit das Todesurteil für die bis dahin so ruhmreiche Strategiespielserie unterschrieben. Teil 4 wurde verrissen, floppte und bis auf das Browsergame Command & Conquer Tiberium Alliances ist seitdem nichts mehr erschienen. Ein noch älteres Beispiel ist die Commandos-Reihe. Die ersten drei Teile erfreuten die Fans von Echtzeittaktikspielen mit anspruchsvollem Gameplay. Beim vierten Teil wollte der spanische Entwickler Pyro Studios etwas Neues wagen. Commandos: Strike Force von 2006 war plötzlich kein Spiel mit isometrischer Kamera mehr, sondern ein Ego-Shooter. Zwar war es immer noch ein taktisches Spiel, aber den Fans missfiel der Perspektiv- und damit Konzeptwechsel. Sie straften Strike Force damit, dass sie es nicht kauften. Dadurch verlor Pyro Studios Eidos als Publishing-Partner, veröffentlichte danach bloß noch ein Spiel zum kaum bekannten Animationsfilm „Planet 51“ und heutzutage entwickelt man Apps für Smartphones und Tablets.
Was lernen wir daraus? Es kann sich durchaus lohnen, wenn man einer langen Serie irgendwann mal eine Frischzellenkur verpasst. Das hat God of War bewiesen, genauso wie Tomb Raider oder jüngst Assassin’s Creed. Aber wenn die Entwickler dabei nicht vorsichtig sind, kann so eine Aktion auch nach hinten losgehen und einer Marke den Todesstoß verpassen. Klar wollen wir, dass Spielereihen sich weiterentwickeln und nicht stagnieren. Aber sie sollten niemals ihre eigene Identität verraten. Cory Barlog und seine Leute haben es bei God of War nicht so weit kommen lassen. Sie mögen nicht absolut jeden Fan zufriedengestellt haben, aber welcher Hersteller kann das schon von sich behaupten?