Autor: Ahmet Iscitürk
Die Kluft zwischen Nintendo und mir wurde in den vergangenen 20 Jahren immer größer. Geradezu unüberwindbar. Zelda: Breath of the Wild hat jedoch alles verändert.
Autor: Ahmet Iscitürk
Die Kluft zwischen Nintendo und mir wurde in den vergangenen 20 Jahren immer größer. Geradezu unüberwindbar. Zelda: Breath of the Wild hat jedoch alles verändert.
Vor 26 Jahren war ich der krasseste Nintendo-Fanboy der Welt – zumindest in meiner Heimatstadt Nürnberg. Besitzer des SEGA Mega Drive waren meine Erzfeinde. Nie im Leben hätte ich daran gedacht, diese Konsole neben mein SuperNES zu stellen. Dass man die Mega-Drive-Version von Mortal Kombat per Cheat blutrot färben konnte, während in der Nintendo-Version nur Schweißtropfen durch die Gegend flogen, musste man eben akzeptieren. Dafür konnte ich Meisterwerke wie Super Metroid, Final Fantasy 6, Mario Kart und Killer Instinct spielen! Sonic? Für mich war der flinke Igel ein hässlicher Götze, den die Schamlosen und geistig Armen anbeteten.
Dann kam der Schock: Nintendos Nachfolger, das N64, sollte erst 1996 erscheinen. Sony wollte seine Playstation aber bereits ein ganzes Jahr früher in den Handel bringen. Zwar war ich fest entschlossen, Nintendo die Treue zu halten, doch dann bekam ich Tekken sowie Wipeout zu Gesicht. Kurz: Die PS1 war ein Day-One-Kauf. Natürlich habe ich mir 1996 trotzdem ein N64 ins Haus geholt, aber zum ersten Mal in meinem Leben spielte Nintendo nur die zweite Geige. Für die Playstation wurde ein Hit nach dem anderen veröffentlicht, während der Software-Nachschub für das N64 überschaubar blieb. Dank Mario Kart 64, The Legend of Zelda: Ocarina of Time, Turok 2, Mario 64, GoldenEye und Diddy Kong Racing habe ich den Kauf dennoch nie bereut.
Meine SEGA-Allergie wurde 1999 durch die Dreamcast-Konsole geheilt. Wenn ich an Blue Stinger, Skies of Arcadia, Shenmue, Sonic Adventure, House of the Dead und Soul Calibur denke, könnte ich immer noch vor Freude weinen. Die Playstation 2 war keine Liebe auf den ersten Blick, umso größer war die Vorfreude auf Nintendos GameCube. Da ich nicht bis Mai 2002 warten wollte, habe ich mir im November 2001 ein US-Importgerät geholt. Schade: Von der Qualität der Launch-Titel war ich total enttäuscht. Star Wars Rogue Squadron II: Rogue Leader, Luigi’s Mansion und Wave Race: Blue Storm waren gute Spiele, aber keine echten Knaller. Dass zum Verkaufstart des Würfels kein Mario-Titel erhältlich war, hielt ich ebenfalls für einen Skandal. Als Super Mario Sunshine dann endlich veröffentlicht wurde, bekam meine Beziehung zu Nintendo besonders heftige Risse. Das Spiel bekam durch die Bank sehr gute Wertungen, doch mich konnte es einfach nicht abholen. War ich Nintendos Zielgruppe entwachsen?
Der Gamecube staubte vor sich hin, während ich mich hauptsächlich mit PS2 und Microsofts Xbox vergnügte. Anschließend teilten sich Xbox 360 und PS3 den Platz unter dem Flachbild-TV.
Nintendos Wii konnte ich als Konsole nicht ernst nehmen. Die Fuchtel-Controller schreckten mich genauso ab wie die schreckliche Grafik. Der Name Nintendo war zum Synonym für Kinderspielzeug geworden – zumindest in meiner Wahrnehmung. Ich habe der Wii natürlich eine Chance gegeben, aber selbst die grandiosen Zelda-Abenteuer konnten mich nicht bei der Stange halten. Das Geflimmer und die schrecklich unpräzise Steuerung erzeugten tiefe Hassgefühle in mir. Ich fühlte mich von Nintendo verraten.
Die Wii U war eine weitere Enttäuschung und herausgeschmissenes Geld. Nintendo DS, 3DS und New 3DS gehörten für mich ebenfalls in die Rubrik „Billig produzierter Schrott“. Bis heute frage ich mich, was sich Nintendo beim New 3DS eigentlich gedacht hat. Da warten die Fans Jahre lang auf einen zweiten Analog-Stick und was bekommen sie stattdessen? Eine steinharte Mini-Warze, die auch noch völlig unergonomisch platziert wurde. Selbst mit voller Absicht hätte ich keine schlimmere Lösung erfinden können. Von Nintendo hatte ich jedenfalls endgültig die Nase voll – ich wollte mit ihren Produkten nichts mehr zu tun haben. Also habe ich meine Wii U plus 3DS XL und New 3DS für wenig Geld verkauft. Hauptsache weg damit.
Im Oktober vergangenen Jahres enthüllte Nintendo seine neue Konsole: Switch! Ein erster Trailer sollte die Vorzüge des neuen Systems anpreisen. Er zeigte attraktive Hipster-Männlein und -Weiblein, die immer und überall an ihren Switch-Konsolen kleben. Den Vogel schießt eine junge Dame ab, die beim Zocken aus dem Fenster blickt und eine Rooftop-Party entdeckt. Die Nachbarn laden sie ein und was bringt sie zur Fete mit? Kein Bier, keine Chips und auch kein Marihuana, sondern eine Switch-Konsole! Im echten Leben hätte man sie sofort wieder rausgeschmissen, doch in Nintendos heiler Welt wird sie natürlich zur gefeierten Party-Heldin.
Ich war total angewidert, doch aus beruflichen Gründen musste ich Nintendos nächsten Hardware-Flop trotzdem vorbestellen. Ein paar Monate später saß ich mit meiner PS4 Pro vor dem 4K-OLED-TV, um mich am grandiosen Grafikfeuerwerk Horizon: Zero Dawn zu ergötzen. Es klingelte an der Tür. Der DHL-Bote hatte meine Switch-Konsole dabei. Nach drei Tagen lag der Karton immer noch im Flur. Ausgepackt und angeschlossen habe ich die Switch dann doch irgendwann, aber nicht, weil ich damit spielen wollte. Viele Käufer beschwerten sich im Netz über miesen WLAN-Empfang und Controller-Probleme. Ich wollte einfach checken, ob mein Gerät auch betroffen ist. Dann habe ich The Legend of Zelda: Breath of the Wild eingelegt und mein Leben wurde auf den Kopf gestellt.
Ich fühle mich unwürdig. Ich schäme mich dafür, jemals an Nintendo gezweifelt zu haben. The Legend of Zelda: Breath of the Wild ist ein großer Schritt für die Menschheit. Es befriedigt eine Sehnsucht in mir, von der ich nicht mal wusste, dass sie existiert. Dieser Titel hat mir erst wieder so richtig klargemacht, dass ein Videospiel die wichtigste Sache der Welt sein kann. Ich würde diesem Meisterwerk am liebsten jede Sekunde meines Daseins widmen. Ich habe mir sogar Amiibo-Plastikschrott gekauft, nur um per NFC-Schnittstelle ein paar popelige In-Game-Items zu ergattern. Nintendo ist für mich komplett rehabilitiert. Nintendo ist jetzt wie David Chase. Egal, welchen Schrott er heute produzieren mag – mit The Sopranos hat er sich für immer unsterblich gemacht. Dafür werde ihm auf ewig dankbar sein.
Was The Sopranos fürs Fernsehen war, ist The Legend of Zelda: Breath of the Wild für die Welt der Videospiele. Es ist einfach perfekt und ich möchte am liebsten jede Person inhaftieren, die es wagt, die Qualität dieser Perle in Frage zu stellen. Ich möchte eine Geheimpolizei gründen, die alle Menschen verschwinden lässt, die das neue Zelda kritisieren! Jeder Mensch sollte sich sofort eine Nintendo-Switch-Konsole kaufen, nur um dieses atemberaubende Epos zu genießen. Ich möchte meinen Nachnamen ändern und zukünftig Ahmet Breathofthewilditürk heißen. Ich möchte mich einfrieren lassen und erst wieder aufgetaut werden, wenn Breath of the Wild 2 erscheint.
Dieses Spiel verdient nicht weniger als unsere bedingungslose Liebe. Mehr habe ich dazu nicht mehr zu sagen.
Ahmet Iscitürk schreibt seit 1998 über Spiele und vieles mehr. Seine Texte sind schlecht und er schämt sich dafür.
Web: www.texteatme.com
Twitter: @SchweinOfLove